Kulturaspekte

Wir treten in einen Raum, in dem mehrere Sofas und Ohrensessel mit geschwungenen Armlehnen und dicken Polstern zu kleinen Gruppen angeordnet sind. Blumenbilder und Holztäfelungen schmücken die magnoliengelb gestrichenen Wände, schwere Satinvorhänge rahmen die Fensterfront und ein weicher Teppich dämpft jedes Geräusch. Es klingt hier wie an einem Wintertag, wenn es frisch geschneit hat. Auf einem Servierwagen aus Messing steht ein Geburtstagskuchen mit neun Kerzen.

In einer der Polstergruppen hat sich eine Abordnung betagter, hübsch gemachter Damen niedergelassen und plaudert lebhaft. Gleich betritt Inspector Barnaby den Raum und lässt sich von ihnen an der Nase herumführen, möchte man meinen. Aber wir sind nicht im Film. Wir befinden uns in einer Einrichtung für betreutes Wohnen in Liverpool, meine Schwieger-Mum wird heute Neunzig. Umgeben von ihren Freundinnen sitzt sie im schneeweißen Strickwestchen um die schmalen Schultern auf einem mächtigen Sofa und ihre Augen leuchten: Besuch aus Deutschland.

Wir nehmen Platz, bringen Geschenke, die Geburtstagskarte wird herumgereicht, die Ladies betrachten uns interessiert. Nach einer Weile steht eine nach der andern auf, greift nach ihrem Gehstock aus verziertem Holz, dann wackeln sie gemeinsam zur Tür hinaus.

Es sind die Details. Ich denke an die Einrichtung, in der meine eigene Mutter lebt: Weiß getüncht, verglast, verchromt, Sitzmöbel mit Kunstlederbezügen, PVC. Die Begegnungsräume sind nicht unfreundlich, es gibt auch Blumen und kleine Dekorationen, alles perfekt gestaltet, effizient verwaltet und ich denke, während sich neben mir das Geburtstagskind und ihr Sohn unterhalten: Wenn ich in diesem Alter bin, dann möchte ich lieber hier sein als in Deutschland.

4 Gedanken zu „Kulturaspekte

    1. Anhora

      In der Kürze liegt die Würze, deshalb hab ich in dem Artikel nicht noch die vielen Details in der Einrichtung erwähnt, und das entspannte Personal – die scheinen wirklich Zeit zu haben! Unvorstellbar in Deutschland. Und dann kostet’s auch noch weniger als bei uns …

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      1. snoopylife

        Tja. Frage mich immer, wieso das dort geht, bei uns aber nicht. Nur am Geld kann es ja nicht liegen, sonst wären wir eines der ärmsten Länder der Welt. Oder? Gruß von Snoopy und danke für den Bericht, man findet (ich finde!) leider so wenig konkrete Beschreibungen aus Seniorenheimen oder WG’s aus anderen Ländern.

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        1. Anhora

          Hallo Snoopylife, ich freu mich über deinen Besuch. In diesem Seniorenheim war ich schon ein paar Mal, im Prinzip ist Aufteilung und Organisation wie bei uns. Aber die Einrichtung ist halt englisch, also Stilmöbel und Plüsch, wie man es aus Filmen kennt. Es wirkt einladender, und die Menschen auch. Die Atmosphäre ist ruhiger vor, gelassener, herzlicher als dort, wo meine Mutter lebt. Das hat mich berührt.

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