Schlagwort-Archive: England

See you, Darling

Zum Abschluss unserer Englandreise verbrachten wir ein paar Tage in Manchester, weil ich diese Stadt zuvor nur vom Durchfahren mit dem Zug her kannte. Alles was ich wusste war:

  • Hier leben ca. 520.000 Menschen, unter ihnen eine begabte Bloggerin aus Deutschland (Emily mit Talk Welsh to me ).
  • Mein Sohn war in Manchester einmal zu Besuch und es hat ihm gefallen.
  • Meine Nichte hat in Manchester ein Studienjahr verbracht.
  • Es gibt hier einen berühmten Fußballclub: Manchester United.
  • Mehrere Popgruppen wie z.B. Oasis, Take That oder die Hollies stammen aus dieser Stadt.
  • Im Mai haben Kriminelle nach einem Popkonzert mehrere Menschen im Bahnhof Victoria Station ermordet.
  • Ach ja (der geliebte Brite hält gerade einen Vortrag): Manchester war früher das Zentrum der Baumwoll-/Textilindustrie. Falls das jemanden interessiert.

Das Straßenbild in der Innenstadt ist spannend: Monumentale historische Gebäude (z.B. das Rathaus) und uralte Pubs (z.B. das Old Wellington) stehen ohne mit der Wimper zu zucken neben modernen Bauten. Diese sind zum Teil mit farbigen Fassaden versehen sind und der ganze Mix wirkt kunterbunt, lebendig, vielfältig.

 

Die Menschen in Manchester sind wie alle Engländer ausgesprochen freundlich und hilfsbereit. Als kleines Extra wird man zudem ständig mit „Darling“ angesprochen. An der Kasse von Aldi z. B.: „Twelve Pounds sixty, Darling“. Im Nordwesten um Carlisle / Bowness ist die Standard-Anrede dagegen „Love“, etwa im Pub: „What can I get you, Love?“, während man in Newcastle zum Pet wird (Haustier im Sinn von Kätzchen). Vor einem Eingang kann man durchaus ein lächelndes „Go ahead, Pet“ hören.

Heute durfte ich diese liebenswürdige Eigenart ein letztes Mal genießen, und zwar im Flughafen. Eine füllige Frau in Uniform winkte mich bei der Sicherheitskontrolle zu sich: „Go through the gate, Darling“. Ich dachte in diesem Augenblick: ich möchte den Rest meines Lebens mit „Darling“ angesprochen werden. Leider scheint das in London nicht zum Umgangston zu gehören, denn vom geliebten Briten hör ich sowas nur auf Anfrage.

Hier noch ein paar Bilder:

Media City UK

The Old Wellington

Das Old Wellington ist das älteste Pub in Manchester. Es wurde 1552 zum ersten Mal erwähnt und hat mit der modernen Zeit so seine Erfahrungen.

1974 zum Beispiel wurde es mit Beton unterlegt und um 1,5 m angehoben, damit es auf die gleiche Höhe der angrenzenden Schopping Mall Arndale Centre kam.
1996 detonierte in der Nähe eine Bombe der IRA und beschädigte das Gebäude schwer. Als es wieder instandgesetzt und neu eröffnet worden war, fiel den Stadtoberen ein, dass man den Standort verändern wollte. Das komplette Pub wurde in seine Einzelteile zerlegt und 300 m weiter wieder aufgebaut.

Die Manchester Town Hall (Rathaus) 

 

Das waren einige Ausschnitte, man könnte noch stundenlang weitermachen! 🙂

Von Römern und Kohlen

Newcastle upon Tyne liegt im Nordosten Englands und hat ca. 280.000 Einwohner, ist also etwa so groß wie Augsburg oder Wiesbaden.

Zu seinem Namen kam die Stadt, als im Jahr 1080 auf einer alten Festung am Ende des Hadranswalls eine neue Burg (new castle) gebaut wurde. Sie sollte die Wilden aus dem heutigen Schottland davon abhalten, ins römisch besiedelte England einzufallen. Die stationierten Soldaten förderten Handel und Gewerbe, und so entstand Newcastle.

