So wie ich vorher war, vor dem Unfall meines Kindes, so bin ich nicht mehr. Eine ausgeprägte Niedergeschlagenheit lähmt mich seit ein paar Monaten, nachts finde ich keinen Schlaf, Herz und Gedanken rasen, ich habe Angst: Vor Krankheit, vor der Zukunft, vor jedem einzelnen Tag und was er bringen könnte. Da es nicht besser wurde, ging ich zum Arzt und erhielt ein Medikament. Es funktioniert. Morgens habe ich jetzt wieder Mut, aufzustehen. Das Kantige des Alltags landet in einer fluffigen Hülle aus Citalopram, nur ein Teil davon dringt zu mir durch. Ich habe etwas Ruhe gefunden und bin fast versucht, die Tabletten wieder wegzulassen. Jetzt bin ich ja wieder „Ich“. So, wie ich mich kenne. Oder war der Scherbenhaufen der letzten Monate „Ich“?
Kann es sein, dass man Pharmaka braucht, um zu sein, wie man ist? Oder macht das Leben uns mitunter zu jemand anderem, mit einem neuen „Ich“, das es anzunehmen gilt? Habe ich den richtigen Weg gewählt, zur vertrauten Stärke zurückzukehren mit Hilfe von Chemie, oder wollte mir meine Erschöpfung etwas sagen? Habe ich es verpasst, eine Entscheidung zu treffen, die anstand? Zum Beispiel: das eine oder andere loszuwerden?
Dazu war ich gar nicht in der Lage. Verängstigt unterließ ich alles, was für den Augenblick noch mehr Aufruhr bedeutet hätte. Nun hat das reparierte starke „Ich“ über das niedergeworfene zu befinden wie ein Firmeninhaber über den Nachfolger, der nicht an ihn heranreicht. So stark wirkt das Medikament eben nicht, dass ich den Mut hätte, abzustellen, was nicht gut tut. Sogleich kriecht da die Angst wieder hoch vor den Folgen und vor der Unsicherheit. Ich komme zu keinem Schluss.
Wenn du jeden Tag Vitamine nimmst, fühlst du dich doch auch anders als ohne! Bist du deshalb nicht mehr du selbst? Schon mit dem, was du isst, kannst du deine mentale Verfassung beeinflussen. Aber es ist doch dein „Ich“, das entscheidet, Vitamine zu nehmen, um besser drauf zu sein, oder bestimmte Tabletten. Klar in Kriegszeiten hatte man diese Möglichkeiten nicht, aber da waren bestimmt auch viele Leute nicht sich selbst. Denk ich mal.
LikeLike