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Me is boring

Seit zwei Wochen fällt mir dieser Satz immer wieder ein. Er stammt von einem meiner Kinder und heißt übersetzt (man kommt nicht ohne weiteres darauf): Mir ist langweilig. Vor Jahren schuf das Kind diesen Satz unter Nichtbeachtung aller Regeln der englischen Sprache, und doch fand er Eingang in den Familienjargon und wird noch heute verwendet. Selbst vom geliebten Briten.

Ich habe mich seit meiner Kindheit nicht mehr gelangweilt, doch seit Kurzem verfüge ich über viel Zeit. Tatsächlich überlege ich manchmal, was ich als Nächstes tun könnte. Es gibt nichts Wichtiges zu erledigen, nachmittagelang, ebensogut könnte ich auch nichts tun, was dem Sachverhalt der Langeweile nahe kommt. Aber soweit ist es noch nicht, es ist nur ungewohnt, tagsüber ein Buch zu lesen oder einfach das Fahrrad herauszuholen und zu erkunden, ob sich der Frühling schon irgendwo sehen lässt.

Wie kommt das? Ich habe eine Arbeitsstelle, aber da geh ich ja nur vormittags hin. Die Nachmittage und oft auch die Abende oder Wochenenden verbrachte ich bisher als freiberufliche Übersetzerin. Und nun hatte ich endlich den Mut, meinen größten Kunden aufzugeben. Ich stehe nicht mehr zur Verfügung, sagte ich. Übrig sind ein paar kleinere Auftraggeber und deshalb habe ich Zeit. So viel wie seit Jahren nicht und wenn, dann war es aus keinem guten Grund. Aber jetzt? Ich bin gesund, ich habe Arbeit, und ich habe Zeit.

Die Einkommenssituation verändert sich natürlich, aber ich lebe nicht allein, und Materielles bedeutet mir nicht viel. Wozu also der Aufwand? Ich geh nachmittags lieber in die Stadt. Bummeln. In die Bücherei. Vielleicht rufe ich eine Freundin an und verabrede mich, wenn sich überhaupt noch eine an mich erinnert. Nächste Woche habe ich einen Friseurtermin und es macht mich nicht nervös, denn: Ich werde Zeit haben.

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Zum Reichtum führen viele Wege

Nie wieder will ich in einem Unternehmen arbeiten, das Handelswaren produziert. Solche Firmen überweisen zwar am Monatsende mehr Geld auf mein Bankkonto, fordern dafür aber immer schnellere Abläufe, höhere Leistung, mehr Rendite. Dagegen sind die Gehälter weit weniger üppig, wenn das „Produkt“ Menschen sind.

In meiner neuen Arbeitsstelle wird benachteiligten jungen Leuten geholfen, einen Schulabschluss, eine Ausbildung oder einen Deutschkurs zu machen und viel Geld verdiene ich dabei nicht. Trotzdem werde ich hier reich. Meine Kollegen sind herzliche Menschen, die wie ich daran glauben, dass jeder Schwache eine Chance braucht. Gemeinsam tun wir etwas dafür und Nächstenliebe gilt nicht nur an Weihnachten. Im Gegenzug ließen die Syrer gestern den letzten Tag ihres Sprachkurses ausfallen und belegten stattdessen den ganzen Vormittag die Küche. Mittags wurden wir zum Essen eingeladen und saßen alle zusammen bei köstlichen Falafel-Wraps.

Das fühlt sich richtig an.

Warum sollte ich also in einem profitgetriebenen Unternehmen arbeiten, um ein höheres Gehalt zu bekommen und mehr Dinge kaufen zu können, die ich nicht brauche? Die wahren Schätze liegen in keinem Regal.

Eingebungen

Manchmal habe ich Eingebungen. Zum Beispiel, dass ich plötzlich keine Lust mehr auf Schokolade habe, und dann bleibt der angebissene Riegel liegen, bis er irgendwann Staub ansetzt. Oder dass das abendliche Glas Wein nicht mehr schmeckt, dann trinke ich von da an Tee. Oder – im günstigsten Fall – dass ich nicht mehr rauchen will, und dann kann ich noch am selben Tag aufhören damit, ohne morgens schon gewusst zu haben, dass ich abends Nichtraucherin bin. Immer dauert diese Abstinenz ein paar Monate oder länger.