Im industriellen Zeitalter lebte man hier vom Kohleabbau und mir ist manchmal, als spüre ich die rußverschmierten Bergarbeiter heute noch in den Straßen und Gassen umherziehen.

Skulptur von Sean Henry, 2008, „Man with potential Selves“

Im Zentrum ist es so quirlig und schnelllebig wie in allen größeren Städten, aber den Straßenzügen fehlt die Eleganz von London und die Buntheit von Liverpool. Auch die Menschen zeigen hier weniger Stil und Klasse, sowohl was die Mode betrifft als auch ihr Benehmen. Beides kann man am am besten an einem Freitag- oder Samstagabend in der Innenstadt beobachten, wenn die Partygänger unterwegs sind.

Auf mich wirkt Newcastle immer ein wenig verschlossen. Die Geordies, wie die Menschen rund um Newcastle genannt werden, sprechen außerdem einen Dialekt, den man ungefähr so gut versteht wie einen Schwaben in Norddeutschland: gar nicht.

Dennoch ist die Stadt ein Must bei unseren Englandreisen: Hier hat der geliebte Brite dreißig Jahre seines Lebens verbracht. Seine Kinder leben heute noch hier und so stehen erst einmal Familientreffen an.

Let It BeWords of Wisdom

Grey Street, die „Prachtstraße“ der Stadt. Benannt nach Earl Grey, der hier lebte. Ganz hinten steht sein Monument.

Nochmal Grey Street, in die andere Richtung gesehen.

Skulpturen von  Sean Henry.


In Deutschland wäre das ein verunglückter Imbiss-Name!


London

Eigentlich ist unser Ausflug nach London schon wieder vorbei, aber ich nehm euch einfach nachträglich mit. Schaut mal:
(Draufklick = groß)

Dann war da noch der Besuch beim hochbetagten Onkel und der Tante des geliebten Briten. Ich bin ich wieder einmal von den Aufenthaltsräumen eines Pflegeheims überrascht. Teppiche, Plüsch und dunkles Holzmobiliar, überall rafft und rüscht es sich, im Speisesaal hängen kronleuchterähnliche Lampen und beim Abendessen sieht es aus wie bei einer festlichen Einladung. Dabei handelt es sich um eine ganz durchschnittliche Einrichtung. Bei uns sind solche Räume weiß getüncht, funktional, abwaschbar.

Wir trafen uns außerdem mit dem Neffen und dessen Freundin. Das Mädchen erzählte, dass ihr Vater sich kürzlich weigern wollte, einen Weihnachtsbaum aufzustellen. Die Kinder seien erwachsen, es sei mühsame Arbeit, nicht nötig für die paar Tage. Aber alle protestierten und der Weihnachtsbaum kam zum Einsatz wie jedes Jahr. Interessant ist das Detail, dass die Familie der Freundin Hindus sind, ich glaube die Eltern stammen aus Indien. Mit den Anlässen zum Feiern nicht man es aber nicht so genau. Ob sie auch Weihnachtslieder singen, habe ich vergessen zu fragen.

 

Eine Beisetzung in England

Soviel vorab: Die Trauerfeier meiner Schwiegermutter war die eindrucksvollste Zeremonie, die ich bei Beerdigungen bisher erlebt habe. Aber doch anders als bei uns.

Lily war wie die meisten Menschen in England nicht religiös. Zur Trauerfeier erschien deshalb kein Priester, sondern ein „Celebrant“. Das ist ein Vertreter des Britischen Humanistischen Verbands, der nicht-religiöse Beerdigungen, Hochzeiten, Namensfeiern usw. durchführt. Wir versammelten uns also nicht in einer Friedhofskapelle, sondern im Krematorium.

