Meine erste Freundin hieß Vera. Sie war ein ruhiges Mädchen mit schwarzen Haaren und blassem Gesicht. Morgens holte sie mich immer ab und wir gingen gemeinsam in den Kindergarten. Einmal hatte ich aber keine Lust auf das tägliche Ritual und ich lief davon, bevor sie klingelte.
Als Vera eine Weile nach mir im Kindergarten eintraf, saß ich schon an einem der Spieltische, und alle Stühlchen waren besetzt. Sie blieb einen Augenblick stehen und schritt dann zögernd zu einem anderen Tisch, an dem noch niemand saß. In der Mitte dieses Tischs lag ein Haufen bunter Glas-Steckerchen, die man auf einer Unterlage zu einem Bild zusammenfügen konnte. Sie setzte sich, blickte still vor sich hin, nahm ein paar Steckerchen in die Hand und ließ sie langsam zwischen den Fingern auf den Tisch zurückfallen. Sie war ganz allein.
Ich hätte mich zu ihr setzen können, aber an unserem Tisch waren interessantere Spielsachen. Was es war, weiß ich nicht mehr, nur dasss wir Steckerchenbilder alle öd fanden. Ich spielte also weiter und begriff nicht, warum es auf einmal keine rechte Freude mehr machte.
Noch heute denke ich manchmal daran, und dann bekümmert mich die Traurigkeit meiner Freundin in jenem Moment und dass mein Verhalten etwas damit zu tun hatte. Vera’s Familie zog bald danach weg, und ich habe sie nie wiedergesehen.
Manchmal gibt es solche Erinnerung, noch im Nachhinein tuts einem schrecklich leid.
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Es gibt Situationen die lassen sich nie mehr richtig stellen. Dafür erinnern wir uns ein ganzes Leben an Sie. An Momente die uns helfen ein redlich Leben zu durchschreiten.
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Schlüsselerlebnisse entstehen häufig dann, wenn die vielleicht vom Instinkt gesteuerte Gruppenintegration nicht richtig funktioniert hat, und dann sind sie ein wichtiger Hinweis im Leben, den man nicht vergisst.
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Klingt traurig…
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Nun hatte ich ja reichlich Gelegenheit, es danach besser zu machen. 🙂
Ich frag mich, ob ein solches Erlebnis prägt, oder ob man vorher schon so war, und dadurch kam das Erlebnis erst zustande.
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Es ist erstaunlich, wie gut man sich an manche solcher Erlebnisse aus frühester Kindheit erinnert.
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Bei mir sind es nur zwei oder drei Szenen, die ich noch weiß. Die aber in allen Details. Das Gehirn ist ein seltsames Konstrukt. 😉
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Ein ziemlich endloses mitunter 🙂
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Liebe Anhora, ich staune, dass du dich noch an Kindergartengeschichten erinnerst, allerdings war das ja wohl auch eine Art Schlüsselerlebnis?
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Richtig, die Szene fällt mir immer wieder ein, es fühlt sich immer noch unangenehm an. Aber ich erinnere mich auch noch an 2 oder 3 andere (eindrückliche) Kiga-Begebenheiten. Du nicht? Ist deine Kindergartenzeit gar nicht mehr präsent?
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ich erinnere mich nur noch sehr diffus an den Raum, in dem wir ruhen mussten, dort wurden die Holzjalousien zur Mittagszeit soweit heruntergelassen, dass durch die Ritzen noch ein bisschen Licht fiel- ich erinnere mich eben an das Licht und die Muster und dass um mich herum die Kinder schliefen, ich nicht …
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Ich wette, du magst bis heute keine „Ruheräume“, aber Lichtmuster an der Wand, die immerhin Ablenkung boten. Sag ich jetzt mal so als Hobby-Psychologin. Zum Glück mussten wir im Kindergarten nicht ruhen, bei uns war am Mittag Schluss und wir gingen nach Hause.
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