Neulich im Büro: Ich sitze an meinem Schreibtisch im Empfangsbereich, da kommt der Lehrer aus dem vorderen Unterrichtsraum und stützt einen Kursteilnehmer. Er kann kaum mehr gehen. Sie lassen sich auf das Sofa im Aufenthaltsbereich sinken, die Abteilungsleiterin kommt aus ihrem Büro und blickt den etwa vierzigjährigen Syrer besorgt an. Der Mann wendet sich ab, vergräbt sein Gesicht in den Händen und spricht kein Wort.
Wir bringen ihm Wasser, einen Schokoladenriegel und versuchen zu erforschen, was los ist. Ein anderer Teilnehmer, ein sanfter junger Mann, der ebenfalls aus Syrien stammt und gerade hereinkommt, setzt sich zu ihm und redet auf ihn ein. „Schwindelig“, sagt er dann zu uns und deutete auf den Mann neben sich, „atmen nicht gut“.
Ich öffne die Fenster und lasse frische Luft herein, die Leiterin tätschelt seine Hand und beruhigt ihn. Der an sich große Mann sitzt ganz klein da und verbirgt immer noch sein Gesicht. Er weint. Er weint still vor sich hin, und hört gar nicht mehr auf.
Ich habe im öffentlichen Bereich noch nie einen deutschen Mann weinen gesehen. Und wenn, dann wären es Frauen, die sich – wie hier – kümmern. Aber keine der syrischen Frauen kommt. Nur Männer. Eine ganze Gruppe wartet mit ihm auf die Ambulanz. Einer von ihnen begleitet ihn, als er abgeholt und zur Beobachtung ins Krankenhaus gebracht wird.
Der Syrer hat in der Vergangenheit ein Auge verloren, und in ein paar Tagen wird ihm ein künstliches Auge eingesetzt. Vielleicht hat er einfach Angst.
Ich finde es schön, wenn Männer Emotionen zeigen und finde, das tut ihrer Männlichkeit keinen Abbruch. Tatsächlich fällt es denjenigen aus anderen Kulturen bedeutend leichter als „unseren“. Trotzdem schneidet der Text ins Herz, denn offensichtlich leidet der Mann sehr.
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Inzwischen weiß ich, dass der Mann allein nach Deutschland gekommen ist, seine Familie ist noch in Syrien. Hier hat er niemanden außer den Menschen, die er in Deutschland kennengelernt hat. Für jemanden aus einer Kultur, in der die Familie alles ist, muss es sehr schwer sein. Es kam wohl einiges zusammen, als er weinend auf dem Sofa saß.
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Ja die Menschheit ist nicht imstande, in Frieden zu leben. Die verdammten Kriege werden von Menschen geführt. Übrigens sind die kulturellen Unterschiede zwischen Europäern und Arabern immer noch sehr gross. Dank für den berührenden Bericht. Ernst
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Danke für deinen Kommentar, Ernst. Die Menschen haben aber auch schon einiges gelernt, das darf man auch nicht vergessen. Besonders wir Deutschen. Manche anderen brauchen noch Zeit.
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Ja Anhora, das sehe ich auch so. Ich habe Europa vergessen, das ja seit über 70 Jahre in Frieden lebt. Deutschland trägt meines Erachtens in der EU mit seiner Politik entscheidend dazu bei, dass die EU zusammenbleibt und nicht auseinander fällt.
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Die EU ist für mich ebenfalls das tragende Element, um Kriege in Europa zu verhindern. Deutschland spielt eine wesentliche Rolle hierbei, hatte auch am meisten zu lernen aus der Vergangenheit. Man darf es zwar nicht laut aussprechen, aber ich tu’s trotzdem: Ich bin stolz auf mein Land! 🙂
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Das darfst du auch sein… .-)
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Ich? Nicht wir? Ach – jetzt fällts mir wieder ein, du bist ja Schweizer. Und hast ebenfalls Grund, auf dein Land stolz zu sein, gell? 🙂
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Aber sicher darfst du das!!
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🙂
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Vor ein paar Tagen habe ich eine These gehört, dass nur ein Denken als „Menschenfamilie“ die Lösung der Probleme unserer Zeit ist. Ich stimme diesem Denkansatz zu.
Schönen Sonntag, liebe Anhora
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Es wird noch eine Weile dauern, bis kulturelle und andere Prägungen sich so verwischt haben, dass wirklich der Mensch im Vordergrund steht. Aber das Ziel steht fest: Eine Menschenfamilie. Gefällt mir sehr. 🙂
Dir auch einen schönen Sonntag!
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Beide Geschlechter leben bei Orientalen, bei Arabern oft in zwei getrennten Welten – das Leid muss schon sehr groß sein, dass ein arabischer Mann in der Öffentlichkeit weint. Dieser verfluchte Krieg … meine guten Wünsche für den Unbekannten.
Dir lieben Gruß.
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Da hast du Recht: Dieser verfluchte Krieg! Wir wissen gar nicht, was Menschen aus so einem Land innendrin mit sich herumschleppen.
Liebs Grüßle
Anhora
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Ein sehr berührender Moment und berührend zum Lesen. Danke.
Liebe Grüße. Priska
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Liebe Priska, ich hoffe der Mann ist nächste Woche wieder da. Bin gespannt wie er mit zwei Augen aussieht, die leere Augenhöhle war schon irritierend. Man muss dauernd hingucken.
Hab einen gesunden, schönen Tag!
Anhora
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Ohje, ich hätte jetzt eine Geschichte mit „Männergrippe“ erwartet, stattdessen richtig ernst. Aber ich war auch schon oft erstaunt darüber, dass in vielen anderen Kulturen das Weinen bei Männern nicht so verpönt ist wie bei uns…
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Zumindest soweit ich es im Umfeld der Integrationskurse beurteilen kann, zeigen die Männer schon mehr Gefühle als unsere, auch die Frauen übrigens. Da weint öfters mal jemand. Bei den Männern sah ich es aber zum ersten Mal. Interessant ist, wie mit Schwäche umgegangen wird: mit viel Anteilnahme und geschlechtergetrennt.
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Liebe Anhora!
Des isch echt oglaublich, was Du alles erläbsch. Bisher warn die Bürogschichtle ja au oft luschtig, aber Ihr werdet do jo wirklich mit älle Facetta konfrontiert. Isch scho intressant zom säha, dass des bei de Syrer andersch isch als bei ons. Abr do isch ja au sonsch älles getrennter, hot mr da Eidrugg. Hoffentlich gohts dem Kerle jetzt wieder besser. Kommt der nomol zu Eich?
Grüße ausm Näbel
Mallybeau
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Der Kerle kommt auf jeden Fall wieder, sein Kurs isch ja no net vorbei, des dauert ca. 2 Johr. Da lernt mr d’Leit scho kenne.
Im Moment isch er aber wohl im Krankehaus. I hoff er kriegt alles gud hinder sich.
I wünsch dir an scheena Dag!
Anhora
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