Der Sarg wurde von vier Trägern in einen mit Blumen geschmückten Raum gebracht, die Trauergesellschaft nahm auf den Stühlen Platz. Der Celebrant hielt die Eröffnungsansprache und es folgte eine Rede des ältesten Sohnes, des geliebten Briten. Er beschrieb seine Mutter als junge Frau, wie sie lebten damals, was er von ihr lernte, kleine Geschichten aus dem damaligen Alltag. Der zweite Sohn schilderte dann ihre weiteren Lebensstationen, und ein Enkel sprach schließlich darüber, was seine Oma ihm bedeutete.

Dann gab es ein paar Gedenkminuten, während denen ein Lied von Frank Sinatra abgespielt wurde: „We’ll be together again“. Das war für mich gewöhnungsbedürftig, ich dachte ich sitz in einer Bar. Danach trug die andere Schwiegertochter ein selbstverfasstes Gedicht vor: „No Tears / This is not a time to grieve, …“ Wer bis dahin nicht geweint hatte, tat es jetzt. Es war berührend.

Am Ende entließ uns der Celebrant mit dem Gedanken, dass die Verstorbene nicht verschwindet, sondern in unseren Herzen weiterlebt. Ein letztes Lied wurde gespielt, mein Liebster hatte es ausgesucht: „Somewhere over the Rainbow“.

Zu Recht werden solche Veranstaltungen nicht als Trauerfeiern bezeichnet, sondern als „A Celebration of the life of …“. Ein Leben wird gefeiert.

Lily wird nun eingeäschert und in ein paar Tagen wird ihre Asche in den angrenzenden Grünanlagen an einer der dafür vorgesehenen Stellen verstreut. Diese sind mit Blumen bepflanzt und von Sitzbänken eingerahmt. Die engsten Familienangehörigen werden dabei sein, aber es gibt keine Zeremonie mehr. Auch einen Gedenkstein oder eine Inschrift gibt es nicht. Es wird aber für den Park in der Nähe ihres letzten Wohnsitzes eine Bank gespendet und mit ihrem Namen versehen. Sie ging dort oft spazieren und mochte diese Idee, sagte mein Schwager.

Ich habe in England schon Friedhöfe mit frischen, blumengeschmückten Gräbern und Gedenksteinen gesehen, also gibt es das auch. Das Einäschern und anonyme Verstreuen ist aber dem Vernehmen nach nichts Ungewöhnliches.

Wir trafen uns dann alle in dem Restaurant, in dem wir vor zwei Jahren Lilys neunzigsten Geburtstag gefeiert hatten. Ich war neben ihr gesessen, wir hatten miteinander gelacht und Spaß gehabt. Als wir heute wieder dort waren, ohne sie, hat sie mir so gefehlt. Die Gesellschaft war nicht komplett.

 

https://de.wikipedia.org/wiki/Humanistischer_Verband_Deutschlands

Ich bin verliebt!

Und zwar seit gestern Abend. Es geschah beim Spiel England gegen Island: Ich habe mich in das isländische Team verliebt. Dem geliebten Briten habe ich es gebeichtet und er sagt, er verzeiht mir. England ist im Moment einfach auf Abschiedstournee, die wollen überall raus – nach dem Brexit jetzt auch aus der Europameisterschaft. Der Liebste hat also Verständnis für mein Fremdgehen. Hoffentlich lässt er sich vom derzeitigen Spirit in England nicht infizieren und beantragt die Entlassung aus unserer Beziehung. Wenn er ein derartiges Gesuch einreicht, werde ich es jedenfalls undemokratisch zerreißen.

Trotzdem liebe ich nicht nur ihn, sondern auch diese frischen Kerle aus dem Norden. Der eine da mit dem dicken Bart … Ich mag Bärte ja nicht, schon gar nicht so einen, aber wie der manchmal lacht, so ungekünstelt und aus der Tiefe, also, da mach ich eine Ausnahme!

Vielleicht trifft im Endspiel Deutschland auf Island. Ein Traum wäre das. Aber wem drück ich dann die Daumen?

