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Späte Ehre

Neulich an der Straßenkreuzung: Ich stehe mit dem Fahrrad vor einer roten Ampel, hinter mir heult der Motor eines Wagens auf. Ich denke mir erst nichts dabei. Der Motor heult ein weiteres Mal auf. Und wieder. Und noch einmal.

Es ist heiß, ich bin müde, und ein Mensch mit erhöhtem Adrenalinspiegel findet offenbar Gefallen daran, die Luft noch ein wenig mehr zu verpesten. Oder das Revier zu markieren – vielleicht ein junger Türke im BMW.

Der Motor heult wieder auf. „Ist ja gut,“ rufe ich entnervt und wende mich um. Hinter der Windschutzscheibe eines BMWs erblicke ich das Gesicht eines jungen Türken. Er starrt zurück. Ich rolle die Augen nach oben, drehe mich kopfschüttelnd wieder nach vorn und nun ist Ruhe. Der Motor verstummt.

„Meine natürliche Autorität,“ schlussfolgere ich. Die Ampel springt auf Grün, und erst als ich fast zu Hause bin, dämmert mir, was geschehen war: Der Fahrer hatte mich von hinten für eine junge Frau gehalten! Erst als ich mich ihm zugewandt hatte, erkannte er seinen Irrtum und dass er sich das Benzin für weiteres Kammspreizen sparen kann.

Ich erinnere mich nicht, dass wegen mir jemals ein Motor aufheulte, auch nicht als ich noch jung war. Immerhin. Von hinten habe ich also noch Chancen.

😉

Noch sowas: Männerinstinkt

Die Allee

Wenn ich einmal durch diesen Tunnel gehe, dann soll er so sein wie diese Allee. Die Kronen der Baumreihen schließen sich über mir, Licht fließt durch das Laub, auf den Feldern liegt dicker Wildkräuterflaum. Es riecht wie nach einem Regenschauer.

Wenn ich durch diese Allee gehe, sind auch andere Menschen unterwegs: zu Fuß oder mit dem Rad machen sie sich auf den Heimweg nach einem langen Tag. Ich bin nicht allein, und das ist gut. Weiter vorne, am Ende der Allee, wird es hell. Vielleicht wartet dort jemand, doch das ist nicht wichtig. Ich setze einen Schritt vor den andern, höre die Vögel singen, es ist ein warmer Tag.

So träume ich manchmal, wenn ich auf dem Weg von der Arbeit nach Hause durch diese lange Allee radle. An ihrem Ende befindet sich ein kleiner Friedhof. Neulich standen wieder Menschen an einem offenen Grab, die Sonne schien ihnen auf die Schultern.

 

 

Morgenkontemplation

Auf dem Weg zur Arbeit betrachte ich jeden Morgen ein Fräulein in einem Glaskasten. Dieser klebt an der Frontseite einer kleinen Maschinenfabrik und mein Radweg führt eine Weile lang direkt darauf zu.

In dem Kasten sitzt das Fräulein: schmal, ein wenig verhuscht, mit kinnlangem, bräunlich gelocktem Haar und sommers wie winters in einem dünnen Blüschen. Stets blickt sie angestrengt auf einen kleinen Computerbildschirm und kommt ihm mit dem Gesicht einen Tick zu nahe. Selbst aus der Ferne meine ich zu erkennen, dass sie nicht mehr ganz jung ist und eine Brille braucht. Niemals habe ich sie mit einer anderen Person gesehen.

Auch befindet sich der Zugangsbereich mit Lagerhallen, Gabelstaplern, Parkplätzen und dem Eingangsbereich auf der hinteren Seite des Gebäudes, sodass nicht ganz klar ist, wozu es das alles überblickende verglaste Büro auf der Vorderseite braucht. Vielleicht waren die Nutzflächen früher einmal anders angeordnet, oder es ist eine veränderte Einteilung für die Zukunft geplant.