Nun hatte ich wieder eine Intuition, völlig unerwartet und noch nie dagewesen: Auf einmal will ich nicht mehr ans Tablet. Der PC ist mein Arbeitsplatz, an dem ich Übersetzungen anfertige und Papierkram erledige (der inzwischen Digitalkram heißen müsste), aber am Tablet schreibe ich persönliche E-Mails, lese Nachrichten, Blogbeiträge und was mich sonst noch interessiert. Hier entstehen alle meine eigenen Texte, und auf einmal ging es nicht mehr. Stattdessen schleppte ich Bücher aus der Bibliothek nach Hause und mit ihnen verbringe ich nun jeden Abend. Ich blättere, lese, denke nach, höre Musik. Es tut so gut: nicht mehr ständig das Neueste zu wissen, nicht in konstantem Kontakt mit der Welt zu stehen sondern mit mir selbst, in meinem Tempo.

Nur die Bloggerwelt fehlt mir doch ein bisschen. Die bunte, perlende, vertraut gewordene Ansammlung verschiedenster Menschen und ihrer Geschichten, das Formulieren eigener Gedanken. Deshalb habe ich mir auf die Finger gehauen und statt über Architektur in der Renaissance zu lesen diesen Text geschrieben. Vielleicht werden es künftig hier weniger Beiträge sein. Die Welt wird darüber hinwegkommen.

Diagnoseeffekt

Heute Morgen beim Doktor. Ich will endlich wissen, warum mir immer ein bisschen eng ist im Brustkorb. Nicht schlimm, und während meiner erst wenige Monate zurückliegenden Raucherzeit ignorierte ich es einfach, die Ursache war ja klar. Nur als es ohne Zigaretten nicht aufhörte, wunderte ich mich. Lässt du mal nachschauen, dachte ich also, und wurde beim Lungenfacharzt vorstellig.

Über zwei Stunden lang wurden Untersuchungen mit mir angestellt, um eingehend Anatomie und Funktion meiner Atmungsorgane zu betrachten: Röntgenaufnahmen, Belastungstests, Lungenfunktionstests, Bluttests und Bronchienprovokationstests oder wie das heißt. Man fühlt sich hinterher wie ein umgestülpter Handschuh, und all das wegen eines leichten Drückens im Brustkorb.

Jetzt weiß ich: Es kommt nicht vom Rauchen, wenngleich es dadurch natürlich nicht gerade besser wurde. Aber die Diagnose ist eine andere: Ich habe Asthma, und zwar schon seit Jahren.

Nun merke ich es auch: Ich kann plötzlich nicht tief einatmen, es tut ein bisschen weh beim Ausatmen und mein Brustkorb zieht sich zusammen. Überhaupt fühle ich mich so, wie man sich bei mangelnder Sauerstoffzufuhr eben fühlt: krank. Ich hole Kortisonspray und Notfallspray aus der Apotheke, fahre nach Hause, setze mich hin, lese die Gebrauchsanleitung und höre dem geliebten Briten zu, der nun detailliert meine nächtlichen Hustenattacken schildert einschließlich schaurigen Vorführungen des Keuchens und Röchelns, das ich dabei angeblich von mir gebe. Davon weiß ich nichts, aber es passt zur Symptomatik und vervollständigt das Bild: Ich bin ein armes, asthmatisches Tröpfchen.

Das Gute daran: Es wurde kein Tumor oder sonst etwas Schreckliches gefunden, und das war im Hintergrund immer meine klitzekleine Befürchtung gewesen. Also positiv denken und inhalieren, sage ich mir. Beides hilft.

Hirnformationen

Frust vergeht am sichersten durch kleine Belohnungen. Sie können auch groß sein, aber das ist keine Bedingung. Meist genügt eine Zigarette, ein Schokoriegel oder ein Glas Wein, denn sie bewirken alle das Gleiche: ein paar Minuten lang verkriechen wir uns in uns selbst. Wir vergessen das lästige Drumherum und wenden uns nur dem zu, was wir gerade tun, sind ganz bei uns selbst. So ist es jedenfalls bei mir.

Beliebt sind solche Mittel vor allem deshalb, weil der Effekt nach Belieben herbeigeführt werden kann und auch wird, immer häufiger sogar. Zu den ursprünglichen Auslösern in Form von mehr oder minder ausgeprägten Widrigkeiten des Lebens kommt mit der Zeit nämlich Atemnot, Übergewicht oder Kopfschmerzen dazu und damit weiterer Frust.

Gegen Niedergeschlagenheit und schlechte Laune wirkt natürlich auch der Anblick einer aufgeblühten Apfelblüte, das ausgelassene Lachen junger Leute auf der Straße oder der zwiebelige Duft eines Bärlauchsouffles. All das lässt sich aber nicht nach Bedarf herholen und setzt überdies eine gewisse Empfänglichkeit voraus. Man kann sich also nicht ordentlich konditionieren.