Sensation! Island schaltet England aus
(Quelle: rp.online.de)

Briten wählen „Out“

London - Regent Street

Nun ist es so: In einiger Zeit werde ich nicht mehr mit einem EU-Bürger zusammenleben. Sondern mit einem Briten. Mit einem der sonderbaren Abkömmlinge einer Insel, die eine Insel bleiben will. Obwohl er sich die Abstimmungsunterlagen für das Referendum kommen ließ und sie mit einem dicken Kreuz für „Stay In“ zurückschickte. Hat nichts genützt.

Wird der geliebte Brite nun einen deutschen Pass brauchen, damit er bei mir bleiben und hier leben und arbeiten darf? Das wollte er nie, nundenn. Das Leben ist kein Wunschkonzert. Und welche Art von Polit-Clowns in England nun das Sagen haben werden, macht ihm noch mehr Sorgen als uns.

England verlässt die EU, in anderen Ländern gibt es die AfD und Donald Trump. Wenn ihr mich fragt: All das geschieht durch die Angst der Menschen vor Überfremdung.

Leute, ich bin bestürzt.

Bei einem Pint Bier

Abends fand man uns in diesem Urlaub meist in einem der Pubs. Hier trifft man Menschen, die man sonst niemals trifft. Einmal kommen wir mit einem Mann ins Gespräch, der an der Theke lehnt, während wir auf unser Bier warten. (Es wird hier ja nicht serviert – man holt sich sein Getränk selbst und bezahlt auch gleich). Der Mann ist um die Vierzig, trägt eine dicke Jacke und hat stark verfärbte, lückenhafte Zähne. Wir unterhalten uns ein wenig und erfahren, dass er aus dem Stadtteil Luten stammt. Luten ist eine der heruntergekommensten Gegenden Londons.

Der Mann erzählt, dass er dort keine Arbeit finden konnte, weil es schon lange keine Jobs mehr gibt. Die großen Unternehmen haben dichtgemacht und sind woanders hin. Als er sechzehn war, starb die Mutter, den Vater erwähnt er nicht.  Inzwischen sei er obdachlos, sagt er. Er hat aber keinen schlechten Geruch an sich, das Haar ist geschnitten, das Gesicht frisch rasiert und er wirkt nicht schmutzig. Wenigstens kann er sich irgendwo waschen und wohl auch dort schlafen. In Luten sei er schon Jahre nicht mehr gewesen.

Aber dann spricht er begeistert über die großartige Geschichte Londons. Er kennt historische Ereignisse und Persönlichkeiten, liebt die jahrhundertealten Traditionen und ist stolz auf „seine“ Stadt. Er wolle nirgendwo anders leben, sagt er, und sein ganzes Gesicht leuchtet. Schließlich empfiehlt er uns ein paar Clubs in der Umgebung und wir verabschieden uns mit Handschlag. Dabei bittet er um etwas Kleingeld für den Bus. Ich krame ein Pfund aus der Tasche.

Es ist oft nur eine Fügung des Schicksals, auf welcher Seite des Lebens wir landen.

Covent Garden

Straßenkunst hat in England eine Qualität, wie ich sie nirgendwo sonst auf der Welt gesehen habe. Es gibt hier richtige Clownschulen, an denen man einen Abschluss machen kann. Wir haben uns also wieder einmal schlappgelacht über einen Jongleur mit dem obligatorischen Einrad. Klingt nach nichts – ist aber durch Mimik, Gestik und Sprüche einfach zum Niederknien.
In der Gegend um Covent Garden sehen wir einen Künstler nach dem andern inmitten von johlenden und klatschenden Menschenansammlungen: Clowns, Sänger, Rapper, Bands. Man hört selbstgeschriebene Songs und herausragende Stimmen. Wieso nur werden manche weniger Talentierte Popstars und diese hier nicht? Es hat wohl viel mit Glück zu tun.

In diesem Sinne wünsche ich euch allen einen glücklichen Tag und schicke herzliche Grüße aus der City von London.

Straßenkünstler in der Nähe unseres Hotels in Covent Garden.