Oder: das Fabriklein hat längst zugemacht, aufgekauft von einem dicken Konzern, und das Fräulein hat man einfach vergessen. Vielleicht ist ihr Gehaltszettel zwischen denen von 5000 weiteren Konzern-Mitarbeitern an anderen Standorten versunken und der Wareneingang ist gar kein Wareneingang, sondern der Zugang zu Abstellflächen für veraltete Ersatzteile, die der neue Eigentümer noch nicht wegwerfen möchte. Dem Fräulein auf der Vorderseite erscheinen aber Bewegungen im Bestand, und unberührt vom Treiben da draußen werden diese von ihr gewissenhaft verbucht und auswertet, wie sie es immer getan hat, und ihre Listen verschwinden vielleicht in den Tiefen eines Verzeichnisses, von dem niemand weiß außer sie selbst.

Dies ist der momentane Status meiner Überlegungen. Jeden Morgen sinne ich ein paar Minuten lang darüber nach, wie alles sein könnte, so wie andere im Yogasitz oder beim Gebet verharren, um inspiriert in den Tag zu kommen.

Und was begegnet euch auf dem Weg zur Arbeit?

Männerinstinkt

Ich bin mit dem Fahrrad unterwegs und sehe von weitem einen alten Mann. Er sitzt in der Spätherbstsonne auf einer Parkbank. Der Mann hat die Ellbogen lässig auf seinen Rollator gestützt und schaut in meine Richtung. Als ich näher komme, hebt er langsam eine Hand zum Mund. Ich überlege noch, was er da macht, weil er mich so ungeniert anstarrt. Als ich fast auf seiner Höhe bin, schiebt er sich zwei Finger zwischen die Zähne und gerade als ich an ihm vorbeigeradelt bin, ertönen zwei kurze, schwingende Pfiffe. Hab ich das eben wirklich gehört? Pfeift der mir hinterher? Ich wende mich um, er starrt mir mit eingefrorenem Grinsen nach und ich falle fast vom Rad. Ich weiß nicht, was mich mehr überrascht – dass mir auf meine alten Tage noch jemand nachpfeift oder wie der Alte das überhaupt hingekriegt hat. Dem eingefallenen Mund nach zu schließen hat er nämlich gar keine Zähne mehr.

Heimweg

Ich holpere mit dem Fahrrad über zerplatzte Kastanien, die auf dem Asphalt kleben. Ein paar letzte Sonnenstrahlen tanzen durch die Bäume und es riecht nach feuchtem Laub. Am Straßenrand sammeln sich abgestorbene Blätter, die der Wind aus den Vorgärten holt, sie trudeln eine Weile herum und beruhigen sich, bleiben am Ende kraftlos liegen. Von Tag zu Tag wird die Luft kühler und das Licht weicher.

Ich bin auf dem Nachhauseweg von meiner Mutter. Diese Strecke fahre ich nun jeden Tag und es wird immer später, bis alles erledigt ist bei ihr. Jetzt bricht die Dämmerung herein, in der Innenstadt beginnt das Nachtleben: Aufgeputzte Menschen promenieren zu Kneipen und Restaurants, Liebespaare umschlingen sich öffentlich, Autos steuern in die Tiefgarage.

Ich friere. Morgen muss ich mich wärmer anziehen und daran denken, ein Fahrradlicht einzustecken.

Am Wegrand

Die schweren Planen auf den langen Reihen angehäufter Erde werden gerade zurückgeschlagen, als ich am frühen Morgen vorbeiradle. Aus den Hügeln blinzeln vereinzelt weiße Spitzen. Spargelspitzen. Arbeiter schlagen überkreuzt auf ihre Oberarme, um sich zu wärmen, und fangen dann an, die bleichen Triebe aus dem Boden zu stechen.

Als nächstes kommen die Erdbeerfelder. Auch auf ihnen glitzern Plastikfolien in der frühen Sonne, dünn wie Seide. Wenn der Wind drüber bläst, entstehen Wellen wie auf einem See. Ein Erdbeerfeldsee.