Sind die Gehirne von Genussmittel-Abhängigen denn anders? Brauchen wir mehr Endorphine? Ist ein Leben ohne diese Kicks nicht unfassbar flach und lustlos? Was machen Nichtraucher, Ernährungsbewusste, Anti-Alkoholiker nach einem aufreibenden Arbeitstag, einem Streit oder einem traurigen Ereignis?
Was macht ihr?

Fragt sich und euch Anhora,
seit neun Tagen Nichtraucherin.

 

Apfelblüte
(c) Sylvia W.

Funfsig Sänt

Vor ein paar Wochen fragte mich eine Freundin, ob ich denn jede Art von Arbeit annehmen würde, wenn mein jetziger Vertrag ausgelaufen ist. „Nein“, antwortete ich. „Das Leben ist zu kurz für Dinge, die nicht zu mir passen.“

Heute stehe ich bei Penny an der Kasse und beobachte die füllige Frau im roten Kittel. Sie ist um die fünfzig und trägt das stark blondierte Haar mit rosa Kämmchen zurückgesteckt. Energisch zieht sie die Waren über den Scanner, dann ruft sie: „Neun funfsig“. Ihre Augen wandern für einen Moment nach oben, als wäre ein YinYang-Symbol auf die Rigips-Decke gemalt, dessen Anblick eine Sekundenmediation auslöst. Ihr Blick kehrt nach innen, wo sie dem Anschein nach eine geordnete Welt vorfindet, die keiner weiterführenden Gedanken bedarf. Der alte Mann vor mir legt einen Zehn-Euro-Schein hin. Sie erwacht sofort und alles ist wieder wie vorher. „Dankeschään“ singt sie routiniert, klemmt das Geld an die Kasse und schnarrt: „Chaben Sie funfsig Sänt klein?“

In diesem Augenblick beneide ich die Frau. Sie hat Arbeit. Sie ist im Einklang mit sich und dem Leben. Vielleicht darf man nicht zu wählerisch sein.

Konzentriert betrachte ich die nun an mir vorbeiziehenden Bananen, Tempos und Tiefkühlerbsen. Lass dich nicht hängen, ermahne ich mich. Kein Grund zur Panik. Für mich wird sich auch wieder ein Türchen öffnen. Wirst schon sehn.

„Schau mir in die Nadeln, Kleiner“

Bei dem Baum handelt es sich um eine Tränenkiefer. Diesen Namen hat sie, weil aus den jungen Zapfen Harztropfen perlen und bei Sonnenschein sieht es aus, als würde der Baum weinen. Wir sahen aber nur die ausgewachsenen, monströsen Exemplare vom Vorjahr. Sie werden bis zu 36 cm lang und wir konnten uns gar nicht sattsehen. Die seidigen Nadeln werden bis zu 20 cm lang.

Ursprünglich stammt der Baum aus dem Himalya. Dieser hier hat seinen Wohnsitz an der Lindauer Hafenpromenade am Bodensee.

Bekannt- und Fremdwerden

Um in das Zimmer meine Mutter zu kommen, muss ich den Aufenthaltsraum durchqueren. Heute riecht es nicht nach Mittagessen wie sonst, sondern nach Kaffee. Ein rüstiger Mann hockt auf einem der Sofas. Sein Blick folgt mir, als ich ihn grüße und er ruft: „Helfen Sie mir beim Aufstehen, ich muss gehen. Man lässt mich nur nicht.“ Das sagt er jedes Mal. „Ich schicke Ihnen einen Pfleger“, antworte ich wie immer. Am Fenster blättert eine Frau mit einer spastischen Lähmung mit spitzen Fingern in einer Zeitschrift. Ich sehe sie gelegentlich vor der Tür beim Rauchen.

Ganz hinten sitzt an einem der Tische eine andere Frau, klein und schmächtig. Sie schaut in den Raum, ohne ihn wahrzunehmen, als denke sie über etwas nach. Ich betrachte sie aus dem Augenwinkel und frage mich, was der heutige Tag ihr bedeutet. Ob sie traurig ist oder nur wartet. Ob Eindrücke in ihr Bewusstsein dringen oder abfließen wie Seewellen, die gegen eine Klippe schlagen.

Ich bin schon fast an ihr vorbei und wende mich noch einmal um, da sehe ich erst: Es ist meine Mutter. Sonst liegt sie bei meinen Besuchen im Bett zur Mittagsruhe, aber heute bin ich später dran. Man hat sie in den Rollstuhl gesetzt, unter die Leute gebracht, und ich hätte sie fast nicht erkannt. Bestürzt setze ich mich zu ihr, lege kurz den Arm um ihre mager gewordenen Schultern. Sie lächelt, und das kommt mir wieder bekannt vor.

