Facettenreichtum

Am Bürostuhl vorbeifegen und in den Chefsessel plumpsen. Hinter einem mächtigen Schreibtisch. Dort bleiben und herrschen, ein Jahr, zwei Jahre, länger. Wie das wäre, versuche ich mir gerade vorzustellen. Ich sitze neben dem Azubi, der immer noch nach der richtigen Datei sucht. „Nicht da,“ flüstere ich heiser und zeige auf den Bildschirm, „das ist der falsche Ordner, der drüber …“ An einer Stelle hinter meinem Magen zupft etwas wie ein Kätzchen, das raus will. Ein Eilauftrag röhrt nach Bearbeitung, ich will nicht hier sitzen und warten auf den entscheidenden Klick.

Der Junge ist 18. Arbeitet bei uns seit ein paar Wochen, die erste Stelle, intelligent ist er. Wühlt nicht so flink in den Verzeichnissen wie ich, ansonsten: Denkt mit. Hat Ideen. Und alles, was  mir dazu einfällt ist, an meinen verhakten Fingern zu zerren, weil er eine Anweisung missversteht und durch die Ordnerstrukturen irrt.

Wenn jetzt niemand da wäre, mich zu bremsen. Wenn niemand es wagen würde, sich zu äußern. Kein Kollege die Stirn runzelte vor mir. Wenn es in der Firma die normalen Hindernisse  gäbe in Form eines Menschen und mich: gehüllt in Macht, zerrupft durch Überlastung, Profitsorgen, Verantwortung. Dazwischen nur mein moralischer Anspruch an mich selbst, mein Charakter. Hier werde ich unsicher. Welche Facetten würden wohl nach oben gespült?

2 Gedanken zu „Facettenreichtum

  1. Anhora Autor

    Wir haben eine sensationelle Kaffeemaschine im Büro, mit frischgemahlenem Pulver und so. Der Azubi muss hier also kein Talent vorweisen. Dafür muss er öfters zum Brötchenholen gehn und sowas. Das macht er (meistens) gut!

    Like

    Antwort
  2. T.M.

    Und, kann er ordentlich Kaffee kochen? Mein erster Kaffee (ich trank selber fast noch gar keinen) für ein Team von acht Leuten sah aus wie Tee. Dünner Tee genaugenommen, und zwar Kamillentee. Meine Betreuerin blickte in die Kanne, grinste und goss mein Elaborat einfach fort. Wortlos. Mittags grinste sie wieder, nur war diesmal der Grund der Kanne nicht mehr zu erkennen. Und es wurde auch nix mehr weggegossen.

    Like

    Antwort

Das Absenden eines Kommentars gilt als Einverständnis dafür, dass Name, E-Mail- und IP-Adresse durch WordPress bzw. Gravatar gespeichert und verarbeitet werden. Dies dient der Nachverfolgbarkeit bei Missbrauch und Spam. Lasst euch trotzdem nicht abhalten, ich freue mich auf eure Meinungen! :-)

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..