Te Deum

Am Silvestertag sitzen wir im Petersdom und warten darauf, dass der Vespergottesdienst beginnt. Links von mir nestelt eine niedliche kleine Nonne mit ihrem Handy herum, verschickt WhatsApps, steht auf und filmt, telefoniert, eine Italienerin. Sie sitzt direkt am Mittelgang.

Es ist noch über eine Stunde Zeit, denn man muss früh dran sein, um an einem solchen Ereignis teilzuhaben. Wie groß alles ist. Heute werden hier 60.000 Menschen gemeinsam das Jahr ausklingen lassen, die zu spät gekommenen auf dem Petersplatz nicht mitgezählt. Ich betrachte die gewaltigen Kunstwerke von Bernini und Michelangelo, und tief unter uns liegt irgendwo der Apostel Petrus begraben. Gott scheint hierzusein, ich spüre ihn, und er ist groß. Viel größer, als ich ihn sonst wahrgenommen habe. Also gibt es ihn doch, hoffe ich und kann es gar nicht umsetzen, dass ich wirklich hier bin. Und fast direkt am Mittelgang.

Der Altar mit dem beeindruckenden Bronze-Baldachin von Bernini.
Darüber die Kuppel von Michelangelo.

Irgendwann beginnt der Einzug. Ministranten, Bischöfe, Kardinäle betreten die Basilika, und mitten unter ihnen ER. Der einen kleinen Renault fährt. Der in der Kantine zum Essenholen ansteht. Der in bescheidenen Räumen wohnt. Der Papst. Tausende Arme schnellen nach oben mit Handys, um Bilder zu erhaschen. Als Franziskus etwa zwei Meter neben uns vorbeischreitet, dreht sich die kleine Nonne plötzlich zu mir um, dreht dem Papst also den Rücken zu und hebt rasch ihr Handy hoch. Hat sie gerade ein Selfie gemacht? Ja. Hat sie. „Ich und der Papst“, wird sie stolz zu ihren Mitschwestern sagen.

Ein Chor mit überirdisch schönen Stimmen beginnt mit dem Lob-, Dank- und Bittgesang des Te Deum, im Wechsel singt die Gemeinde. Ich singe alle Lieder mit, auf lateinisch, wir haben ein Büchlein mit den Texten erhalten. Egal ob richtig oder falsch – ich möchte Teil dieser Gemeinschaft sein, auch wenn sie beim Anblick der ständig nach oben gereckten Handy-Hände fast ausschließlich aus Touristen zu bestehen scheint. Aber ich bin ja auch nicht besser. Ich will auch Bilder von diesem fantastischen Ort, und diesem fantastischen Papst.

Franziskus hält nach einiger Zeit eine Predigt auf italienisch. Ich mag seine Stimme so, und ganz bestimmt erzählt er uns von der Liebe, von der großen Liebe Gottes zu den Menschen, und wie wir es im Kleinen nachtun können.

Später wird er auf dem Petersplatz die abgesperrten Wege abschreiten, freudig, lachend, wie wir ihn aus dem Fernsehen kennen. Er wird sich viel Zeit nehmen und den Menschen die Hand reichen, kleine Kinder küssen. Auf großen Bildschirmen werden wir ihn sehen und uns mitfreuen. So geht das, mit der Liebe.

17 Gedanken zu „Te Deum

  1. pflanzwas

    Das klingt nach einem schönen Erlebnis und war sicherlich beeindruckend und beschwingend, äh, mir fällt gerade kein passendes Wort ein. Ach ja, bewegend 🙂 Über die kleine Nonne mußte ich sehr lachen, ein Selfie mit Papst 🙂 Etwas komisch hat mich das Handyheer allerdings auch angemutet. Ich kanns verstehen, mir ist dieser Overkill aber manchmal auch etwas viel, weil ich mich dann frage, wie sehr wir mit etwas verbunden sind, wenn wir dauernd diese Dinger zwischen uns und „der Welt“ haben. Aber im Grunde gehts mir genauso. Wenn ich etwas Schönes in der Natur entdecke, will ich es gerne festhalten. Die Momente des stillen genießens und beobachtens ohne Kamera werden aber weniger. Natürlich muß das nichts schlechtes sein, es befremdet mich nur selbst manchmal. Nichtsdestotrotz war es bestimmt toll für dich! Das Singen klingt ganz wunderbar und ein bißchen konnte ich die Atmosphäre hier nachempfinden 🙂

