Schicksal

Wenn man eine Wohnung auflösen muss, findet man viele Habseligkeiten, die eine Entscheidung notwendig machen. Behalten? Fortwerfen? Ebay 3-2-1 deins? Eine halbe Socke zum Beispiel. Was tut man damit? Das erste Bündchen ist gestrickt, dann wurden die Finger meiner Mutter zu kraftlos. Oder sie verlor am letzten Zeitvertreib, den sie noch pflegen konnte, einfach die Lust.

Ich hätte diese Wolle nicht ausgesucht: mehrfarbig in Rot und Braun, vielleicht hat eine Freundin sie ihr mitgebracht. Ich gebe die halbe Socke trotzdem nicht in den Müll, sondern stecke sie gedankenverloren in einen Korb mit anderem Kram. Zu Hause liegt sie dann eine Weile herum, weil ich noch unschlüssig bin, was ihr Schicksal betrifft. Eines Abends aber setze ich mich hin und stricke sie weiter.

Das Muster sieht nicht mal schlecht aus, nur die Ferse kriege ich wieder nicht richtig hin. Meine Mutter beherrschte es perfekt, sie hätte mir mal zeigen sollen, wie das geht. Strickanleitungen aus Magazinen kapiere ich nämlich nicht. Ich hätte auch fragen können. Aber man meint ja immer, das hat Zeit.

Wenn die Socken fertig sind, bringe ich sie ihr ins Pflegeheim.

 

Socke (l)

 

30 Gedanken zu „Schicksal

  1. maribey

    Ich finde die Vorstellung schön, dass sie von euch beiden gestrickt wird. Damit wird diese Socke eine besondere Socke, finde ich. Und berühmt ist sie nun ohnehin schon, hat sie den Weg in dein Blog geschafft 🙂 Herzliche Grüße und ich freue mich über dein Folgen, Marion

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    1. Anhora Autor

      Hallo und willkommen hier, ich freue mich über deinen Besuch. 🙂
      Danke für deinen netten Kommentar. Ja es ist wohl ein besonderes Sockenpaar, und wahrscheinlich das letzte mit „komischen Fersen“. Ich hab einen Anleitung gefunden, die ich verstanden hab. 😉

      PS: Dein Blog ist eine tolle Idee, sehr gelungen!

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  2. felsenfein

    Liebe Anhora, ich kann es soweit nachfühlen als das ich die Erzählungen von Wohnungsauflösungen kenne und um die letzte kontte ich mich drücken weil es genug Kinder gab (ich Enkelin). Es hat was ganz schön trotsloses. Und was mich auch sehr abschreckt ist diese Grenze der Intimität die ich überschreite dabei.. ich hoffe Du kriegst das hin und sag bitte bescheid wenn Du mehr zur Ferse wissen willst, ich bin passionierte Sockenstrickerin. Alles alles Liebe
    Ps.: Gute Idee die Socken deiner Mum zu schenken.Ohne Ferse könnten es Stulpen werden.

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    1. Anhora Autor

      Liebe felsenfein, das Eindringen in das private Leben eines anderen Menschen ist genau das, was es so schwer macht. Man fühlt sich wie ein respektloser Dieb. Aber ich habe es hinter mich gebracht. In 4 Wochen habe ich eine komplette Wohnung zerlegt, ausgeräumt, renoviert und geputzt. Seit heute abend ist es erledigt. Am Montag geh ich wieder arbeiten …

      Und ja: Eine verständliche Fersenanleitung würde mich freuen. Meine Mutter hatte nämlich auch ganz viel Wolle!

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      1. felsenfein

        Dann schreib ich Dir die Tage mal was auf 🙂
        Hast Du ein Ritual gemacht für deine Energie? $ Wochen sind ja echt krass schnell aber eben auch viel Tage wo das alles dein Raum/deine Realität war. Ich mache nach solchen Tagen gerne eine Reinigungszeremonie, also bewußtes Abwaschen fremder Energien, Traurigkeiten etc.Besonders wichtig die Füße und Hände samt Nägel und auch die Haare/Kopfhaut – davor am besten eine Schüttelmeditation (alles abschütteln und abstreifen) bis Du ins Schwitzen kommst-> das wirkt, ich schwörs ❤

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        1. Anhora Autor

          Das ist eine Idee, ich werde morgen etwas tun, was ich fast nie tue: Ich werde mich in die Badewanne legen und physisch wie symbolisch alles abwaschen. Guter Tipp, danke. 🙂
          Aber Schüttelmeditation? Hab ich noch nie gehört. Und wie erkläre ich meinem Partner, was ich da mache? ;-D