Covent Garden ist eine Halle, in der früher Obst und Gemüse verkauft wurde. Inzwischen befinden sich darin Cafes und auf einer Bühne finden kleinere Konzerte statt. In den umgebenden Straßen treten viele Künstler auf und es gibt zahlreiche Stände, Läden, Pubs und Cafes.

Reisetipp

Ich denke gerade verträumt an ein Highlight zurück, während ich Bewertungen für die Hotels und Unterbringungen unserer Reise vergebe. Wer vorhat, irgendwann einmal in den Nordosten von England zu reisen, dem empfehle ich diese Perle: das Granary Guest House in Berwick-upon-Tweed.

Ich war hingerissen von der Ausstattung im Boutique-Stil: Da wird gekonnt und mit Liebe zum Detail eine moderne Einrichtung mit traditionellen englischen Elementen kombiniert – luxuriös, aber nicht aufdringlich. Es handelt sich um ein Bed&Breakfast-Angebot, man ist also in einem (geräumigen) Wohnhaus untergebracht. Es gehört Pam und David Waddell aus Schottland, die so herzlich um ihre Gäste bemüht sind, dass man gar nicht mehr gehen will. David fuhr uns zum Beispiel bei unserem Tagesausflug nach Edinburgh unaufgefordert zum Bahnhof (zu Fuß wären es etwa zehn Minuten gewesen), weil es zu regnen begonnen hatte. Und Pams Frühstückskreationen könnten sich jederzeit in einem Edelrestaurant sehen lassen, selbst das Haggis! Massagen werden auch angeboten, dafür hatten wir jedoch keine Zeit. Der Übernachtungspreis hält sich im Rahmen, wir hatten über Tripadvisor ein günstiges Angebot erwischt.

Aber natürlich begeistert mich auch Berwick selbst, schon durch seine Geschichte beim Umgang bei kriegerischen Auseinandersetzungen (ich berichtete). Der Ort hat durch seine Grenzlage einen Sonderstatus und muss Kriegserklärungen wie auch Friedensverträge separat unterzeichnen. Beides wurde beim Krimkrieg mit Russland vor vielen Jahren einfach vergessen, und darauf setze ich: „Berwick für alle!“  und Frieden für die Welt.

Ansonsten handelt es sich um eine gepflegte kleine Stadt mit gut erhaltenen Befestigungsanlagen aus dem Mittelalter. Es gibt ein paar Läden, Restaurants und Galerien sowie wunderschöne kleine Parks und Fußwege am Tweed entlang oder am Meer. (Berwick liegt an der Mündung). Es liegt etwas Nordisch-Schroffes und zugleich Verzauberndes über  diesem Ort, der zumindest Ende August nicht von Touristen überlaufen ist, sondern ein Geheimtipp unter Engländern zu sein scheint. Ich finde: Berwick und das Granary Guesthouse sind die perfekte Umgebung für ein ❤ romantisches Wochenende ❤ zu zweit!

Eins ist allerdings Voraussetzung: Man muss sich auf Englisch einigermaßen verständigen können. Hier spricht niemand deutsch.

Durham

Durham ist eine mittelgroße Stadt im Nordosten Englands und verfügt über ein Schloss, eine Universität und eine mächtige Kathedrale. In den Kreuzgängen dieser Kathedrale wurden übrigens zwei Harry-Potter-Filme gedreht, und im Mittelschiff meint man tatsächlich, dass gleich Professor Dumbledore hinter einer Säule hervortritt.

Durham (18)

Aber das ist natürlich nicht alles. Es gibt auch großartige Architektur und Kunstwerke zu bewundern. Die Pieta von Fenwick Lawson zum Beispiel.

Durham (12)Erstellt 1974-1981, Buche, Eigentum der Durham Cathedral.

Maria bezahlt hier den Preis für ihr „Ja“ zu Gott vor vielen Jahren. Sie ist ein Beispiel für Glauben und Liebe, die nicht danach fragen, was etwas kostet (ich fasse die Informationstafel zusammen). Das Kunstwerk befand sich zuvor im York Minster (Münster in York), wo 1984 ein Feuer ausbrach. Dabei fielen brennende Balken auf die Christusfigur, und beide Skulpturen wurden durch geschmolzenes Blei beschädigt, das vom Dach tropfte. Der Künstler meint, dass der Ausdruck von Maria und Jesus dadurch noch gesteigert wurde.