 

Wer sind wir

Das Wesen eines Menschen besteht nicht nur aus Genen, Elternhaus, prägenden Begegnungen und Erfahrungen. Es besteht auch aus der Art, wie er sich verständlich machen kann. Wenn es bei Hirntraumas zum Beispiel an der falschen Stelle blutet, wird der Patient praktisch mundtot gemacht. Er kann dann nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr sprechen. Was macht das mit jemandem, der bis dahin laut und redegewandt seine Meinung vertrat und mit Nachdruck seinen Willen einforderte?

Man liest gelegentlich von vollständig gelähmten Menschen, die allein mit der Bewegung ihrer Augen kommunizieren und sogar Bücher schreiben. Nach Schlaganfällen funktioniert das aber nicht. Es kommen nämlich nicht mehr die Worte, die man meint, sondern andere. Auch beim Aufschreiben. Regelmäßig stand ich im Supermarkt mit der Einkaufsliste meiner Mutter und rätselte, was sie meinen könnte. Als ich neulich die Dateien auf ihrem Computer gesichert habe, fand ich ein Worddokument mit einem Geburtstagsgruß, den sie einem Bekannten schreiben wollte. Herzliche Herzwünsche zum Geburtsburg.

Seit Jahren fällt ihr das Sprechen schwer, Wörter kommen oft falsch oder gar nicht. Gleichzeitig schien meine Mutter weicher, gelassener, nachgiebiger geworden zu sein. So war sie vor dem Schlaganfall nicht, und vielleicht war sie es auch nachher nicht. Vielleicht war es ihr nur zu mühsam geworden, Einwände zu artikulieren. Nun müssen die andern selbst entdecken, was gerade gemeint, gewünscht, gefragt sein könnte. Vielleicht ist das, was man dabei interpretiert irgendwann das, was diesen Menschen ausmacht. Da fragt man sich, wer wir eigentlich sind.

Kraftvoll zugebissen

Gestern vormittag auf der Autobahn. Ohne Spezialbrille war es nur die Kamera, die in die angeknabberte Sonne sehen konnte, die sich im übrigen gar nicht verfinsterte. Aber das harte Vormittagslicht wurde vorübergehend mild und erinnerte mich an eine südlichere Abendstimmung. Jedenfalls auf der Strecke zwischen Ulm und Stuttgart.

Wenn ich groß bin, werde ich Pilot

Menschen haben sich schon immer gerne Fantasiewelten erschaffen. Früher brauchten sie dazu Bücher oder Tagträume, heute führt die digitale Welt schneller und intensiver zum Ziel. Computerspiele etwa machen jeden zum Helden, und das Internet bietet in sozialen Netzwerken Räume, in denen man sich zugehörig fühlt wie in einer Familie und dem Glauben erliegt, interessant und beliebt zu sein. Fans und Likes beweisen es ja.

Wie sehr digitale Technologien das Träumen befördern können, erlebte ich gestern. Da wurden dem geliebten Briten an meiner Seite nämlich die Instrumente einer Boeing 777 erklärt, und dann flog er sie von Stuttgart nach London, von dort zurück nach Stuttgart. Es hätte jeder andere Flughafen sein können, man kann frei wählen. Einer, der sich ein Leben lang für Technik und Nautik interessiert, sitzt also plötzlich in einem Cockpit und darf es selbst versuchen. Später will er wissen, ob ich jemanden mit einem Pilotenschein kenne (leider nein), und im Moment studiert er in Youtube Videos mit Fluganleitungen.

Simulationen – dazu zähle ich auch Facebook usw. – sind natürlich kein Ersatz für das Echte. Wenn aber das Echte unerreichbar ist, kann man wenigstens so tun als ob und den Träumen Flügel geben. Dem Briten hat mein Geburtstagsgeschenk jedenfalls Spaß gemacht!

2015-03-14

http://www.simulatorfliegen.eu

On the road again

Am liebsten würde ich leben wie in einem Reisebus. Start, Ziel, Ankunft – alles geplant. Nach jeweils zwei bis drei Stunden würden Zwischenstopps eingelegt zur Erfrischung oder um etwas anzuschauen. Eine malerisch gelegene Burgruine zum Beispiel oder einen Bergsee, an dessen eleganter Promenade es Eiscreme zu kaufen gäbe. Die Tourismusindustrie kennt das Bedürfnis der Menschen nach Komfort, Erwartbarkeit und angenehmen Überraschungen. Die Fernreise im voll klimatisierten Bus mit seitlich und rückwärts verstellbaren Sesseln sowie unterwegs ein paar Oh‘s und Ah‘s kann man deshalb als Komplettpaket buchen.