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    1. Anhora Autor

      Mich hat das Handy-Meer über den Köpfen auch erschlagen, als die Priester einzogen. Aber es zeigt auch, dass alle diesen Augenblick festhalten und viele ihn auch teilen wollten, so wie ich. Es ist eben so einfach geworden mit der modernen Technik.
      Trotzdem habe ich das Göttliche stark gespürt, das stand sich merkwürdigerweise gar nicht im Weg. Zur stillen Kontemplation empfehle ich den Silvestergottesdienst im Petersdom dagegen nicht, dafür gibts viele besser geeignete Orte. Andererseits hat der Papst während des Te Deums genauso gewirkt: Still und in sich versunken. Er hat halt mehr Routine darin, das äußere Spektakel auszublenden.
      Ich war jedenfalls ergriffen, und bin es noch. 🙂

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      1. pflanzwas

        Man kann das Äußere natürlich versuchen, auszublenden. Wie du sagst, wer Stille sucht, muß das zu anderer Zeit oder an einem anderen Ort tun…naja, Silvester ist ja kein ruhiger Tag 🙂

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    2. Anhora Autor

      Nachtrag: Generell ist die Frage, inwieweit wir uns auf einen Anblick noch einlassen oder ihn nur noch fotografieren wollen. Da bin ich mir manchmal selbst nicht sicher, und das besorgt mich etwas. Die nächste Generation wird das Gefühl, sich über eine Blume oder einen hübschen Stein am Wegrand aufrichtig und nachhaltig zu freuen, vielleicht gar nicht mehr kennen.

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      1. pflanzwas

        Ich wollte gerade dazu sagen, wenn ich mit meiner Kamera Details in der Natur einfange, vergesse ich alles um mich herum. So gesehen kann das auch eine meditative Auseinandersetzung sein. Und wie gesagt, ich kanns verstehen. Wenn man das allerdings von außen betrachtet, hat man manchmal das Gefühl, die Leute sind überall, nur nicht dort, wo sie sich gerade befinden 😉 Vielleicht kommt es auch immer auf die Intensität an, mit der man etwas tut. Wenn jemand sein Bild von dem „Event“ macht und ganz darin versunken ist, ist er vielleicht intensiv dabei. Wenn ich nur meine Kamera hochhalte und ohne Ende abdrücke ohne etwas wirklich wahrzunehmen, ist das vermutlich weniger erquicklich. Tja, die Welt ändert sich und wenn man es anders kennt, wirft das manchmal Fragen auf….

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        1. Anhora Autor

          „die Leute sind überall, nur nicht dort, wo sie sich gerade befinden“ … Der Satz des Tages! 🙂
          Ja, vieles wirkt abgehakt, wenn es fotografiert ist. Andererseits geht es mir aber wie dir: In der Natur versinke ich in Grashälmchen und Blütenblätter, die würd ich ohne Kamera vielleicht gar nicht sehen. Bei Städtereisen halt ich manchmal auch nur die Kamera hoch. Aber dann, zu Hause, geht das Nachschauen los. Ich sehe die Bilder x-mal an, weil ich sie für den Blog hier verwende, für Instagram, und ein paar sind als Bildschirmschoner eingestellt. Mein Desktop-Hintergrund ist selbstredend der Papst (diese Begegnung war mir so wichtig).
          Das Knipsen lässt Reisen und Ausflüge viel länger nachhallen, fällt mir gerade auf … 🙂

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  2. Hausfrau Hanna

    Ehrlich,
    liebe Anhora,
    jetzt bin soeben mit dir im Petersdom gesessen und habe die Atmosphäre hautnah miterlebt.
    So viele Erinnerungen…
    Als ich in Rom lebte, war es übrigens Papst Paul VI, der Sonntag für Sonntag von hoch oben aus dem Fenster der Bibliothek die Predigt für die Touristen und Gläubigen verlas.
    Mit einer kleinen Kamera habe ich IHN festgehalten:
    Mehr als ein weisses Pünktchen war/ist darauf jedoch nicht zu sehen… 😉

    Grazie e tanti saluti
    Hausfrau Hanna Basilea

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    1. Anhora Autor

      Liebe Hausfrau Hanna,
      wie schön, dass du dabei warst im Petersdom! 🙂 Ich kann dein Bild vom Papst leider nicht sehen, aber auf jeden Fall hast du auch fotografiert und warst vermutlich nicht die Einzige. 😉
      Manches will man einfach festhalten, weil es so besonders ist. 🙂
      Saluto italiano dalla Germania!

