Wie Millionen andere Frauen werde ich pünktlich zur Weltmeisterschaft Fußball-Fan. Natürlich bin ich morgen dabei, wenn Deutschland den Australiern zeigt, wo der Hammer hängt. Es war aber auch keine Frage, welches Spiel ich als erstes sehen würde: England gegen USA. Heute.
Ich gebe zu, wenn ein Tor fällt, tu ich mich manchmal schwer zu erkennen, ob es das richtige war. Deshalb prüfe ich immer erst die Umgebung, bevor ich anfange zu jubeln oder zu trauern. Als heute nach wenigen Minuten der Ball schon ins Tor traf, wandte ich mich daher zu meinem Liebsten. Der blickte mit halb geschlossenen Augen und hochgezogenen Augenbrauen vor sich hin und ich gab mich also enttäuscht. Offenbar hatte ein Amerikaner das Tor geschossen. Die Wahrheit ist aber: Es war ein Engländer. Mein Darling ist eben nicht nur fußballbesessen, sondern auch – very British. Erst die Einblendung im Fernseher gab mir die Sicherheit, die Arme hochwerfen zu können. Da war es dann aber irgendwie zu spät.
Das zweite Tor fiel eine halbe Stunde später und jetzt schüttelte er den Kopf und lachte. Das irritierte mich, denn auf dem Bildschirm war nicht derselbe Torwart zu sehen wie beim ersten Mal und mein Scharfsinn gab mir Recht: ein Amerikaner war diesmal der Schütze. Was daran den Briten neben mir amüsierte, verstand ich wieder nicht.
Engländer lachen und schweigen an ganz anderen Stellen als Deutsche.
Engländer sind meistens sehr höflich und richten sich grundsätzlich nach dem Verhalten ihrer Nachbarn. Sie sind daher irritiert, wenn sie glauben, mit ihrem Verhalten ihren Nachbarn eine Orientierung geben zu müssen. In unklaren Situationen kommt es daher oft zum Verhaltensstau aus Unsicherheit. Diese wird von anderen Engländern als Zurückhaltung und Snobismus missverstanden. Ungeachtet dieser Fehlinterpretation wird aber aus Höflichkeit versucht, dieses Verhalten zu imitieren.
Durch die Inselsituation und die dadurch bewirkte Isolation kommt es nun zu Verhaltensverstärkung und und zu unkontrollierter Verbreitung auf engem Raum.
Einzelnen männlichen Exemplaren gelingt es, solche Entwicklungen bis hin zum Gentleman zu verdichten und leisten damit einen wertvollen Beitrag zur Evolution.
Auf dieser Stufe gelingt es dem Engländer, einen Treffer der eigenen Mannschaft zu bedauern und einen eingehandelten Treffer freundlich willkommen zu heißen. Die Benutzung einer Vuvuzela ist dabei nicht vorgesehen.
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Hallo Rolf,
danke für diesen herrlichen Beitrag! Zumindest während Fußballspielen bin ich dann wohl schon britisch geworden, da auf Orientierung angewiesen. Wenn es auch noch nicht so in die Tiefe geht wie bei meinem Mann. Aber wer weiß, vielleicht verdichte ich mich ja noch und werde auf meine alten Tage zur Gentlewoman? 😉
Jedenfalls hatte ich es beim Spiel heute Abend leichter: alle Treffer in dasselbe Tor, um mich nicht zu verwirren, ich finde das rücksichtsvoll. Umso mehr, da es sich um das australische handelte. So hatte ich es mir vorgestellt! *jippiiiihhh*
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