Kraftakt

In dieser Jahreszeit – mir entfällt gerade, wie ich sie benennen soll – macht ein warmer Nachmittag wie gestern aus jedem Zauderer einen Hans im Glück und in meinem Fall eine Hänsin im Glück. Ich ignoriere also alle Meldungen, lasse das Auto stehen und ziehe das Fahrrad aus der Ecke, das aus Langeweile sowieso schon vor sich hinmault. Fröhlich pfeifend radle ich davon und treffe mich mit einer Freundin im Straßencafe. Wir plaudern und schauen über den Platz, aus allen Löchern kriechen Menschen und fragen sich wohl, was das komische Helle da draußen ist: Ach so, die Sonne. Kennen die Älteren noch von früher. Ich bestelle „Strammen Max“ und lege meine Jacke ab, in den Hauswänden steckt schon Wärme und wir wollen glauben, dass die dunklen Tage vorbei sind, dass dies der Beginn besserer Zeiten ist. Wir wollen, dass es endlich Sommer wird.

Nach wenigen Stunden folgt die Einsicht, dass der Wetterbericht Recht hatte, denn während wir uns über Mütter und Männer unterhalten, fährt mir auf einmal kalter Wind ins Kreuz. Wir schauen zum Himmel und er ist grau geworden, eine fette Regenwolke geht gerade in Stellung. Hatten wir nicht bemerkt, oder nicht bemerken wollen? Ich stelle sofort der Bedienung ein Bein und zahle, dann spüle ich den Rest meines Tees hinunter, umarme hektisch die Freundin, die mit Schirm und Auto ausgestattet freilich entspannt bleibt. Ich aber werfe mich auf mein Fahrrad und jage davon, als wäre der Teufel hinter mir her. Nein, ein Regenguss schreckt mich nicht, es ist im Gegenteil originell. Wann spürt man schon Wasserperlen im Gesicht oder Bächlein, die in den Nacken rinnen oder nassen und schwer werdenden Stoff, der auf der Haut klebt, bis man daheim alles herunterreißen und sich in verführerisch trockene Sachen hüllen kann! Es ist ein eigener Genuss.

Aber diesmal habe ich meine Lederjacke an, und ich bin nicht sicher, ob sie vom Regen durchgeweicht noch dieselbe wäre. Außerdem ist das nagelneue Handy in der Tasche nicht vor Nässe geschützt. Kurz und gut: Ich schaffe die Strecke nach Hause in Rekordzeit, komme trocken an aber fast mit einem Herzkasper und der Stramme Max hängt mir in der Gurgel. Den Rest des Abends ist mir schlecht.

Und heute morgen, als ich aus dem Fenster sehe in den kalten, tropfenden Tag, auch.

4 Gedanken zu „Kraftakt

  1. notiznagel

    Gute Erholung, anschaulich beschriebst du deinen Kraftakt. Hoffnung zum Wetter macht der 100-jährige Kalender, Anfang Juni soll es besser werden. Wer glaubt es?

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  2. Sofasophia

    grandios ironisch geschrieben, liebe anhora. ich bin gestern, als du heimgeradelt bist, aber es tropfte bereits, im gewittersturmwind zur post ge… nein, nicht geradelt, auch nicht gerannt. vielleicht würde walken zutreffend, hätte ich denn stöcke gehabt. kleine runde. kaum zuhause ein wolkenbruch vom feinsten.
    ich mag ja gewitter, aber nachher müsste es wieder schön und warm sein … tja … danach war es sieben grad kälter. ich glaube, es ist vor allem diese kälte, die mir zur gurgel raus hängt.

    aber gell, wir geben die hoffnung nicht auf.

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