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Sonntagnachmittag: Konzeption und Umsetzung

Magische-Saeule

1. Variante: Mit oder ohne Begleitung einen schönen Ort aufsuchen, Eis essen, auf einer Bank sitzen, in die Sonne schauen, spazieren gehen, Capuccino trinken, heim fahren, „schönen Tag gehabt“ sagen, wenn jemand anruft.
2. Variante: Von einem Stadtrat abgeholt werden, gemeinsam zu Mittag essen, Spazierfahrt in der Kutsche, nach Hause gebracht werden, Abschiedskuss, „schönen Tag gehabt“ sagen, wenn jemand fragen würde.

Es fragt aber niemand. Und ohne Bestechung gäbe es auch keine sonntägliche Begleitung.

Was auf dem Bild den Anschein erweckt, als übe eine Turnerin das freihändige Sitzen auf dem Vorsprung einer Stahlkonstruktion, ist das Adelsfräulein Wendelgard. Sie lebte auf dem Weingut Haltnau zwischen Meersburg und Hagnau am Bodensee vor etwa 700 Jahren. Für ihre Sonntagnachmittage wählte sie die 2. Variante, obwohl das Fräulein der Sage nach durch einen Buckel und schweinsrüsselartigen Mund verunstaltet war. Sie wurde von den Menschen gemieden und bot in ihrer Einsamkeit deshalb den Meersburger Stadtoberen einen Handel an: Wenn sie jeden Sonntag von einem der Ratsherren ausgeführt würde, vererbe sie der Stadt ihr lukratives Weingut. Dies wurde ob des allzu grausligen Äußeren der Jungfer jedoch abgelehnt, und so wandte sie sich an Konstanz. Dort war man weniger zimperlich: Stadtoberhaupt und Rat fanden sich fortan im Wechsel zum sonntäglichen Dienst auf der Haltnau ein. Jahrzehntelang ließ sich Fräulein Wendelgard so die Zeit vertreiben und starb im Alter von 90 Jahren. Ihren Besitz vererbte sie wie versprochen den Konstanzern, die heute noch aus den Haltnauer Trauben den beliebten Konstanzer Spitalwein keltern.

WendelgardMagische-Saeule 2Die Skulptur ist eins der unberechenbaren satirischen Kunstwerke des Bildhauers Peter Lenk. Sie gehört zur „Magischen Säule“ an der Hafeneinfahrt von Meersburg, die noch andere Geschichten von Meersburg beleuchtet. Im Hintergrund des oberen Bildes sieht man die Burg.

Der tägliche Ausflug

„Komm doch, die Maus geht jetzt schlafen.“ Eine alte Dame beugt sich über die Hecke, die einen winzigen Vorgarten eingrenzt.  Darin, hinter dürren Sträuchern,  hebt ein Kater den Blick.  Mit feiner Stimme ruft sie noch einmal: „Komm, Peterle!“ Das sorgfältig frisierte Haar klebt an ihrem Kopf wie ein Helm. Steif verharrt sie an ihrem Platz und lässt den Blick nicht von dem Tier. Sie sieht mich nicht. Seit Jahren leben wir Haus an Haus, und doch grüßt sie nur wenn sie muss. Lieber schaut sie weg, als würde sie nicht gesehen, wenn sie nicht sieht. Wenn es jedoch gelingt, ihren Blick zu streifen, dann huscht ein Lächeln in ihr Gesicht, ein schüchternes, wie das eines Mädchens vor siebzig Jahren vielleicht. Sie fängt es gleich wieder ein, als könnte sie sich verraten, und blickt ernst geradeaus.

Der Kater hebt seinen dicken Bauch, streicht langsam die Mauer des Hauses entlang. Sie folgt ihm an der Hecke bis zur Gartentür. „Gell, Peterle, die Maus schläft jetzt auch.“ Dann verschwinden sie in die Wohnung.