Und schließlich, kurz vor der Ankunft in der Firma, die fetten Wiesen. Hierher ist der Storch zum Frühstück gekommen. Seine Frau blieb im Nest, die Eier wärmen. Ihr Mann wird ihr etwas bringen. Country McSchneck oder so.

Wunderliche Begegnung

Als ich gestern mit dem Fahrrad nach Hause fuhr, wurde ich von Feen begleitet. Ich besitze ja so ein Kartenset, mit dessen Hilfe man sie rufen und befragen kann zu den Dingen des Lebens. Esoterisch-Spirituelles also, ich bekam es einmal geschenkt. Auf dem Heimweg, vorbei an frisch gepflügten Feldern und mit Erde aufgeschütteten Spargelreihen, hatte ich Feen indes nicht erwartet. Dennoch erschienen ein paar von ihnen und gaukelten wie Schmetterlinge auf und nieder und um mich herum und erfüllten den Wind mit Kinderlachen.

Es gibt sie also, dachte ich und beobachtete die kleinen, durchsichtigen Gespinste, die ausgelassen vor mir her tanzten, als hätten sie lange darauf gewartet. Ihr Übermut steckte mich an, und die Last einer  ganzen Arbeitswoche fiel etwas ab. Meine Schultern wurden weicher, die Schmerzen darin ließen nach, zu meiner eigenen Verblüffung begann ich zu lächeln.

Sind Naturgeister auf unerklärliche Weise von ihrer Welt in meine gelangt? Haben Bäume sie  heruntergeschüttelt? Ehrlich – wenn plötzlich Geister auftauchten, ich würde verschreckt und mit pochendem Herzen versuchen zu fliehen. Ich hingegen hatte Mühe, nicht laut aufzulachen. Diese lustigen Wesen waren mir nämlich nicht fremd. Im Gegenteil schien mir, als kannte ich sie von irgendwoher, und zwar schon lange. Mehr noch: Sie sahen mir ähnlich, jedes einzelne der Gesichterchen glich dem meinen. Ich konnte mir das nur so erklären, dass meine eigenen Feen um mich herumturnten, von mir selbst hervorgebracht, und aus irgendeinem Grund sichtbar geworden.

Derlei Vermutungen und fragwürdige Gedanken auch in der Art, ob meine Nerven mit mir durchgehen, kümmerten meine Begleiterchen nicht. Sie jubelten und hüpften mal vor, mal neben mir und ich musste lachen. Da hörte ich auf,  darüber nachzudenken und überließ mich dem Spaß mit ihnen.

Klimabericht

Wenn man mit dem Fahrrad bei dichtem Nebel mehrere Kilometer zur Arbeit fährt, kommt man mit nassen Haaren an. Triefend, mit einem feinen weißen Pelz aus Wasserperlen auf der Kopf und Jacke, betrat ich die Firma und als erstes die Damentoilette, um mich zu trocknen. Danach lief ich mit verzuzzelten Haaren und matschbespritzten Schuhen herum. Dies entdeckte ich aber erst in der Mittagspause. Die Schuhe waren gleich sauber gewischt, doch mit der Frisur war nichts zu machen: Ich sah aus wie Angela Merkel nach einer Fahrt im offenen Cabrio.
Morgen setz ich eine Mütze auf.

Fragen, die keine Antworten brauchen

Wie kann es sein, dass ich bei der Fahrt auf abschüssigem Weg manchmal in die Pedale getreten muss, während das Rad bergauf fast von selbst läuft? Richtig. Es kann nicht sein. Geht ja gar nicht. Es ist wohl so, dass unter bestimmten Bedingungen die Optik uns einen Streich spielt. Was aussieht, als gehe es leicht bergab, führt in Wirklichkeit leicht bergan und umgekehrt. Welche Merkmale zur Orientierung müssen fehlen, damit nicht unsere Augen erkennen, ob es rauf oder runter geht, sondern unsere Oberschenkel?

Außerdem bin ich noch nicht dahinter gekommen, woher an einer bestimmten Stelle meines Wegs zur Arbeit ein Duft strömt wie aus einem gewaltigen Blumenbouquet. Es stehen dort nur ein paar Bäume herum, und sie blühen nicht. Heute habe ich kurz angehalten. Es sind Linden, glaube ich, und im Laub verstecken sich kleine, grüne Fruchtstände. Oder sind das Blüten?