Im Bus des Lebens lässt sich der Streckenverlauf weit schwerer vorhersagen. Man muss froh sein, wenn das Ziel überhaupt näherkommt, denn darauf gibt es keinen Anspruch. Die Sitze werden auf manch einer langen Fahrt eng und man will nur noch ankommen. Die Straßenschilder mit den Entfernungsangaben bleiben jedoch immer gleich: 798 Kilometer. Wer Mut hat, kann sich aus dem fahrenden Bus fallen lassen mit dem Risiko, sich zu verletzen und der Wahrscheinlichkeit, dass dieser Ort nicht die erträumte Anzahl an Sonnentagen garantiert.

Und dann bleibt so ein Bus mitunter auch noch mitten auf der Strecke stehen. „Aussteigen,“ heißt es dann ohne weitere Erläuterungen, man wird ausgespuckt wie zerbissener Kaugummi. Da steht man dann und findet sich allein mitten auf der Autobahn, orientierungslos, ratlos, andere Fahrzeuge brausen vorbei und keines hält an. Die Raststätte ist geschlossen, der Parkplatz leer.

So geht es mir gerade.

Meine geliebte Arbeitsstelle im Förderprojekt eines Bundesministeriums wird es bald nicht mehr geben. Das Projekt wird eingestellt. Unsere Verträge laufen im Herbst aus.

 Bus

Die passende Musik zur Stimmung habe ich gerade bei finbarsgift gefunden.

Die Konstanten des Lebens

Manchmal ergibt es sich, dass man eine Einladung zu einer kleinen Dinnerparty erhält von Leuten, die sonst nicht im Fokus der üblichen Samstagabendgestaltung stehen.

Ein alter Mann öffnet uns also die Eingangstür und wir betreten eine kühle, dunkle Diele. Als unsere Mäntel an schweren Eisenhaken hängen, werden wir ins Wohnzimmer geführt und von zwei sorgfältig zurecht gemachten, zierlichen Damen mit strahlendem Lächeln begrüßt. Sie stehen vor einem uralten Schrank mit aufwendig gearbeitetem Kranz und gedrechselten Standfüßen. Es riecht nach trockenem Holz und Staub.

Wir werden aufgefordert, an einem mächtigen Eichentisch Platz zu nehmen, auf dem mit Blumenranken verziertes Geschirr verteilt ist. Die Damen eilen in die Küche, um den alten Herrn bei seinen Gastgeberpflichten zu unterstützen. Es gibt hier keine Hausherrin mehr. Die beiden bewegen sich in ihren eleganten Blusen, schwingenden Röcken und teuren Schuhen, als trügen sie Hauskleid und Pantoffeln. Man kann sie sich gar nicht anders vorstellen, vielleicht sind sie so zur Welt gekommen. Das ist lange her.

Der alte Herr tappt derweil suchend hin und her, müht sich eine Weile mit der Musikanlage ab, „vorher gings doch auch,“ endlich erklingen französische Chansons. Aus der Küche dringt die hohe, kratzige Stimme der einen Dame und die Altstimme der andern, dann segeln sie zurück zu uns mit Feldsalat und Ziegenkäse aus einem Delikatessengeschäft, das sie nicht zu erwähnen vergessen. Wir nippen Champagner aus Kristallgläsern, die mindestens hundert Jahre alte sind.

Während des Essens spricht der Mann nicht viel, auch das übernehmen die Damen – beide verwitwet übrigens – für ihn. Sie zählen die Orte auf, die sie bereist haben, danach geht es um Kunst, also welche Gemälde man besitzt. Wir gehen zum Wein über und die Damen fangen an zu kichern. Von Zeit zu Zeit legt eine von ihnen freundschaftlich die Hand auf den Arm des Mannes, die andere klopft im Vorübergehn auf seine Schulter. Er erzählt nun mit kargen Worten kleine Anekdoten aus früheren Zeiten.

Schließlich stellt eine der Damen fest, dass sie nun beschwipst sei und nicht mit dem Auto nach Hause fahren könne. Es entsteht sofort eine lebhafte Diskussion darüber, wer sie mitnehmen könne oder ob sie lieber hierbleiben und im Gästezimmer übernachten solle. Wir lachen, hänseln, jeder bietet ihr einen Platz zum Mitfahren an. Der alte Mann sitzt auf einmal aufrecht auf seinem Stuhl, die Augen hellwach. „Freilich bleibst du da, es ist genug Platz“. In sein Lächeln spielt nun eine feine, kaum wahrzunehmende Unruhe, die ihn selbst zu überraschen scheint. Die Dame blickt mit gerunzelter Stirn und glänzenden Bäckchen ins Kaminfeuer, sie scheint über seinen Vorschlag nachzudenken. „Soviel hast du nicht getrunken, du kannst noch gut Auto fahren,“ befindet die andere Dame, die mit der tiefen Stimme.

