Er war nicht mehr so außer sich wie gestern. Als wir kamen, schlief er, wachte aber bald auf und wir redeten über dies und das, über irgendwelche Sachen unterhielten wir uns, nichts Wichtiges. Wir haben aufgehört, ihn in unsere Welt locken zu wollen. Er wird noch etwas in seiner eigenen bleiben und so nickten wir nur, als er mit dem Auto nach Gottweißwohin fahren wollte. „Natürlich“, sagten wir, „später,“ und „nein, Oma besuchen wir heute nicht,“ und „ja ich kenne das Helikopter-Spiel, das du mit deinem Bruder immer machst.“ „Über was für einen Rhabarber labern wir eigentlich?“ erkannte selbst er irgendwann.
Seine Geschichten handeln von Alltäglichem in neuen Verknüpfungen, und er vergisst sie, bevor sie zu Ende erzählt sind. Noch immer klingt seine Stimme hoch, anders als früher. Der Arzt meint, er entwickle sich gut, wenn man auch nie genau sagen könne und so weiter und so fort. Die Pfleger höre ich lieber: „Das haben wir öfters, die kommen alle wieder zu sich.“
Er brachte uns zum Lachen (Zur Krankenschwester: „Und du? Wer bist du? Stehst hier rum und siehst gut aus?!“) und erst als wir uns verabschiedeten, fing er wieder an zu agitieren. Schlug das Betttuch zurück, wollte raus, „was soll ich hier? Ich bleib doch nicht bis morgen hier liegen!“ und wurde böse. Eine Pflegerin gab ihm etwas zum Beruhigen, er leidet in diesem Zustand, weil er nichts versteht. Ein paar Mal hatte ich heute den Eindruck, er merkt, dass sein Kopf nicht wie sonst arbeitet. Immer wieder horchte er in sich hinein und schien sich zu wundern.
Wie es sich anfühlt, das Zurückkommen, beschrieb ein Bekannter, der einen schweren Motorradunfall überlebte. Wie durch eine Wand nehme man die Umgebung wahr. Menschen, ihre Gesichter, ihre Worte dringen schwer durch. Sich mitzuteilen braucht Kraft, denn auch das presse man durch eine Wand. Wir wollen ihm Zeit geben. Wenig reden, keine Fragen stellen, nichts erörtern. Nur da sein. Ihn reden lassen. Seine Hand halten.
Am Freitag wird der linke Arm und der rechte Zeigefinger operiert, ich nehme an mit einer kleineren Operation testet man, wie sein Gehirn die Narkose verträgt. Seinem Freund wurde gestern viele Stunden lang das Gesicht rekonstruiert. Er war seit dem Unfall in einem künstlichen Koma gehalten worden, und heute wachte er zum ersten Mal auf. Mit dem gebrochenen Kiefer kann er nicht sprechen, die Augen sind verbunden. Aber auf Ansprache reagiert er, und seine Eltern sehen wie wir das Positive, sind glücklich über jedes winzige Nicken.
Hab ich erzählt, dass der Sohn des Fahrers angerufen hat, um sich nach unserem Jungen zu erkundigen? Sein Vater ist allem Anschein nach wieder zu Hause, stehe noch unter Schock.