Die Körperwelten von Hagens habe ich mir nie angeschaut, weil ich schon beim Gedanken daran die aufgescheuchten Seelen der ausgestellten Verstorbenen wahrnehme. Trotzdem stehen wir heute im Bozener Archäologiemuseum am Guckloch einer Kältezelle, in der Ötzi ruht. Der Gedanke an Totenruhe und Seelenheil war mir erst gekommen, als wir schon an der Ticket-Kasse standen und ein Rückzieher wäre schwer erklärbar gewesen. Der Eismensch aus Südtirol ist schließlich der Grund unseres Ausflugs nach Bozen.
Aber nun tut sich gar nichts. Ich spüre beim Blick auf die Leiche keine Einwände, vielleicht sind 5000 Jahre selbst für eine Seele zu lange, um mit dem Diesseits noch verbunden zu sein. Oder es ist die dünne Eisschicht zur Konservierung, die Ötzi aussehen lässt wie eine Kunststoffskulptur.
Die Schauer liefen mir erst den Rücken hinunter, als wir vor den Vitrinen stehen. Ich betrachte den Mantel dieses Menschen, seine hosenartigen Beinlinge, eine Grasmatte. Mein Blick folgt den sauberen und geraden Nähten, mit denen Fellstücke zusammengehalten werden, dem Flechtwerk des Köchers für seinen Dolch, es wird auf einmal lebendig hinter den Glasscheiben. Ich spüre die Hände, die diese Arbeiten erledigt haben, Finger, die Lindenbast zu Schnüren zwirbeln.
Ich kann diese Ausstellung empfehlen, um einen Hauch davon zu verstehen, wie lange der Mensch sich schon von Tieren unterscheidet. Interessant ist sie vielleicht auch für alle, die einer dieser Modeerscheinungen im Ernährungsbereich folgen: der Steinzeitdiät. Ötzi, der am Ende der Jungsteinzeit lebte, litt so ziemlich an allen Zivilisationskrankheiten, die uns heute noch plagen.
schön wäre es, wenn wir wirlich etwas neues ge- oder erfunden hätten. aber nicht nur die diäteten sind letztlich in der steinzeit hängen geblieben 🙂
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Wir sind von damals nicht so besonders weit weg. Nur das Streben nach stetiger Verbesserung hat uns zu der Zivilisation werden lassen, die wir heute sind. Ein Mensch von vor zehntausend Jahren würde sich ziemlich schnell an die heutige Welt gewöhnen.
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Das ist eine interessante Vorstellung, in lustigen Filmen sieht man es ja gelegentlich. Ja, wahrscheinlich würde ein Steinzeitmensch schneller lernen als gedacht. Weil der Mensch eben immer etwas Neues herausfinden will. 🙂
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Ich war vor vielen Jahren auf einer Körperwelten-Ausstellung, und empfand ein seltsam beklommenes Gefühl. Und sah den Macher Hagens, der – man verzeihe mir diese Nachrede – selbst wächsern und leblos wirkte.
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Wer tote Körper präpariert und ausstellt, kann unmöglich ticken wie ein Durchschnittsmensch. Dass da etwas abfärbt oder vorher an Affinität schon vorhanden war, wundert mich nicht!
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Sehe ich ganz genau so…
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