Das Ende meines Onkels passte gar nicht zu ihm. Ich kannte ihn als positiven Menschen mit jungenhaftem Charme, der mit dem Leben etwas anzufangen wusste.
Als wir noch Kinder waren, brachte er uns immer Geschenke mit, kleine Flieger oder sonst etwas, das sich bewegte oder Krach machte. Er zog dann mit uns auf die Wiesen und wir probierten das neue Spielzeug aus. Viel später kaufte er einem meiner Söhne zur Erstkommunion ein viel zu teures ferngesteuertes Auto. Noch heute schwärmt der Junge von dem Monster Truck und Onkel Werner.
Sein halbes Leben lang arbeitete er beim Quelle Versandhandel im Kundendienst. Begeistert berichtete er oft über alle Einzelheiten dieser Tätigkeit. Ebenso detailliert schilderte er seine Arbeit als Jugendtrainer in einem kleinen Dorffußballverein. Er fotografierte auch gern und entwickelte die Bilder selbst. Später engagierte er sich ehrenamtlich für ein Sportmuseum.
Onkel Werner hatte mehrere Beziehungen zu Frauen. Zwei davon heiratete er, aber es hielt immer nur ein paar Jahre. Alle seine Partnerinnen waren viel älter als er.
Einmal feierten wir zusammen Silvester, da war er gerade „Solo“, wie man es damals noch nannte. Meine Mutter, Onkel Werner (ihr Bruder) und ich zogen in eine Gaststätte. Er tanzte den ganzen Abend mit mir, obwohl ich erst Fünfzehn war und gar nicht tanzen konnte. Jedenfalls nicht Foxtrott. Jedenfalls nicht mit ihm. Spaß hatten wir trotzdem, und meine Mutter fand andere Tänzer.
Aus beruflichen Gründen zog er später nach Leipzig, wo er die letzten 15 Jahre seines Lebens verbrachte. Dort zerbrach auch seine zweite Ehe. Die Frau erstritt hohe Unterhaltszahlungen, mein Onkel geriet in Geldnot. Ein langjähriges Krebsleiden verschlechterte sich und nach ein paar Jahren war er gesundheitlich wie finanziell ruiniert.
Heute vor zehn Jahren verließ Onkel Werner seine Wohnung am frühen Morgen. Er begab sich zur Bahnstrecke zwischen Leipzig und Erfurt. Auf den Gleisen wartete er auf den Zug. Er kam um 6:15h. Onkel Werner wurde 63 Jahre alt.
sehr traurig…
LikeLike
Sieht aus als hätte er intensiv gelebt, bis zum Ende, das er selbst bestimmt hat. Danke für die Geschichte!
LikeGefällt 1 Person
Ja, er hat das Leben genossen. Als das nicht mehr möglich war aus gesundheitlichen und finanziellen Gründen, hat er eine Entscheidung getroffen, die zu respektieren ist, wenn auch trotz allem nicht zu verstehen.
Danke für deine Gedanken dazu. 🙂
LikeLike
Da mag ich nicht „gefällt mir“ anklicken. Manchen Menschen wird das Leben einfach unerträglich.
LikeGefällt 1 Person
Man kann es sich nicht vorstellen. Man denkt immer, irgendeine Lösung gibt es für jeden. Aber das stimmt wahrscheinlich nicht. Leider.
LikeLike
Wie traurig wenn ein Mensch in so eine Lage kommt. Er war wohl so etwas wie ein „toller Hecht“ und scheiterte dann so schrecklich. Es ist immer berührend wenn man von solchen Schicksalen hört.
LikeGefällt 1 Person
„Toller Hecht“ trifft es gut! So wirkte er, aber es war auch Schau dabei. Er hat einfach das Leben genossen. Vielleicht spürte er, dass für ihn kein so langes bestimmt war.
LikeLike
was für ein schicksal! eine rose in gedenk an onkel werner und all die andern, die irgendwann im leben keinen sinn mehr sehen.
LikeGefällt 1 Person
Danke für die Rose, liebe Barbara. Die hätte ihm gefallen. Vielleicht sieht er sie ja trotzdem. 🙂
LikeGefällt 1 Person
Sehr berührend.
LikeGefällt 1 Person
Ja, das ist so ein Leben. Er war ein besonderer Mensch.
LikeLike
ein beruhrend geschilderter lebensbogen –
LikeGefällt 1 Person
Danke. Ich kann kaum glauben, dass es schon zehn Jahre her ist …
LikeGefällt 1 Person