So feiert man hier also Karfreitag: mit Prunk und Prozessionen, wie es nur Südeuropäer können. Wir stehen in einer Menschenmenge mitten im Herzen von Huelva in Andalusien, gaffen auf die geschmückten Balkons, die Heligenbilder und Blumen an den Hauswänden und auf die vermummten Gestalten, die im langen Büßergewand auf der abgesperrten Straße vor uns vorbeiziehen.
Wir hören monotone Trommelklänge, und nun kommt die Himmelsmutter langsam auf uns zu. Sie steht überlebensgroß auf einer mit Blumen und Kerzen überreich geschmückten Plattform, Schmerz zeichnet ihr überirdisch schönes Gesicht. Ich muss kämpfen, dass mir nicht die Tränen kommen.
Im monotonen Takt der Trommeln wird die reich verzierte Madonna von gut dreißig Männern unter ihr im Synchronschritt auf den Schultern getragen. Dadurch wippt sie leicht hin und her, und wenn man sich den Unterbau wegdenkt, dann sieht es tatsächlich aus, als würde sie selbst gehen. Aber das kann sie natürlich nicht. Trotz all ihrer Herrlichkeit muss sie von Menschen getragen werden, damit sie sich bewegen kann. Und so ist es mit dem Glauben ja irgendwie auch.
Der riesigen Sänfte mit der Heiligenfigur folgt eine Musikkapelle mit Trommlern und Trompetern. Sie spielen Lieder, aus denen man die andalusische Seele heraushört – mal melancholisch, mal leidenschaftlich, wie beim Flamenco.


Die Konstruktion mit der Statue wird nun direkt vor unseren Augen abgesenkt, die Träger bekommen eine Pause von einigen Minuten. Ihre Last ist tonnenschwer, und sie tragen sie auf Nacken und Schultern stundenlang über etliche Kilometer hinweg von der Kirche durch die Altstadt und wieder zurück. Dafür trainieren sie monatelang, und sie werden Schmerzen und Blutergüsse davontragen. Dabeisein zu dürfen, ist ihnen trotzdem eine große Ehre, obwohl sie hinter den rotgoldenen Brokatvorhängen am Wagen nichts sehen und nicht gesehen werden. Sie werden von den vorausschreitenden Anführern geleitet.
Der Zug kommt wegen der häufig notwendigen Unterbrechnungen nur langsam voran, aber irgendwann erscheint die nächste Gruppe an Büßern und Ministranten, die nächste Heiligenfigur – diesmal eine monumentale Kreuzigungsszene – und wieder eine Musikkapelle mit Trommeln und Trompeten.

Später steht plötzlich ein Mann vor dem Wagen und singt voller Leidenschaft ein Flamenco-Lied, allein, mit einer Stimme, die weit zu hören ist.
Der Sänger ist der Mann mit dem weißen Hemd direkt vor dem Wagen.
Den ganzen Abend und wahrscheinlich die ganze Nacht werden in vielen Städten des Landes jeweils mehrere Prozessionen mit solch kostbaren Altären durch die Straßen getragen. Die Zuschauer scheinen nicht so ergriffen wir ich. Sie schauen zu, unterhalten sich, klatschen, überqueren die Straße, reden mit Teilnehmern aus dem Zug, zeigen sich. Touristen sehen wir fast gar keine, es sind vor allem Spanierinnen und Spanier, die hier den Tod und das Leben von Jesus Christus feiern. Die ganze Karwoche hindurch gibt es alle Arten von kirchlichen Veranstaltungen.
Mehr darüber:
http://www.andalusien360.de/events/semana-santa
http://www.ciao.de/Alles_mit_S__Test_2912306