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          1. felsenfein

            Muß der dabei sein? Is der nicht mal unterwegs? Eigentlich schüttelt man da einfach nur alles ab (exessiv) es gibt dazu auch von Osho ne Musik und ne Anleitung im Netz, aber das funktioniert auch so, man muß es nur sehr lang machen. Bei Leuten denen ich das gezeigt habe ist es sehr beliebt. Beim QiGong gibts auch das Abstreifen, das ist weniger Auffällig. 😀
            Ich werd dann auch mal in die Wanne gehn. Bis denne ❤

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      2. Wolfgang

        > In 4 Wochen habe ich eine komplette Wohnung

        Und Du hast es gut gemacht. (virtuelles Schulterklopfen)

        Ich hoffe die Wanne hat dir gut getan! So mit allem drum rum

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        1. Anhora Autor

          Danke fürs Schulterklopfen, Wolfgang. 🙂 Ich finde auch, dass ich einen guten Job gemacht habe, möchte es aber nie wieder tun.
          Die Wanne kommt morgen dran. Heute bin ich zu kaputt.

          LG

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  3. Flohnmobil

    Die verwandtschaftliche Konstellation bringt es mit sich, dass ich in meinem Leben schon mehrere Wohnungen räumen musste.
    Ich fand es immer deprimierend, wie man dabei ein Leben regelrecht zerpflücken muss.
    Ich könnte übrigens eine Ferse im Schlaf stricken.

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    1. Anhora Autor

      Ja, es war eins der traurigsten Dinge, die ich je tun musste. Ein Leben wird ja nur noch eingeteilt danach, was wert ist aufbewahrt oder verteilt zu werden, und was auf den Müll kommt. Das Schlimmste ist: man gewöhnt sich dran. Man verliert nach einiger Zeit das Gefühl dafür, dass jemand an all diesen Sachen einmal Freude hatte. Am Ende ist es nur noch Ballast.

      Kannst du übrigens Fersen nicht nur stricken, sondern auch eine *verständliche* Anleitung dazu schreiben? Meine Fersen sehen einfach immer komisch aus.

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        1. Anhora Autor

          Danke für den Link! Es ist nur … ohje … genauso kompliziert, wie ich es befürchtet habe. Ich werde es trotzdem versuchen, es ist nämlich noch so viel Wolle da. Ich weiß nicht, wen meine Mutter noch alles bestricken wollte. Jedenfalls sehen ihre Socken aus wie die auf dem Bild. Meine leider nicht. ;-(

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  4. Babbeldieübermama

    Deine Mutter wird sich bestimmt freuen. und ihr wird egal sein, wie die Hacken aussehen.
    Als ich die halbfertige Socke sah, entschuldige bitte, musste ich grinsen. In jüngeren Jahren habe ich immer nur Rückenteile gestrickt und sie dann weggepackt, weil ich sie irgendwann fertig machen wollte. Egal was ich handarbeitete, es hieß immer, „na willst du wieder ein Rückenteil stricken“?

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    1. Anhora Autor

      Meine Mutter kann nicht mehr sprechen, die Folgen eines Schlaganfalls vor ein paar Jahren. Die letzten Reste an Sprachvermögen sind in den letzten Wochen leider verschwunden. Ich werde also nie erfahren, wie man eine ordentliche Ferse strickt. ;-(

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      1. Sofasophia

        Oder du erfährst es einfach nicht von ihr? Ich kann es noch. Es ist nämlich irgendwie logisch, wenn man es sich vorstellt.

        Das mit deiner Mutter tut mir sehr leid. Mein Vater hatte auch fünf Tage vor seinem Tod einen Schlaganfall und die Stimme verloren. Nicht aber den Verstand. Das war schlimm für ihn. Puh. Aber er sprach dafür nonverbal und das war wiederum extrem berührend. Stark. Prägend.

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        1. Anhora Autor

          Genau das ist das Problem: Der Kopf ist klar, aber die Sprache ist nur noch eingeschränkt und inzwischen gar nicht mehr möglich. Es verändert vollkommen das Bild, das man von einer Person hat. Es verändert wohl auch die Persönlichkeit der/s Betroffenen.

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    1. Anhora Autor

      Poppig genug jedenfalls, dass man sie nur zu Hause oder in Stiefeln tragen kann! Ich werde sie meiner Mutter dann einfach gleich anziehen, dann sieht sie meine Ferskunst nicht. 😉

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