Durham (17)Davor bleibe ich lange stehen.

Beim Anblick dieser Pieta soll man für Menschen beten, die leiden oder anderen beim Leiden zusehen müssen.

*

In den Arkaden zum Innenhof fiel uns eine kleine Markierung auf dem Boden auf.

Markierung auf dem Boden (Sommer)Ein Fotograf, der gerade seine Ausrüstung aufbaut, kennt die Geschichte dazu: Über dem Arkadenbogen an dieser Stelle ist eine kreisrunde Öffnung so angebracht, sodass am 21. Juni eines jeden Jahres das durchfallende Licht genau auf diese Markierung fällt.

Größere Lücke zwischen zwei Zinnen

Am 21. Dezember fällt dieser Punkt auf eine zweite Markierung an der Wand:

Markierung an der Wand (Winter)Damit das möglich ist, sind die entsprechenden Dachzinnen gegenüber mit einer größere Lücke versehen, wie auf dem Bild mit den Arkaden zu sehen ist.

So wusste man früher, ob Sommer oder Winter ist …

*

Die Durham University ist nach Oxford und Cambridge die drittälteste Universität Englands (900 Jahre) und gehört zu den besten des Landes. Wir schlendern an einem der Gebäude entlang, das aussieht wie eine fensterlose Lagerhalle und nicht weiter spektakulär wäre, befänden sich darin nicht Vorlesungssäle und hätte nicht ein ganz besonderer Alumnus hinter diesen heiligen Mauern den Master absolviert: Der geliebte Brite.

*

Hier mal noch eine Karte mit all den Orten, die wir besucht haben: Berwick, Edinburgh, Seahouses, Newcastle, Durham.

England-Durham

Die Reise ist zu Ende und ich schließe wieder einmal mit den Worten von Paul Heyse:
Erdachtes mag zu denken geben, doch nur Erlebtes wird beleben.

Der Engel des Nordens oder: Zeigen, wo der Hammer hängt

Die nordenglische Stadt Gateshead grenzt direkt an Newcastle, und beide Städte liegen in einem andauernden Wettstreit, wer die bessere ist. 1998 hatte nun Gateshead plötzlich ein Monument, das seinesgleichen suchte: Antony Gormleys Skulptur Angel of the North, die vom östlichen Zubringer zur A1 aus zu sehen ist und weltberühmt wurde.

Newcastle schlug zurück und baute im Jahr 2000 das neue Wahrzeichen der Stadt:
die Millennium Bridge.

Millennium-Bridge

Darauf folgte 2004 die Fertigstellung der spektakulären Konzerthalle in Gateshead: The Sage.

The-Sage

Städte sind manchmal wie kleine Kinder.

Zurück zum Engel des Nordens: Die Skulptur erscheint dreidimensional, ist aber ausschließlich aus flachen Metallplatten gefertigt. Und warum ein Engel?

Gormley: „Ich kann dazu nur sagen, dass noch nie jemand einen gesehen hat und wir sollten uns die Vorstellung davon bewahren. Der Engel des Nordens ist

  1. ein historisches Denkmal zur Erinnerung an die Bergleute, die über zweihundert Jahre lang genau an dieser Stelle unter Tage Kohle abgebaut haben,
  2. ein zukunftsweisendes Denkmal, weil es unseren Übergang vom industriellen Zeitalter ins Informationszeitalter darstellt,
  3. ein Denkmal als Zielpunkt für unsere Hoffnungen und Ängste.“

Mein Eindruck ist: Der rostbraune Stahl steht in einem fantastischen Kontrast zum blauen Himmel und egal ob man davor, daneben oder dahinter steht – der Engel strahlt in jeder Perspektive eine enorme Ruhe, Stärke und Schönheit aus. Ein großes Erlebnis.

