Wer wird denn gleich in die Luft gehen!

Bis zu 90 % aller Berufstätigen gehen morgens mit dickem Hals zur Arbeit. Nicht weil sie erkältet sind, sondern weil sie sich verschlucken beim Gedanken an den Tag. Für all jene, die von einer besseren Stelle träumen, hat der Buchmarkt gerade das passende Werk ausgespuckt. Die Autoren von „Warum es egal ist, für wen Sie arbeiten“ stellen klar: Beim nächsten Job wird alles gleich. Krümel gibt’s in jedem Bett, ändern kann man meist nur sich selbst und wie man die Dinge sieht.

Dazu fällt mir mein Nachbar ein. Er und alle Mitarbeiter in seiner Abteilung leben in Angst vor dem aufbrausenden und ungerechten Chef. Keiner geht gerne zur Arbeit. Was können sie ändern an sich oder ihren Sichtweisen? Den Abteilungsleiter, der mit seinen Ausbrüchen jeden als Deppen dastehen lässt, mit „nobody’s perfect“ abhaken? Der weinenden Kollegin zu realistischeren Erwartungen raten?  Eine sichere Stelle hat der Nachbar zwar in dieser Firma, auch nette Kollegen und Spaß an der Arbeit an sich. Nur diesem Vorgesetzten wollte er am liebsten ins Gesicht springen, mit den Fußballen voraus. Warum er es doch nicht tat? Weil er sich mit dem Schlamassel auseinandersetzte anstatt zu plärren.

Zunächst erkannte er, wie wenig es hilft, von allen geliebt zu werden. Möglicherweise ist es das, was Choleriker spüren, jagen und ausweiden. Sich hinstellen, Mut zeigen und den eigenen Standpunkt vertreten – dafür wird man nicht von jedem geliebt, von den Meisten aber respektiert. Auch von Hitzköpfen.

Zweiter Schritt: Selbstbewusstsein auf Vordermann bringen. Erkennen, wo man gut ist und es sich so lange vorsagen, bis es tief drinnen angekommen ist und nie wieder heraus will. Gelassenheit üben hilft auch, doch entwickelt es sich oft von selbst, wenn man den tollen Kerl in sich erst kennengelernt hat.

Danach lernte er, Ungerechtigkeiten nicht persönlich zu nehmen. Jähzornige Menschen suchen in ihrem Unmut Fußabstreifer, und wen sie erwischen, der kriegt es ab. Mit einem selbst hat das nichts zu tun, es könnte jeder andere sein, der in solchen Momenten genau dieselben Watschen bekäme.

Hilfreich ist auch Mitgefühl. Sie haben es ja nicht leicht, die HB-Männchen und -Weibchen. Welche Energie braucht es wohl für die täglichen Koller, und erst recht für die schwierigen Beziehungen in ihrem Leben, wenn es überhaupt welche gibt. Dabei versteckt sich unter dem explosiven Schutzmantel meist doch nur ein Würstchen, das Angst hat entdeckt zu werden.

Abschließend schärfte mein Nachbar seinen sarkastischen Blick auf den Arbeitsalltag, denn er wollte auch Spaß. Die Besprechungen im obersten Stock wurden zum Kabarett. Er beobachtete den Bauch des Chefs, der vibriert, wenn er nicht nachgibt.  Kleine Bemerkungen setzte er ein wie Nadelstiche, um sein Opfer beim programmierten Hochsprung zu erleben. Das falsch ausgesprochene Fremdwort überbrachte er zur Unterhaltung aller umgehend an die Belegschaft.

Wenn mein Nachbar heute zur Arbeit geht, hält er das Kinn nach oben. Und wenn er abends Aktuelles aus dem Büro vermeldet, lacht er sich schlapp. Zum Beispiel über das rosa gemusterte Hemd neulich. Seiner Frau sei wohl längst egal, wie die rollende Schweinebacke, mit der sie verheiratet ist, morgens das Haus verlässt. Das klingt böse, ist es auch. Für meinen Nachbarn ist es Therapie. Er gehört jetzt zu den 10% der Beschäftigten, die zur Arbeit gehen ohne Schmerz.

„Warum es egal ist, für wen Sie arbeiten“

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