Nächste Frage: Warum erinnert mich ein bestimmter Luftzug an Wanderungen, die ich als 15jährige während eines Kuraufenthalts in Bayern unternahm? Ist es die feuchte Wärme wie in jenem verregneten Sommer? Der Geruch nasser Bäume? Oder der Wunsch, in diesem Augenblick hier sein zu wollen und nirgendwo anders, so wie damals?

Nur über solche Dinge denke ich nach, wenn ich morgens zur Arbeit radle und abends wieder heim. Und das ist sehr gut so.

Wieder was gelernt!

Die physikalischen Gesetze beim Durchradeln einer Wasserpfütze hatte ich mir vorgestellt wie die des windstillen Zentrums eines Hurrikans. Die Idee war: Anlauf nehmen, pfeilschnell durch die Lache pflügen, gelbraunes Wasser brandet auf beiden Seiten zum Wegrand hin und im Tal der Wogen bleiben mein Rad und ich einigermaßen trocken.

Moses mag einst ähnliche Gedanken gehabt haben, aber schon damals bedurfte es einer höheren Macht, damit es funktioniert. Ich jedenfalls hatte sowohl meine naturwissenschaftlichen Kenntnisse als auch meine spirituellen Voraussetzungen falsch eingeschätzt. Wohl teilten sich vor mir die  Wassermassen. Sie schafften es aber nur geschätzte zehn Zentimeter zur Breite, mindestens das Dreifache jedoch in der Höhe. Genau in dieser Koordinatenposition befand sich aber mein rechter Knöchel, der beim rhythmischen Auf und Ab gerade unten angekommen war. Auf ihm verteilte sich nun die Gischt und schwappte in meinen Schuh.

Jetzt fielen mir die Kinder ein. Wie sie bei Regenwetter Spaß daran hatten, auf  dem Fahrrad durch Pfützen zu sausen – mit weit gespreizten Beinen! Muss ich mir merken. Auf der Weiterfahrt jedenfalls schmatzte mein rechter Fuß im Takt der Pedale. Zum Glück musste das aufgeweichte Schuhleder später nicht unter meinem Schreibtisch trocknen und ich den Bürotag in Strümpfen verbringen. Ich war ja auf dem Heimweg.

Fit wie Lumpi – das Komplettset

Ich will meine Kondition zurück. Früher hatte ich sie, so lange ist das noch gar nicht her. Aber in diesen Tagen strengen mich die einsamen und freudlosen Joggingrunden durch Wohnsiedlungen an. Deshalb – neuer Versuch – fahre ich seit kurzem mit dem Fahrrad zur Arbeit. 10 flache km.

Viele Menschen radeln mit mir denselben Weg oder sie kommen entgegen. In freundliche und verschlafene Gesichter blicke ich, manch eines lächelt mir zu. Ich atme die Frische des Morgens ein. Entlang einiger Sträucher mit unscheinbaren weißen Blütendolden fahre ich durch schweren, fruchtigen Duft. Abends pustet mir die Hitze ins Gesicht, sie fegt über Straßen und Felder, seit Tagen haben wir Sonne und Wind wie an der Küste. Anders als dort schimmern bei uns aber aufgeworfene Erdschollen feucht und dunkelbraun. Mächtige Bäume schunkeln im Takt der Böen, die durch ihr schweres Laub brausen.

Entlang der Spargelfelder mit ihren langen Reihen angehäufter Erde verliere ich meine Rastlosigkeit. Zwischen bunt gekleideten Arbeitern auf  Erdbeerfeldern verpuffen all die Befürchtungen, Griesgrämigkeit versickert auf satten Viehweiden und Radwegen mit Menschen, die mir ein Lächeln schenken. Außer Atem und völlig entspannt komme ich nach 40 Minuten an.

Das ist es, was ich im Moment brauche.