Auch heute schlief er, als wir ihn besuchten, weit weg träumte er seine Träume, von denen wir nichts wissen. Die Narkosemittel wirken noch, eine offene Wunde am Knie wurde am Nachmittag geschlossen, ein kleiner Eingriff. Er wird wieder beatmet wie üblich nach einer OP, schon heute Abend wird der Schlauch wahrscheinlich entfernt. Seine Lunge wird immer wieder mit einem Schlauch abgesaugt. Das braucht er. Solange er nicht redet, hustet, sich wenigstens räuspert, funktioniert die Selbstreinigung des Organs nicht und es kann sich entzünden.
Seine rechte Hand sieht besser aus, sie war stark angeschwollen direkt nach dem Unfall. Versuchte er noch, sich abzustützen?
Sein älterer Bruder war mitgekommen, er knuffte und zupfte an ihm und ich befahl ihm aufzuhören. „Ach was, ich ärgere ihn ein bisschen, dann kommt er wieder zu sich.“ Er wird so schnell nicht zu sich kommen. Mindestens ein paar Tage noch müssen wir Geduld haben, sagen die Ärzte.
In der Früh tobte er, berichtete eine Ärztin am Telefon. Er habe sich hin und her geworfen und versucht, sich aufzubäumen. Erst als sie ihm stärkere Schmerzmittel gaben, wurde er ruhig und blieb so den Tag über. Die provisorische Fixierung der Beckenbrüche darf er nicht gefährden, auch sein rechtes Bein ist mit externen Halterungen (Fixateuren) ruhig gestellt und wird später operiert werden. Aber der linke Arm und der linke Fuß sind bereits versorgt und in Schienen.
Wir versuchen uns an das Warten zu gewöhnen. Unser ganzes Leben lang planen und organisieren wir, wir entwerfen Zeitpläne, legen Abläufe fest und was nicht geht, planen wir neu. Nur hier, am Bett unseres Kindes, da gibt es nichts zu planen. Ich fühle mich wie aus Stein.Wir wollen, dass er aufwacht, damit wir wissen, dass sein Gehirn keinen Schaden genommen hat. Wir wollen, dass er aufwacht, damit es uns besser geht. Aber unser Sohn hat seinen eigenen Zeitplan, und er macht ihn ohne uns.
Einen kleinen Schutzengel habe ich über sein Bett gehängt, eine Kollegin schenkte ihn mir heute.
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Liebe Leser,
ich habe nur noch etwa eine Stunde am Tag Ruhe. In dieser Zeit schreibe ich hier, denn es tut mir gut, das eine oder andere loszuwerden und ihr wisst, wie es dem Jungen geht. Bitte versteht, dass ich niemanden anrufe oder zurückrufe und keine e-mails schreibe. Es sind viele, die Anteil nehmen, ich habe die Zeit nicht. Aber ich weiß, dass ihr an uns denkt und ich danke euch. Eure guten Wünsche und Gedanken kommen bei uns an.