Wir verabschieden uns und ich weiß nicht, wie der Abend ausging. Bei uns wollte sie jedenfalls nicht mitfahren. Ein beruhigender Abend. So viel verändert sich im Leben, aber doch nicht alles.

Liebster-Award

liebster-award

Es ist soweit, ich hab mal wieder ein Stöckchen zugeworfen bekommen, diesmal von WordBUZZz, dem liebenswerten Blog einer Studentin, den ich schon lange verfolge. Danke für die Nominierung und hier meine Antworten auf deine Fragen:

1. Schreibst du deine Artikel per Hand vor?
Nein. Ich schreibe nur noch Einkaufszettel von Hand, und selbst die tippe ich immer häufiger im Handy ein.

2. Was soll später auf deinem Grabstein stehen?
Ich bin ein Star – holt mich hier raus!

3. Wie bist du auf das Design deines Blogs gekommen und was gefällt dir daran?
Ich habe den ersten Vorschlag genommen, der klar und übersichtlich war und ich habe ihn nie geändert. Der Mensch braucht Konstanten im Leben.

4. Was hängt an deinen Zimmerwänden?
Zurzeit einige Bilder, die meine Mutter gemalt hat. Außerdem Fotos von meinen Kindern.

5. Wenn du dich tätowieren lassen wollen würdest, welches Motiv sollte es sein und warum genau dieses?
Ein Schmetterling: Leicht, bunt, flatterhaft. Ein Tattoo habe ich trotzdem nicht. Das wärehttps://wordbuzzz.wordpress.com mir zu endgültig.

6. Zu welchem Planeten würdest du gerne einmal reisen?
Wenn Hin- und Rückreise in kurzer Zeit möglich wäre (nur dann): Auf die Venus. Weil mir der Name am Besten gefällt.

7. Was ist dein Lieblingswort?
Ich hab mehrere! Aufwachsekunde zum Beispiel. Oder Nachsommerblüten, Tintenstäbchen, Schneelicht, Bordkarte, Bachkiesel, Faber Castell, Ubuntu usw. Ich hab eine ganze Liste, die les ich immer wieder mal durch und freu mich dran.

8. Gibst du dir im Urlaub Mühe nicht als Tourist erkannt zu werden?
Nein. Ich bin bekennende Touristin und gebe mir Mühe, das Gastland zu überzeugen, wie nett die Deutschen sind.

9. Was ist dein Beitrag zur Weltverbesserung?
Ich versuche nur meinen unmittelbaren Dunstkreis zu verbessern, indem ich vor allem Toleranz, Humor, Güte und Umweltbewusstsein vorlebe. Was davon aufgegriffen wird, ist Sache der andern. Ich habe kein Sendungsbewusstsein.

10. Welches Talent hättest du gerne?
Die Frage nach dem Talent stellt sich mir nicht. Ich habe die Talente, die ich mir wünsche. Aber die Zeit dafür fehlt mir leider …

11. Warum hat Noah damals die beiden Stechmücken nicht erschlagen?
Wahrscheinlich, weil irgendeine Vogelart sonst nicht genug zu fressen gehabt hätte.

Und eine Bonusfrage, eine Kopfnuss wie ich finde…

Was haben Schmetterlinge im Bauch, wenn sie verliebt sind?
Welche Farbe bekommt ein Schlumpf, wenn man ihn würgt?
Warum gibt es Whiskas mit Huhn, Fisch und Rind, aber nicht mit Maus?
Wenn der Mensch eine Weiterentwicklung des Affen ist, warum gibts dann noch Affen?

Ich meine: Wir müssen nicht alles wissen!


Aber ihr wisst nun ein paar bestechende Fakten über mich und obwohl ich nicht sicher bin, ob solche Aktionen den Lesern wirklich interessieren, hat mir auf jeden Fall das Schreiben Spaß gemacht. Ich kann es also empfehlen und habe mir nun auch 11 Fragen ausgedacht:

1. Was war für dich das Beste im vergangenen Jahr 2014?
2. Was wünschst du dir für 2015?
3. Was wolltest du schon immer tun und es ist bis heute nicht dazu gekommen?
4. Was war der Auslöser, warum du deinen Blog gestartet hast?
5. Beschreibe dich mit drei Adjektiven
6. Welches Musikstück hörst du gerade / hast du zuletzt gehört?
7. Schaust du lieber Tatort oder Dschungelcamp?
8. Was verbindest du mit dem Wort „Heimat“
9. Hast du Freunde mit ausländischen Wurzeln?
10. Was hältst du von Überwachungskameras?
11. Was ist dein Lebensmotto?


