Neulich bei Edeka

Ich schiebe den Einkaufswagen zur Kasse, stütze mich gemütlich auf den Handlauf und warte in Ruhe, bis ich an der Reihe bin, da rüttelt mich jemand am Arm. „Ja hallo, du hier?“ Eine ehemalige Kollegin von früher, von viel früher, steht da wie frisch gebügelt. Sie habe gerade Mittagspause und sei kurz hier vorbeigehuscht, sollte schon wieder bei der Arbeit sein, viel zu tun, aber find mal einen Parkplatz usw. Ich lasse sie vor. „Oh danke, das ist lieb, wirklich.“ Mehr fällt uns nicht ein, was zu bereden wäre, wir verabschieden uns. Da dreht sie sich noch einmal um: „Hast du heute frei?“

Nein, habe ich nicht. „Ja!“ rufe ich hinterher und zeige grinsend mit den Daumen nach oben. Es ist ja Pfingstzeit. Glaubwürdig genug. Wenn sie mich zum zweiten oder dritten Mal erwischt, muss ich wohl erklären, dass ich keinen Job habe. Heute ging es zu schnell. Da hab gelogen, war am Einfachsten. Man will das nicht jedem erzählen.

15 Gedanken zu „Neulich bei Edeka

  1. Anhora Autor

    Ich stimme dir zu: Eine Leistungsgesellschaft sind wir nicht, denn das würde bedeuten, dass Leistung durch andere jederzeit gewollt und gefördert wird und dadurch viel Leistung möglich ist. Ich weiß nicht, wie man unsere Gesellschaft bezeichnen soll. Auf jeden Fall bleibt manchen von uns gar nichts anderes übrig, als aufzustehn und eine andere Ecke aufzusuchen, in der es sich leben lässt. Aber auch hier gebe ich dir Recht: Sowas will gelernt sein. Danke für die Denkanstöße in diesem scharfsinnigen Beitrag.

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  2. RK

    In einer Leistungsgesellschaft – so bezeichnen wir uns ja gerne manchmal, wenn auch m.E. falsch – werden diejenigen, die aus der Sicht der Leistenden derzeit nichts leisten dürfen (arbeitslos) oder können (krank, behindert …) oder nicht wollen (Suchende, Lebenskünstler, …) schnell ausgesondert und auch gerne in einen Topf miteinander verwechselt. Der Einfachheit halber wird Leistung mit Gehalt oder Vermögen gemessen.

    Diese banale Sichtweise berücksichtigt nicht die tatsächlichen Bedingungen einer kapitalistischen Gesellschaft, in der ererbtes Vermögen höher bewertet wird als durch Chefgehabe oder Arbeitslosigkeit vernichtete Leistungsfähigkeit. Daher: Unsere Gesellschaft ist keineswegs eine Leistungsgesellschaft, sondern eine Gesellschaft, die täglich Leistungen ignoriert (Krankenschwester, Pfleger, Eltern, Nachbarschaftshelfer, …) oder diese erst gar nicht will (z.B. Arbeitslose). Das ist nicht nur ein individuelles Problem, sondern Zeichen einer Gesellschaft, die perspektivlos in die Zukunft humpelt.

    Wer aus welchen Gründen auch immer in dieser Außernseiter-Position steckt, sollte seine Situation illusionslos analysieren und daraus Schlüsse für sein Leben ziehen. Die romantisierende Akzeptanz der Lage (das eigentliche Leben entdecken…) oder der politische Kampf um bessere Daseinsformen zeigen als entgegengesetzte Pole die Bandbreite der Möglichkeiten auf, die wählbar sind. Irgendwo dazwischen richtet man sich ein, je nach persönlicher Resignation oder Widerstandskraft.

    Wer viele Jahre seines Lebens geleistet hat, wird selten von heute auf morgen zu einem zufriedenen und philosophischen Zeitverbraucher mutieren können. Wenn man das werden möchte (ein durchaus akzeptables Ziel), benötigt eine Zeit der Reifung. Auch die eventuelle Entscheidung für die Widerstand gegen die derzeitige Lage muss reifen. Wer zu früh trotzig durch die Wand will, ermüdet rasch.

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  3. sonnenblumenbummsbluete

    Mit dem Wort Gesellschaft verbinde ich eine große Herde dummer Schafe, die sich mit ihrem Gruppenzwang selbst in eine Sackgasse treibt. Sie merkt es nicht, da sie viel zu wenig hinterfragt. Es ist krank, dass Berufe wie Burnout-Therapeuten und Freizeitberater am Boomen sind. Du bist ein schwarzes Schaf, das auch krank ist, aber im Gegensatz zu vielen anderen auf dem Weg zur Heilung. Darauf solltest du stolz sein! Sie können von dir lernen. Ob es irgendwann bunte Schafe gibt?

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    1. Anhora Autor

      Danke für den Zuspruch! Bunte Schafe gibt es wohl nie innerhalb einer Herde. Der Mensch ist kein Einzeltier wie Katzen z.B.. Wir wir suchen die Gemeinschaft, das hat uns in der Vorzeit überleben lassen und es verunsichert auch heute noch, nicht mehr zur Herde dazugehören zu dürfen.
      Um sein eigenes Ding zu leben, abseits der sicheren Gruppe, braucht es Stärke. Die ist nicht jedem gegeben. Man muss sich immer wieder selbst an die Hand nehmen und bewusst machen: Mein Leben gehört mir.

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    2. T.M.

      Danke für den ersten Satz.

