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Der Abfalltüten-Blues

Wenn wir einen Menschen verloren haben, bewahren wir meist eine Zeitlang Andenken auf: Ein Bild, eine Kerze, vielleicht ein Schmuckstück. Es gibt aber auch Erinnerungsstücke, die nicht ausgesucht werden – sie sind einfach da, übrig geblieben. Ein Sessel vielleicht, oder eine Blumenvase.

Ein solches Andenken lässt mich noch heute jedes Wochenende an meine Mutter denken. Sie starb vor drei Jahren, es war ein Haushalt aufzulösen und so landeten damals unter anderem mehrere Rollen Abfalltüten bei mir. Sie sind inzwischen aufgebraucht bis auf die kleinen 5-Liter-Beutel für Kosmetikeimer.

Manches wird ja vom Alltag gefressen und man denkt nicht mehr darüber nach. Aber von diesen kleinen Rollen mit Beuteln aus 100% Biofolie habe ich noch keinen einzigen einfach so abgerissen. Jedes Wochenende beim Wohnungsputz denke ich: Das gehörte noch meiner Mutter.

Heute brach ich die letzte Rolle auf. 40 Stück. 40 Wochen.
Dann ist nichts Greifbares mehr da.

Aber darauf kommt es ja auch nicht an.

Habt ihr auch solche Erinnerungsstücke?

Eine Botschaft?

Als meine Mutter ihre Hände noch benutzen konnte, malte sie nicht nur Bilder, sondern sie schuf auch kleine Tonskulpturen. Ein von ihr gefertigter Engel zum Beispiel stand jahrelang in ihrem Schlafzimmer. Er gefiel mir nie und anderen wohl auch nicht, denn als sie gestorben war, wollte ihn niemand haben. Ihn wegzuwerfen, brachte ich aber auch nicht übers Herz, und so stellte ich ihn vorerst zu Hause auf. Vielleicht würde ihn eines Tages jemand mitnehmen, dachte ich, wer auch immer. Oder ich würde die Erlaubnis zum Entsorgen bekommen, von wem auch immer.

Kürzlich schlappt nun der geliebte Brite in mein Zimmer, kommt wegen irgendetwas ins Stolpern, sucht Halt, erwischt den Engel und stößt ihn vom Tischchen. Als ich von der Arbeit nach Hause komme, träufelt er gerade Porzellankleber auf die Bruchstelle und drückt den Kopf wieder auf. Der Engel wird an seinen Platz zurückgestellt.

Zwei Stunden später betrete ich das Zimmer, bewege mich ungeschickt mit dem Staubsauger, der Schlauch streift den Engel und er stürzt ein zweites Mal an diesem Tag (genauer gesagt in seinem Dasein) zu Boden. Der Kopf ist wieder ab und die Trompete auch.

Er wird ein zweites Mal repariert, aber wenn ich so darüber nachdenke:
Was meint ihr? Ist das eine Botschaft meiner Mutter, dass ich den Engel in den Müll geben kann? Gefiel er ihr auch nicht?