Nun müsste ich 10 BloggerInnen nominieren, bin mir aber nicht bei allen sicher, ob sie oder er gerne mitmachen möchte. Deshalb werfe ich das Stöckchen jetzt in die Runde und hoffe, der eine oder die andere fängt es auf und beantwortet meine Fragen im jeweils eigenen Blog. Über Feedbacks der Kandidaten aus meiner Blogroll würde ich mich natürlich freuen, aber auch jeder andere ist herzlich eingeladen zum Mitmachen. Ich bin gespannt!


Hier eine kurze Anleitung, falls das „Stöckchenwerfen“ nicht bekannt ist

    • Schreibe einen Beitrag zu diesem Award, füge das Bild ein und verlinke es mit dem Blog, der dir diesen Award verliehen hat
    • Beantworte in diesem Beitrag die 11 Fragen
    • Überlege dir selbst 11 Fragen und liste sie auf
    • Liste max. 10 Blogger mit weniger als 200 Followern auf und verlinke sie mit ihren Blogs
    • Teile den Bloggern mit, dass sie den Award bekommen haben, wenn es sich um keine regelmäßigen Leser deines Blogs handelt

Viel Spaß!

Redewendungen

Zu einem Getränk braucht man etwas im Mund. In Griechenland jedenfalls. Wein oder Bier ist offenbar nichts im Mund, oder nicht genug.

Wir sitzen in einem Straßencafe, drei Gläser Ouzo stehen vor uns auf dem Tisch und eine kleine Schale mit Nüssen.

„Die Nüsse sind übrigens dazu da, dass wir etwas im Mund haben“, sagt die Tochter. Sie lebt seit einem halben Jahr in Griechenland und kennt diese nette Redewendung. „Neulich war ich zum Beispiel bei einer Bekannten auf ein Gläschen Wein und sie sagte: ‚Ich schau mal was im Kühlschrank ist. Damit wir etwas im Mund haben‘. Griechen nehmen ein Getränk nicht einfach so zu sich. Man bekommt traditionell (in Touristenhochburgen ist es anders) etwas zum Knabbern dazu. Damit man etwas im Mund hat.“

Ich hatte den Mund jedenfalls viel zu voll. Eine Woche lang Kebab, Mousaka, Tsatsiki, Octopus Balls auch, was es eben gab. Danach – ich erzähle aus der Retrospektive – hatte ich fast drei Kilo mehr auf den Hüften. Wie jedes Jahr. Jetzt werden wieder Gürkchen geknabbert, das muss reichen im Mund.

Schön wars!

 

Kardamena-Strand (2)

Nicht hinunterspülen!

„Do not throw paper in the toilet. Please use the bin“. Wie wahrscheinlich jeder Tourist halten wir das Schild über der Toilette in unserem Hotelzimmer für einen Übersetzungsfehler: „Bitte kein Papier in die Toilette werfen. Benutzen Sie den Abfalleimer“. Der Hinweis, dass es um Papiertüten für Damenhygiene oder sowas geht, fehlt. Übrigens auch die Papiertüten, aber wir sind in Griechenland. Da nimmt man es nicht so genau.

Auch in öffentlichen Toiletten finden wir solche Schilder, merkwürdig: auch in Männer-WCs. Wir denken nicht weiter darüber nach, irgendeinen Grund wird es schon geben. Wahrscheinlich haben die Griechen ihn selbst vergessen, es kann unmöglich „so“ gemeint sein. Wir haben längst festgestellt, dass es hier keine feststehenden Regeln gibt, erst recht nicht „so eine“, wenn es sie wirklich gäbe. Griechen entscheiden situativ, ob Vorgaben Sinn machen oder nicht, und dem ist durchaus etwas abzugewinnen.

Eine Ausnahme gibt es aber doch. Wir erfahren sie erst kurz vor unserer Rückreise von der Tochter, die in Griechenland lebt: Papier – ja, auch benutztes Toilettenpapier – darf niemals in die Toilette geworfen werden! Es ist davon auszugehen (nachgeprüft habe ich es nicht), dass selbst Griechen sich an dieses Verbot halten. In jeder Toilette steht ein Abfalleimer bereit.

Warum? Wegen der Rohre. Ihr Durchmesser sei zu klein und durch das Papier entstehen schnell Verstopfungen. Man fragt sich, warum keine dickeren Rohre verlegt wurden, wo doch von Anfang an klar war, welchem Zweck sie dienen. Wir vermuten, dass eher Probleme mit der Kanalisation auf Griechisch, also unschlagbar entspannt beseitigt werden: einfach kein Papier mehr reinwerfen. Spart Gestank, Arbeit und Kosten. Das Klopapier von ein paar ungläubigen Touristen kann das Abwassersystem wahrscheinlich gerade noch aushalten.