      P.S.: Hier drüben steht eine Herde bunter Schafe. Das kommt, weil der Bauer die irgendwie obendruff markiert hat. Rote, blaue, gelbe, grüne. Keine Ahnung, was die Farben bedeuten ….. Wahrscheinlich Steigerungen von Schwarz.

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  4. sweetkoffie

    Wieso ist einem das eigentlich unangenehm?
    Arbeitslos sein ist doch keine Schande und auch kein persönlicher Makel. Dazu kommt man heute schneller als an 6 Richtige im Lotto.
    Es ist traurig, dass soviele Menschen ohne Arbeit sind und mindestens genauso traurig, dass viele von ihrer Arbeit nicht mehr leben können. Dafür muß man sich nicht schämen.

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    1. Anhora Autor

      In unserer Gesellschaft zählt sichtbare Leistung. Geld. Macht. Deshalb schaut man nicht nur auf Arbeitslose nieder, sondern auch auf Hausfrauen, Kranke, Behinderte … selbst Kinder und alte Menschen können nicht sicher sein, wofür sie eigentlich gehalten werden. So ist das wohl in Wohlstandsgesellschaften, wenn man keine anderen Probleme hat.

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      1. sweetkoffie

        Anhora, deshalb wird es Zeit, dass man endlich nicht mehr darauf eingeht, was „die anderen“ von einem denken.

        Im Laufe meines recht bewegten Lebens habe ich gelernt, dass die, die am lautesten schreien und mit Fingern auf andere zeigen, die meisten Leichen im Keller und den gröbsten Deck am Stecken haben.
        Und denen, die meinen mir was über mein Leben erzählen zu müssen, denen antworte ich:
        Schlüpf in meine Schuhe und geh damit meinen Weg, dann werden wir uns nochmal darüber unterhalten.

        Auf Andere zeigen hat m.E. was mit Macht zu run, die derjenige glaubt zu haben. Das funktioniert aber nur solange, wie das Gegenüber mitspielt.
        Du kannst heute noch so einen tollen,gut bezahlten Job haben, oder noch so gesund und fit sein , morgen kann alles schon ganz anders sein un d Du stehst auf der anderen Seite der Gesellschaft.

        LG

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        1. Anhora Autor

          „Macht … funktioniert aber nur solange, wie das Gegenüber mitspielt.“
          Das ist der entscheidende Satz! Die Gesellschaft und ihre Denkweisen kann niemand ändern. Wir können uns nur selbst ändern.

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          1. sweetkoffie

            Genau das wollte ich damit ausdrücken. Zu diesem „Spiel“ gehören immer 2 !! WIR ALLE sind die Gesellschaft, jeder kann sich verändern, sein Tun, seine Sichtweisen.
            Das ist wie beim Tischtennis, wenn ich den Ball, statt in die gewohnt, in eine ganz andere Ecke schmettere, dann muß das Gegenüber sich bewegen. 🙂

            Allerdings muß man die individuelle „Schmerzgrenze“ eines Jeden berücksichtigen. Die scheint bei sehr vielen Menschen sehr hoch zu sein, sie scheuen Veränderungan an sich selbst. Liegt das an der Bequemlichkeit, sind sie einfach zu „satt“?

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  5. David von Schewski

    Klar, soo einfach ist es natürlich nicht, vor allem ehemaligen Kollegen gegenüber nicht. In der Situation wa rich bisher gottlob noch nicht, manchmal erfinde ich aber einfach blöde Berufe und sage ich wäre das und wenn Nachfragen kommen erfinde ich was dazu, sowas trainiert die geistige Flexibiliät und die Schlagfertigkeit;-) Warum ich es vor Ex-Kollegen nicht sagen würde?Hm, das liegt eher an der Art wie das en detail ablief bei mir. Wäre alles im Guten gelaufen mit denen, dann wär ich da auch offen, aber so, nö.

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    1. Anhora Autor

      Wenn ich es mir recht überlege: Ex-Kollegen sind tatsächlich das Blödeste, was einem begegnen kann. Wenn ich also ein paar Ideen brauche für kreative Antworten, werde ich mich ggf. vertrauensvoll an dich wenden. 😉

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  6. Anhora Autor

    Mir fehlt noch die Übung fürs richtige Vorgehen! Im Moment bin ich eh krankgeschrieben, ich könnte also das sagen. Aber dann wird nach der Krankheit gefragt und man muss benennen, was eigentlich keine Krankheit ist, lt. Krankenkasse: Burnout. Darüber will ich auch nicht reden.

    Ich denke jedenfalls wie du: Wozu sich etwas vormachen, man kann es ebensogut aussprechen. Arbeitslos. Allerdings versteh ich deine Freundin. Man muss sich leider in unserer Gesellschaft darum anschauen lassen, nicht nur du, sondern auch sie. Vielleicht übst das Wort „arbeitssuchend“ mal. Ist ja nicht schwer. 😉

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  7. David von Schewski

    Na, warum eigentlich nicht? Ich selbst mache mir da ja inzwischen das draus, was man einen „inneren Reichsparteitag“ nennt, wenn das Thema darauf kommt. Meine Freundin meint zwar manchmal pikiert, ob ich nicht wenigstens, wenn sie dabei ist, anderen gegenüber das Wort „arbeitssuchend“ verwenden könnte, aber nö, ich sag „arbeitslos“. Wenn mir danach ist, setzt ich manchmal sogar noch so einen leidvollen Gesellschaftsausgestoßenen-Bick auf, das kommt immer ganz gut…;-)))

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