Mehr darüber

Newcastle II – Geheimtipp

Was religiöse Einrichtungen betrifft, hat man in England eine entspanntere Sicht als bei uns. Deshalb ist es auch möglich, dass in einer englischen Kirche ein Coffeeshop untergebracht ist. Wer in Newcastle im Stadteil Jesmond unterwegs ist, dem empfehle ich einen Besuch im Cafe 1901. Ich bin erst skeptisch, aber die Neugierde siegt dann doch und wir betreten einen gemütlichen, größeren Raum, dessen Einrichtung komplett auf Flohmärkten erworben zu sein scheint. Kein Teil gleicht dem anderen und alles ist mit vielen Details hübsch eingerichtet. Von der Kirche (ich glaube es ist eine Methodistenkirche) ist an einer Seite die Mauer zu sehen. Das Cafe ist natürlich abgetrennt vom Gebetsraum, befindet sich aber im selben Gebäude. Die Inhaberin des Cafes zahlt Miete an die Glaubensgemeinde, der die regelmäßigen Einnahmen offenbar gelegen kommen. Der geliebte Brite erinnert sich nun an frühere Zeiten, als in einer Kirche ein Postamt untergebracht war. Alle Kritiker der Kirchensteuer mögen einmal darüber nachdenken, was sie von solchen Lösungen halten, um Instandhaltung usw. finanzieren zu können.

Das Sahnehäubchen im Cafe 1901 ist aber, dass die sehr sympathische Inhaberin Sprachen studiert hat, längere Zeit in Stuttgart und Frankfurt lebte und fließend deutsch spricht. Selbst ein „Gell“ hängte sie noch an. Heideblitz!

DSC00933

DSC00936

Newcastle upon Tyne

Die Hauptstadt Northumberlands gehört zum festen Programmpunkt unserer Reisen nach England. Hier lebte der geliebte Brite viele Jahre, hier leben seine Lieben. Aber auch davon abgesehen wird es hier nicht langweilig, denn es gibt zum Beispiel das Baltic Centre for Contemporary Art.

Newcastle
Ida Ekblad, eine junge norwegische Künstlerin, gehört zu den Ausstellern. Sie ist fasziniert von Fundstücken. Jedes einzelne bringt eine Geschichte mit und der Betrachter wird zu eigenen Assoziationen angeregt.

Newcastle (4)
Diese kleine Installation (Ausschnitt) hat mich am meisten angesprochen.

Die Biscuit Factory ist eine Galerie mit Kunst zum Anfassen. Hier findet man Bilder, die man an die Wand hängen, Sculpturen, die man aufstellen, Schmuck, den man tragen kann. Alles ist zum Kaufen und einigermaßen erschwinglich. Von Joanne Wishart zum Beispiel hängt ein signierter Druck bei uns zu Hause mit dem Fischerhafen in Craster. Das ist der Ort, wo die guten Kippers herkommen und der vor wenigen Tagen eine Station auf unserer Küstenwanderung war.

Newcastle (1)Eins der Werke von Stefan MAS Persson (Schweden), bei denen man nicht wegschauen kann, weil man die Perspektiven verstehen will. Geht aber nicht.

Krimskramsmärkte gibts natürlich auch, und zwar den Grainger Market mit unzähligen Händlern. Wie in jeder Küstenstadt gehören auch ein paar Fischstände dazu. Seht mal genau hin:

Newcastle (3)
Genau. Links, das Dunkle.

Newcastle (2)

Das sind Seeteufel. Wir wollen die Engländer und ihre zum Teil sonderbaren Essgewohnheiten aber in Schutz nehmen: etwas Derartiges essen selbst sie nicht, zumindest nicht die Köpfe, die hier in abgetrenntem Zustand angeboten werden. Das ist mehr was für Chinesen, erläutert der nette junge Fischverkäufer. Chinesen essen alles. Mehr über Seeteufel: Hässlich, heimtückisch, lecker.