 

Straßenkünstler

Die Verkehrssituation in Griechenland entspricht der Mentalität der Bewohner: Sie ist entspannt. Die Durchschnittsgeschwindigkeit schätze ich auf 40 km/h, denn die Autofahrer passen sich den Gegebenheiten an: enge, oft kurvige Straßen, auf denen ständig Fußgängern unterwegs sind, die es nicht eilig haben. Vielleicht weil Gehwege nicht vorhanden oder nicht nur eingeschränkt sind.

Kardamena_GehwegGehweg in Kardamena / Griechenland

 

Auch auf die zahlreichen Rollerfahrer muss geachtet werden. Auf dem Sattel sitzen bis zu drei Personen, die elegante oder ältere Griechin gerne im Damensitz. Vereinzelt wird ein Helm getragen, wahrscheinlich Touristen. Die Mehrheit trägt keinen.

Auf jeden Fall sind die Fahrer Akrobaten. Wir haben mit eigenen Augen beobachtet, wie ein älterer Herr mit einer Hand telefonierte und mit der andern seinen Roller lenkte. Und beim Besuch in unserer Lieblings-Strandbar staunen wir jeden Abend, wenn gegen elf Uhr ein Teenager mit seinem Roller aus einer der belebten Seitenstraßen zum Vorschein kommt, einen großen Müllsack in Empfang nimmt, den er über die Schulter wirft und mit einer Hand festhält, während er mit der anderen Hand den Roller steuert, zurück durch die Menschenmengen.

Erlaubt ist das möglicherweise nicht, aber die Polizei hat anderes zu tun als Rollerfahrer zu verfolgen. Im südlichen Teil der Insel Kos sind angeblich ganze zehn Polizisten im Einsatz.

 

Kardamena (8)

Octopus Balls

Kein Scherz: In Griechenland isst man Octopus Balls. Für alle der englischen Sprache nicht mächtigen Leser: bitte hier nachschlagen. Und ja. Das ist hier eine Vorspeise. Wir beugen uns über die Menükarte eines Restaurants in Pothia auf der Insel Kalymnos, und stoßen auf diese im Englischen irritierende Bezeichnung.

 

Kardamena_Octopus2

 

Gemeint sind natürlich nicht „die“ Balls, die im ersten Moment unsere Augenbrauen nach oben zucken lassen. Es handelt sich um – im Deutschen weitaus unverfänglicher bezeichnete – Bällchen. Oktopus-Bällchen.

Jedenfalls esse ich keinen Oktopus, Tintenfisch, Calamaris oder wie man es auch nennt. Ich habe nie verstanden, was an frittierten

Gummiringen schmecken soll. Um einen Oktopus jedoch in Bällchenform bringen zu können, muss man ihn vorher pürieren, und das ist der Unterschied. Das Ergebnis ist eine derart fein schmeckende Speise, dass ich ein Bällchen nach dem andern wegputze, als gäbe es kein Morgen.

Ob ich wirklich nur Fangarme gegessen habe oder nicht doch ein wenig Hödchen dabei war, will ich nicht wissen. Mir hat’s geschmeckt!

 

PS: Wer in Griechenland Griechen treffen will, ist auf der Insel Kalmynos gut aufgehoben. In der malerischen Haupt- und Hafenstadt haben wir keine ausländischen griechische Touristen gesehen. Ein Ausflug hierher lohnt sich!

http://www.yeome.de/kalymnos-reise.html

http://griechenland-insider-urlaub.de/Dodekanes/Kalymnos/Pothia

 

Nachts krähen die Hähne

Klingt sie nicht wundervoll? Die Überschrift, meine ich. „Nachts krähen die Hähne“ fiel mir während unseres Urlaubs in Griechenland ein, in der Nacht, im Bett, und sie hat etwas Literarisches, wie ich fand. Ich lag wach und überlegte eine Weile lang, was man mit diesen Worten assoziieren würde, eine Erzählung voller Rätsel zum Beispiel oder kontemplative Gedankengespinste, von mir aus ein Krimi, aber die ganze Geschichte ist: In unserem Hotelzimmer sind nachts Hähne zu hören. Sie krähen in der Ferne vor sich hin, stundenlang, langgezogene Klagelaute, als suchten sie Hilfe oder Trost beim Mond.

Von deutschen Hühnerställen kennt man das nicht. Hier kommentiert der Gockel den Anbruch des Tages mit einem kräftigen Kikeriki und damit hat sichs. Der griechische Hahn hingegen scheint sich zu einem Nachtvogel entwickelt zu haben. Warum, weiß ich nicht, vielleicht ist ihm tagsüber zu heiß. Auf jeden Fall klingt sein Krähen anders. Oder liegt es an der veränderten Wahrnehmung in der Nacht?