Begegnungen

Neulich bei der Mitarbeiterversammlung: Statt Vorträgen gibt es Impro-Theater. Leider sind wir nicht Zuschauer, sondern Akteure. Man teilt uns in Gruppen ein und wir müssen einen Sketch erarbeiten, um eins der vielen Angebote unserer Einrichtung darzustellen. So sollen die Mitarbeiter verschiedener Standorte einander begegnen und auch andere Projekte kennenlernen. Bei der Vorführung muss man dann jeweils erraten, worum es geht.

Unsere Gruppe hat weder eine Idee, noch wollen wir Theater spielen. Das verbindet schon mal. Wir berichten von unseren einzelnen Arbeitsaufgaben und eine Frau erzählt von einem 18-jährigen Jungen. Er kann nicht mehr gehen, seine Hände nicht mehr bewegen und nicht mehr sprechen. Kommunikation ist nur noch über die Augen und Buchstabenfelder möglich. Die Frau betreut ihn in der Schule: Sie hilft ihm beim Lernen, gibt ihm Essen, begleitet ihn auf die Toilette.

Ob sie das nicht depressiv mache, frage ich. „Nein“, erwidert sie, „im Gegenteil. Er ist mein Sonnenschein.“ Ich schaue verblüfft und sie lacht. „Er ist unser aller Sonnenschein,“ fährt sie fort, „die ganze Klasse mag ihn. Jeder will seinen Rollstuhl  schieben und bei ihm sein.“ Dabei ist es keine gewöhnliche Klasse: alle SchülerInnen haben Defizite oder Verhaltensauffälligkeiten. Doch „dieser Junge steckt uns alle an mit seinem strahlenden, positiven Wesen.“

Trotz der lustlosen Haltung beim Einüben unseres Theaterstücks ist das Konzept der Geschäftsleitung aufgegangen. Diese Frau werde ich vielleicht nie wiedersehen, aber ich habe sie kennengelernt und durch sie einen Jungen, den ich mag.

13 Gedanken zu „Begegnungen

  1. Zoé

    Ui, das war schon eine recht schwere Aufgaben. Das kenne ich. Wann immer wir eine Schulung haben, schreien alle Kollegen ganz laut: „Aber keine Rollenspiele!“ Wieso eigentlich nicht? Man könnte ja einfach eine Rolle spielen. 😉 Dank meiner Handpuppen habe ich heutzutage nicht mehr so viel Scheu davor irgendwas zu spielen. Aber echtes Impro-Theater, wie Ben Froehlich wahrscheinlich macht, traue ich mich auch nicht. Ich „versteck“ mich lieber hinter einer Handpuppe.

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    1. Anhora Autor

      Wir fanden es auch etwas mutig von der GL, den Mitarbeitern zuzumuten, sich zum Kasper zu machen. Tatsächlich haben es viele richtig genossen und waren auch gut. Unsere Gruppe hat nur durch die Kürze der Aufführung bestochen. In einer Minute waren wir schon fertig. 😉
      Es ist wirklich nicht meins…

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  2. Ben Froehlich

    Vorab muss ich sagen, dass ich selbst regelmäßig auf der Bühne stehe und Impro spiele. Ich weiß daher, wie schwer es sein kann, wenn man plötzlich dazu gezwungen wird, zu spielen. Bei mir sinkt die Motivation dann nämlich auch ganz gern mal. Dennoch freut es mich, dass ihr durch das Konzept von jenem Menschen erfahren durftet, der uns allen ein Vorbild sein sollte. Trotz der Schwere seines Alltags sich die Freude zu bewahren und auszustrahlen. Ich merke erst, wie verwöhnt und egozentrisch ich bin, wenn ich das mit mir vergleiche. Aber ich arbeite an mir. 🙂

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    1. Anhora Autor

      Siehst du, Ben, genau dieselben Gedanken hatte ich auch: Worüber beklagen wir uns eigentlich? Danke für deinen Kommentar, und weiter viel Spaß auf der Bühne. Für mich ist das nix. 😉

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      1. Ben Froehlich

        Für mich war die Improbühne ganz lange Zeit auch nichts und bis heute muss ich gestehen, dass es nicht so ganz meine Welt ist. Dennoch möchte ich es nicht aufgeben. Und das Beklagen werde ich versuchen auf ein realistisches Maß zu begrenzen. 😀

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          1. Ben Froehlich

            Gar nicht liegen wäre zu viel gesagt. Ich sehe es als Hilfe an, vor Menschen zu reden und meine Kreativität auszudrücken. Spaß habe ich dabei, ich sehe mich nur nicht als guten Schauspieler, so war es eher gemeint.

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            1. Anhora Autor

              Ich bewundere deine Courage! Sicher ist das Improvisieren vor anderen eine Inspirationsquelle und eine gute Übung für das Auftreten vor anderen. Aber erstmal braucht es ja Mut. Ich hätt ihn nicht …

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