Der Unterschied

Neulich an der Empfangstheke: Ein DHL-Mitarbeiter hält mir das Quittungsgerät entgegen, ich unterschreibe auf dem Display und erhalte dafür ein Paket. Der Zusteller bedankt sich, wünscht mir einen guten Tag und saust davon. Im Prinzip sind sie alle gleich: Jüngere Männer, ausländischer Akzent, immer in Eile. Sie haben einen lausigen Job, weil sie wahrscheinlich zu wenig Bildung haben, ich denke mir nie viel dabei. Nur jetzt. Weil ER wieder da war. Einer, bei dem meine Einschätzung einen Zusatz erhält: „… hat einen lausigen Job, weil er zu wenig Bildung hat *aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse*. Sonst wäre er nicht Fahrer bei DHL, sondern etwas anderes.“

Ich überlege gerade, warum ich nur ihn in einer Art Übergangsbeschäftigung sehe, wie einen Studenten sozusagen, der in den Semesterferien etwas dazu verdient. Und der Unterschied zu den anderen ist: Er riecht so gut. Er benutzt ein atemberaubendes Deo oder Parfum. Einen Tick zu viel vielleicht. Aber wer so einen Duft hinterlässt, der kann kein Wasserträger sein. Er legt Wert auf seine Erscheinung, also auch auf seinen Platz in der Welt, also auch auf sein Fortkommen.

Dämliche Schlussfolgerung? Egal. ICH glaube an ihn!

9 Gedanken zu „Der Unterschied

  1. Stef

    … meine Erfahrungen zur Migration: Ich bin ein Ausländerkind, zur Hälfte. Mein Vater kam in den 60ern über die Schweiz in ein winziges Nest nach Oberschwaben. Er war Zeit seines Lebens nur „der Italiener“, bei manchen sogar „der Itaker“ …. dann kamen die Türken, die die Stelle der Italiener einnahmen, und die Leute fingen in den 1980ern an, in Pizzerien und in die Toscana zu strömen … das war schick und fein! Ich bin damals nach München gegangen – dort liebte man alles, was italienisch war – plötzlich war für mich mein italienisches Erbe ein Vorteil, besonders mein Aussehen … Selbst wollte ich immer die Welt erkunden, wollte wissen, warum es den Leuten so schwer fällt, andere Kulturen anzunehmen, einfach so, wie sie sind … So bin ich nach Schweden gekommen. Am Anfang gefiel es mir ganz und gar nicht – irgendwie benahmen sich die Leute hier genau so, wie ich es in meiner Kindheit im schwäbischen Städtle schon nicht gemocht hatte …. und mein Aussehen wurde wieder zu einem Nachteil: die Fremde, die Dunkle … und ja, natürlich die „ohne Bildung“ – denn, man weiß ja, „die meisten der „Schwarzköpfigen“ sind Analphabeten, belasten nur unsere feine Gesellschaft …“
    Apropos Bildung: mein italienischer Opa war tatsächlich noch Analphabet, wir, die Kinder des Gastarbeiters, hatten in diversen Gymnasien von B-W keinerlei Probleme, die Urenkel des Analphabeten, sind Einser-Abiturienten und studieren allesamt an den besten Unis, sogar in England …
    Ich lese deinen Blog gerne, weil er mich zum Nachdenken bringt.
    Einen schönen 4. Adventssontag wünsche ich & Grüße aus dem Norden,
    Stef.

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    1. Anhora Autor

      Liebe Stef, danke für dein Geschichte, die gerade Erinnerungen hochkommen lässt. Ich bin tatsächlich mit dem „Itaker-“ und „Jugo-„Bild aufgewachsen. Meine Eltern redeten so. Dass Italiener nach Knoblauch riechen und Jugoslawen schlägern. Später wurde das, wie du sagst, von den Türken abgelöst und zumindest alles Italienische gilt heute als schick. Das nenne ich gelungene Integration! 😉
      Was du als Kind erlebt hast, kann ich in Teilen nachvollziehen: Ich wurde 1969 als Einzige weit und breit zum Scheidungskind, dazu noch als Arbeiterkind. Später im Gymnasium erfuhr ich, dass ichj so nicht zu ihren Kreisen gehören kann. Das glaubte ich dann auch und musste die Schule nach 2 J. wieder verlassen.
      Damals entstand wohl mein ausgeprägter Wunsch, Minderheiten zu unterstützen, weil es unfair ist, dass man in manchen per se das Bessere und in anderen das Schlechtere sieht.
      Wer Analphabet ist (ich kenne mehrere SyrerInnen ohne Schreibkenntnisse) ist *kein* schlechterer Mensch! Das wissen wir beide, gell?
      Interessant ist noch, dass du in Schweden gelandet bist und ich mit einem Engländer. Manchmal muss man das Deutsche vielleicht abstreifen. 😉
      Auch dir noch einen schönen Sonntag und ein liebs Grüßle in den Norden!

