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Die Sekunden vor dem Sturm

Herr Bauer wird kleiner. Der Raum, den er einnimmt, verringert sich, es ist, als stecke er in einer Presse: die Schultern fallen zusammen, Arme kleben am Körper, steif sitzt er im Besprechungsraum. Nur die Augen huschen von hier nach da, als suchten sie nach einem Ausgang.

Jetzt wird gewartet. Er verknotet die Beine, starrt auf den staubigen Efeu in der Ecke, vergisst fast zu atmen. Der Direktor überfliegt das Blatt, das er eben erhalten hat.  Ein Kunde zerpflückt eine Lieferung.

Was Herr Bauer auch sagen wird – der andere wird es Ausflüchte nennen. Faule Entschuldigungen. Unschuldsbeweise wird er fortwischen, nicht zuhören, nicht wissen wollen, und bevor er losbricht, blättert Herr Bauer quer. Überschlägt den sicheren Monatslohn, die Angst, keine neue Arbeit zu finden, das Zugrundegehen hier. Für einen Notstopp bleibt nicht mehr viel Zeit.

Facettenreichtum

Am Bürostuhl vorbeifegen und in den Chefsessel plumpsen. Hinter einem mächtigen Schreibtisch. Dort bleiben und herrschen, ein Jahr, zwei Jahre, länger. Wie das wäre, versuche ich mir gerade vorzustellen. Ich sitze neben dem Azubi, der immer noch nach der richtigen Datei sucht. „Nicht da,“ flüstere ich heiser und zeige auf den Bildschirm, „das ist der falsche Ordner, der drüber …“ An einer Stelle hinter meinem Magen zupft etwas wie ein Kätzchen, das raus will. Ein Eilauftrag röhrt nach Bearbeitung, ich will nicht hier sitzen und warten auf den entscheidenden Klick.

Der Junge ist 18. Arbeitet bei uns seit ein paar Wochen, die erste Stelle, intelligent ist er. Wühlt nicht so flink in den Verzeichnissen wie ich, ansonsten: Denkt mit. Hat Ideen. Und alles, was  mir dazu einfällt ist, an meinen verhakten Fingern zu zerren, weil er eine Anweisung missversteht und durch die Ordnerstrukturen irrt.

Wenn jetzt niemand da wäre, mich zu bremsen. Wenn niemand es wagen würde, sich zu äußern. Kein Kollege die Stirn runzelte vor mir. Wenn es in der Firma die normalen Hindernisse  gäbe in Form eines Menschen und mich: gehüllt in Macht, zerrupft durch Überlastung, Profitsorgen, Verantwortung. Dazwischen nur mein moralischer Anspruch an mich selbst, mein Charakter. Hier werde ich unsicher. Welche Facetten würden wohl nach oben gespült?