Ein Leben im Wohnzimmerschrank

Ich muss jetzt in fremden Sachen wühlen. Sortieren, was mir nicht gehört. Überlegen, was meine Mutter noch braucht in der Pflegestation. Die Wohnung muss so schnell wie möglich geleert werden, denn die Miete ist hoch, der monatliche Pflegesatz noch höher.

Ich finde Schreiben und Dokumente, die mich nichts angehen. Mappen mit der Aufschrift „Privat“. Verschlossene Umschläge. Ein rotes, schnörkelig verziertes Schnapsglas mit Goldrand, das ich noch aus meiner Kindheit kenne. Sie hat ihren Gästen Slibowitz darin eingeschenkt oder Ouzo, oder Jim Bimm, wenn sie an den Wochenenden Party machte. An die Namen dieser Getränke erinnere ich mich gut.

Zwischen Papierstapeln liegt ein Seidenbild. Es stammt aus den Anfängen ihrer Zeit als Hobbykünstlerin, bevor sie Aquarell, Öl und Acryl entdeckte. Sie belegte hunderttausend Kurse und es gibt eine schier endlose Zahl an Werken, die daraus hervorgingen. Gemälde in Pink, Gelb und Blau, aber auch zarte Blumenbilder in unterschiedlichsten Farben und Techniken hängen bis heute an der Wand. Der Rest lagert im Keller. Den muss ich auch noch ausräumen.

Eine um die andere Schachtel oder Blechdose ziehe ich aus den Fächern, ordentlich verstaute Utensilien, Unterlagen, Schnickschnack. Jedes Ding hat seinen Platz. Genauso sieht es in meinen Schränken und Schubladen aus.

Was für eine traurige Einstimmung auf das Weihnachtsfest ist das in diesem Jahr.

12 Gedanken zu „Ein Leben im Wohnzimmerschrank

  1. schreibschaukel

    Oh je. Ich war auch einmal an diesem Punkt. Jetzt kommt mir ab und zu das eine oder andere in den Sinn, was man vielleicht hätte behalten sollen, aber damals stand ich der schieren Menge an Sachen ziemlich hilflos gegenüber. Ich beneide dich nicht darum und hoffe, du – ihr – übersteht das alles so gut, wie es eben geht.

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    1. Anhora Autor

      Es ist gar nicht mal so viel zu sortieren. Das große Ausmisten fand schon vor drei Jahren statt, als sie ins Betreute Wohnen zog. Ein bisschen was behält sie ja auch noch im Pflegeheim. Trotzdem ist es nicht schön, in ihren Schränken zu wühlen. Man fühlt sich wie ein Einbrecher.

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  2. Anhora Autor

    Vor allem die vielen Schachteln und Dosen mit Krimskrams drin kamen mir bekannt vor. Ich hab meinen Schachteltick also von ihr geerbt, ist mir noch nie aufgefallen. Und ja, wer wohl die eigenen Sachen einst ausräumen wird? Und was wird diesem Menschen dabei im KIopf herumgehen? Das hab ich mich auch gefragt.

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    1. Ulli

      erst heute lese ich dich, aber interessanter Weise war es gerade heute, als ich meine Kemenate, wie ich mein Schlafstübchen nenne, putzte und bei den Schachteln den Staub abwischte wie es wohl für die Kinder einst sein wird oder wer auch immer noch es tun wird, all diese Schachteln und Dosen zu öffnen und dann zu entscheiden: kann weg, will ich haben, oh … daran erinnere ich mich noch … und dann fiel mir ein, dass meine Mutter in ihren letzten Jahren begann viele ihrer Kleinode an uns zu verschenken, was mich damals seltsam berührte, vielleicht ist es ja Zeit einmal durch die Schachteln zu gehen?

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      1. Anhora Autor

        Hallo Ulli, schön dich hier zu sehen! 🙂
        Die Gedanken, die du beschreibst, mache ich mir in dieser Zeit natürlich auch die ganze Zeit. Was wird geschehn mit den Schachteln, Unterlagen und … Passwörtern?

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        1. Ulli

          … Passwörter … d-a-r-ü-b-e-r habe ich mir ja noch nie Gedanken gemacht, muss man sie dann löschen lassen oder verschwinden sie ienfach im Sang- und Klanglosen?
          Kopfschüttel und lächel …

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          1. Anhora Autor

            Ich denk Passwörter haben eine Halbwertzeit wie Plastiktüten! Wenn ich überleg, wie viel mein PC über mich weiß, all das Geschriebene – da mach ich mir schon Gedanken, wer mal mein Passwort erben soll. Und ob überhaupt …

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            1. Ulli

              da bin ich froh, dass ich meine Geheimnisse nach wie vor nur dem Tagebuch anvertraue und die sollen, so habe ich es verfügt, mit mir zusammen verbrannt werden, wenn ich es nicht schon vorher selbst getan habe, ich meine die Bücher verbrennen, nicht mich …

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  3. Sofasophia

    Die Sache mit der Ordnung habe ich auch so ungefähr von den Eltern geerbt. Man muss wissen, wo die Sachen sind, so spart man Zeit, muss nicht suchen. Eins meiner Kindheitsmantren. 😉 Bei dir wohl auch.
    Jedes Ding erzählt eine Geschichte.

    Wer wohl dereinst meinen Nachlass sichten wird? Und welche Gedanken und Erinnerungen wohl dabei freigesetzt werden? Hmmm …

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