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  2. Stef

    Hallo Anhora,
    mir geht es manchmal genauso wie du es hier beschreibst. Seit Jahren kommt zu uns immer wieder dieselbe UPS Kurierfahrerin/Abholerin … sie ist 100 % schwedisch und sieht auch so aus – jung, blond, hübsch. Sie macht auch einen ziemlich intelligenten Eindruck. Jedes Mal, wenn sie kommt, denke ich: Warum macht sie diesen Job und das ja offensichtlich schon seit Jahren? Zuweilen ertappe ich mich dabei, sie fragen zu wollen. Traue mich (zum Glück?) nicht. Natürlich sind das Vorurteile, die uns zu solchen Gedanken bringen … aber das Gute ist doch, dass wir darüber nachdenken … nur so können wir toleranter werden.
    In Schweden würde ich mir auch manchmal wünschen, dass man mehr miteinander redet, denn nur so könnte man sich besser kennen lernen und den anderen verstehen, um eben seine Sichtweisen immer wieder zu verändern.
    Durch mein Aussehen (100 % italiana) lande ich besonders hier in Schweden übrigens ziemlich oft in der Kategorie „Migrantin ohne Bildung“ …. Manchmal reagiere ich darauf und bin provokant, indem ich den Leuten direkt unter die Nase reibe, dass ich mehr Sprachen spreche und verstehe als sie (sogar echtes Schwäbisch 🙂 ) … Meist sage ich nix und ägere mich innerlich … und oft ertappe ich mich eben auch dabei, dass ich trotz besseren Wissens mich genau in den Gedankenbahnen von Vorurteilen verstricke.
    Schöne Grüße in den Süden,
    Stef.

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    1. Anhora Autor

      Liebe Stef,
      ich mag deine Kommentare wirklich sehr, danke dafür! Außer hausfrauhanna.blogspot.de keine ich keine Schweden-Experten, und es ist immer interessant zu vergleichen.
      Natürlich tendiert der Mensch zu kategorisieren, ich bin keine Ausnahme. Ich denke, niemand wird Paketzusteller, wenn er nicht muss, und die Gründe sind wahrscheinlich wenig Bildung, Sprachkenntnisse o.ä. Deshalb sind sie aber keine schlechteren Menschen, und so habe ich sie auch noch nie gesehn. Im Gegenteil: Sie sind alle freundlich.
      Deine Erfahrung mit südländischem Aussehen ist verständlicherweise ärgerlich. So fühlt es sich also an. Aber jeder hat das Recht auf Respekt, auch mit wenig oder gar keiner Bildung. Das hat ja nichts mit dem Charakter eines Menschen zu tun, sondern mit den Chancen, die man im Leben hat.
      Ich versuch immer, jeden Menschen auf Augenhöhe zu betrachten und weder nach unten noch nach oben zu schauen. Im wesentlichen klappt das auch.
      Hab noch einen schönen Tag, zünd ein Kerzle an, damits schön hell wird. 🙂

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  3. Ulli

    Es soll Studierte geben, die keinen Job finden, es soll Menschen aus anderen Ländern geben mit hoher Bildung, die hier keinen Job finden, es soll Männer mit Düften geben, die nichts taugen …
    wie auch immer noch, mich erschrecken hier gerade deine Vorurteile.
    herzlichst
    Ulli

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    1. Anhora Autor

      Ich hatte mir eigentlich gar kein Urteil gebildet. Es war mehr so ein Gedankenblitz, der einfach entstand und mich – einmal bewusst wahrgenommen – auch beschäftigte. Es sollte kein Beitrag zu einer wissenschaftlichen Studie sein, nimms nicht so ernst! 😉
      Lieber Gruß,
      Anhora

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  4. Mallybeau Mauswohn

    Liebe Anhora!
    Des isch subbr. Mit Deim Aufdräda ond Deira Eischdellung bisch a guds Beischbiel fir de Jonge. So muss mrs macha. I han au scho oft über die Zuschdrellr nachdacht, wenn se Päggle brenget. So gut isch des au et, wenn se et mol gscheit onsr Schbroch kennet, weil bei ons liefret se haufamäßig falsche Boscht ab. Dene sott mr in Ruhe Zeit gäba, dass se des lerna kennet was se wellet.
    No semmr scho ZWOI, di an Dein Zuschdellr glaubet.
    Grüßle
    Mallybeau 🙂

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    1. Anhora Autor

      Des mit de Zuschdeller isch wieder so a Beispiel wo mr sieht, wie gud ’s die Meischde hend in ihre Jobs. Die Zuschdeller werdet doch ausgnutzt nach Strich und Fada, und läba kennetse au net davo. Statt dessa Dag für Dag Stress, von morgens bis obends. Scheißläba. I wünschs niemand. 😦

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