Ich dachte: Bei einer Bestattung wird ein Verstorbener der Erde übergeben, um wieder zu Erde zu werden usw., man betet, verabschiedet sich, hängt stillen Gedanken nach. Aber so ist es nicht. Da vorne wird kein Dahingeschiedener beigesetzt. Da wird ein Mensch in der Erde vergraben! Einer, mit dem ich noch vor wenigen Wochen in einer Eisdiele saß und plauderte. Eine Mutter, eine Ehefrau, eine Tochter in einer Holzkiste, darin liegt sie jetzt in einem weißen Bett und wird getragen von vier Männern, einer davon Stefano. Ein Onkel schreitet voraus, groß, ernst, und hält das Holzkreuz mit ihrem Namen hoch. Wir folgen langsam, knirschend auf dem Kies, schauen zu, wie Stefano’s Frau weggebracht wird, heraus aus der blühenden, bekränzten, über und über geschmückten Halle, hin zu einem Erdloch.
Niemand sagt etwas. Ein paar Frauen weinen, Männer auch, so kommen wir zum Stehen und müssen zusehen, wie der Kasten aus Eichenholz mit der jungen Frau darin über einer Grube auf zwei Holzträger gestellt wird. Darauf Seile, die die Männer nun von jeder Seite fassen und ein wenig hochziehen. Flink schieben ein paar Hände die Balken darunter weg und der Sarg schaukelt über dem offenen Grab. Vorsichtig lassen sie ihn in die Tiefe. Er ächzt und schwankt, verkantet sich auf halbem Weg und klemmt schief in der Grube. Stefano’s Frau wird wieder ein Stück nach oben gezogen, ein letztes Nichtwollen, ein letztes Hoffen, es ist ja nur ein abscheulicher Traum, gleich geht der Deckel auf und wir können alle sehn, dass sie schläft, mit geröteten Wangen, gesund und schön, aber nein.
Jetzt haben sie sie in die Waagrechte zurück gebracht, die Seile rutschen wieder durch die Hände der Männer, der Sarg sinkt hinunter, zwei Meter oder mehr, und setzt auf. Vielleicht liegt die Tote jetzt nicht mehr auf dem Rücken, sondern auf der Seite. Vielleicht lag sie auf der Seite und drehte sich zurück, man wirds niemehr wissen, wie sie da liegt, oder ob später ihr Gesicht nass wird, wenn es regnet. Oben krümmt sich weinend die Mutter, der Bruder steht erloschen hinter ihr, Stefano blickt hinunter zu seiner Frau, hebt hilflos die Hände.
Einer nach dem andern verabschieden wir uns von ihr. Die Familien, deutsche und italienische, Freunde, Kollegen, viele. Wir sprenkeln Weihwasser und lassen Rosen hinunterfallen, „endgültig“ klagt jede einzelne von ihnen, die auf das Holz des Sargs trifft. Ihre Blüten trösten nicht. Da liegt ein Mensch in einem Loch, und nach den Blumen folgen Erdklumpen. Laut, kalt, schwer.
@amanda, @Sonja, @Sofasophia: Ja, es ist zu hoffen, dass nicht alles ausgelöscht ist.Dass es die Seele noch gibt und dass es ihr gut geht. Der Körper hat so gekämpft, sie wollte nicht sterben und hat bis zum Schluss nicht daran geglaubt.
Danke für eure Kommentare.
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ach, noch was: der titel ist ebenfalls sehr passend …
ich bin soo berührt …
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wie du beschreibst … so traurig-schön, so … so … unbeschreiblich … danke, dass du uns daran teilhaben lässt …
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So etwas ist unbegreiflich- auch nach dem von Dir so detailliert beschriebenen Eingrabritual…Meine Seele kann nur hilflos „Hilfe“ schreien….
Lieben Gruß von Sonja
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Was bleibt ist die Hoffnung, daß die Seele nicht dort unten liegt, sondern daß sie über den Menschen schwebt und sanft die Tränen von ihren Augen abwischt …
Hast Du sehr ergreifend geschrieben, den Text …
Sende liebe Grüße.
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