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  3. Sofasophia

    Ich schlucke leer. Sorry, ich will dir wirklich nicht zu nahe treten, aber ich persönlich möchte während eines schamanischen Rituals zum Beispiel nicht fotografiert werden. Außer zum privaten Gebrauch.

    Nun ja, ich bin ja auch nicht katholisch, vielleicht ist das dort ja üblich. Aber wissen diese Leute auf den Bildern, dass sie verbloggt werden?

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    1. Anhora Autor

      Liebe SoSo, in Deutschland gibt es Gesetze für das Veröffentlichen von Personenfotos ohne Einwilligung der Abgebildeten, an die ich mich immer halte:
      Der Papst und die Würdenträger um ihn herum sind Personen der Zeitgeschichte, es handelte sich um eine öffentliche Veranstaltung, Menschen der Glaubensgemeinde erscheinen nur als „Beiwerk“.

      Vielleicht versteht man diesen „Hype“ nur, wenn man religiös ist (mit einem schamanischen Ritual kann man diesen vom Fernsehen übertragenen Gottesdienst nun wirklich nicht vergleichen!) Ich war happy, dass fotografiert werden durfte, weil ich nun eine Erinnerung habe an etwas, was mir viel bedeutet. Ich meine auch, dass Jesus – wäre er unter uns – die Knipserei nicht so eng sehen würde. 😉 Die Menschen haben ja keine Geschäfte betrieben, sondern waren einfach überwältigt. 🙂

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      1. Sofasophia

        Okay, das leuchtet ein … Ich dachte halt von mir aus, dass ich das nicht wollen würde. Weil ja die Ausübung eines Aktes der Verbundenheit mit dem Göttlichen etwas Intimes ist … Etwas Persönliches. Nichts, was zur Schau gestellt werden sollte … aber ich bin ja eben nicht mit diesen Riten vertraut … Jeder das Ihre … 😉

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        1. Anhora Autor

          Ich versteh schon deinen Gedanken. Ein solcher Gottesdienst erinnert an ein Fußballspiel der Bundesliga. Aber die Leute kommen nicht, weil sie ihr Team gewinnen sehen wollen. Die Menschen haben gebetet. Ich sah auch viele Ordensleute, für die ist sowas sicher ein besonderes Highlight. Für mich war es das auch.
          Dass die Hinwendung zu etwas Göttlichem nur im Kleinen und Intimen zelebriert werden darf, ist für mich keine Voraussetzung. Beides ist schön: Die Verbindung im Kleinen wie im Großen. 🙂

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  4. Mallybeau Mauswohn

    Liebe Anhora!

    Ha des isch ja echt beeindruggend. Subber, dass de s do no gschafft hosch. Hosch koi Selfie von Dir ond m Pabscht macha wella? Hawa, muss ja et sei, mir send ja au bescheida wie er. Wie lang seid r denn dann do hanna romgschtanda? Isch jo sichr au aschtrengend, odr? Abr glohnt hot sichs auf jeden Fall!

    Grüßle von dr Alb
    Mallybeau 🙂

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    1. Anhora Autor

      Liebe Mallybeau, rumgstande sind mir bloß a Stündle drauße, bevor ´man auf de Petersplatz reinglasse worde isch (durch Gates mit Metalldedeggdore und allem Pipapo). Es hot aber gnug Fressständ gäbe. Dann hond mir die Tickets gholt und sind nei in d’Kirch. Da simmer dann gsässa. 🙂
      Und noi, a Selfie hon i mi net traut zum mache. I kann des au gar net so recht, weil i’s selde mach. I sieh immer so grauslig aus auf em Bildschirm dass i dann vor Schreck fast s’Handy falle lass. 😉

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      1. Mallybeau Mauswohn

        Hihi, es isch ja eigentlich au ziemlich daggelig, sich ällaweil mit äbber abzomlichta. Die Selfiegnibserei muss echt et emmr sei. Haubtsach für Eich wars n scheenr Dag 🙂

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