Farne Islands

Lindisfarne (3)

Geht doch! Vögel mit unterschiedlicher Federfarbe friedlich nebeneinander. Warum ist es bei Menschen ein Problem?

Wir befinden uns auf einer Bootstour zu den Farne Islands vor der nördlichen Küste Northumberlands. Dabei wird man an ein paar Inseln vorbeigeschippert und sieht Kormorane, Silbermöwen und sogar Seehunde.

Lindisfarne (4)Auf einer der inneren Inseln geht man an Land und sieht Tausende Klippenmöwen, die sich eng an die schroffen Felsen schmiegen. Es ist hier sehr windig. Auch Kormorane und andere Möwenarten kann man aus der Nähe beobachten, aber eine Tour zu diesen berühmten Vogelinseln macht man besser im Juni/Juli. Ende August sind einige Vogelarten schon in den Süden gezogen, der berühmte Papageientaucher zum Beispiel.

Das Abenteuer beginnt auf der Rückfahrt. Auf direktem Weg hätte sie etwa fünfzehn Minuten gedauert, unsere geht gefühlt über Stunden. Wir müssen nämlich den Kurs ändern. Die Nordsee ist nicht das Mittelmeer, und wegen der beginnenden Flut und aufkommendem Wind wird sie ein wenig ungehalten, um nicht zu sagen rau. Die Wellen sind nun doch recht hoch, und unser offenes Bötchen schlingert arg hin und her. Wir sitzen an der Außenseite, und die geht weit nach oben und wieder runter, zurück nach oben und wieder runter, wie in der Achterbahn fühlt sich das im Magen an. Und Wasser schwappt auch rein. Manche Mitreisenden johlen und lachen, ich nicht. Es wird immer schlimmer.

Interessant ist, was einem in solchen Momenten durch den Kopf geht. Es ist nicht die Vorstellung, dass das Boot kentern und wir darunter geraten und die Wasseroberfläche nicht rechtzeitig finden könnten. Es sind auch keine letzten Gedanken an die Kinder oder dergleichen. Das einzige, woran ich denken kann, ist meine Kamera. Sie ist neu und ich mache mir große Sorgen, dass sie unter Wasser kaputt gehen würde. Meine Gedanken kreisen darum, ob Schiffuntergänge von der Versicherung abgedeckt sind und dass ich womöglich den restlichen Urlaub keine Bilder mehr machen kann.

Solcherart gedankenverloren nähern wir uns dem Land, und zwar an einer ganz anderen Stelle als der, von der wir abgelegt hatten, aber es wird allmählich ruhiger. Schließlich wendet das Boot und fährt an der Küste entlang zurück zum Hafen von Seahouses.

Lindisfarne (1)Darin trotzten wir den Wellen!

Ich brauche sowas ja nicht. Aber wenn man alles unter Kontrolle haben will, darf man nicht reisen. Und das wäre noch schlimmer.

Berwick-upon-Tweed

Berwick ist die nördlichste Stadt Englands, und es wurde schon viel gestritten um sie. Über die Jahrhunderte hinweg hat sie dreizehn Mal die Zugehörigkeit gewechselt: Mal war sie englisch und mal schottisch, momentan ist sie englisch. Sie liegt an der Küste der Nordsee und an der Mündung des Flusses Tweed, der die Grenze zwischen England und Schottland bildet. Berwick liegt auf der nördlichen, also schottischen Seite des Flusses, gehört aber trotzdem zu England. Man hat in diesem Fall eine Ausnahme gemacht (wir sind ja schließlich nicht in Deutschland) und einfach die Grenze um Berwick herum gezogen. Damit ist sie die einzige Stadt Englands nördlich des Tweed.

Durch die Grenzlage gibt es massive Befestigungsanlagen aus dem Mittelalter, die sehr gut erhalten sind. Man kann auf Galerien am Fluss entlang oder auf den breiten, grasbewachsenen ehemaligen Stadtmauern schöne Spaziergänge machen. Betrunkenen würde ich von Letzterem abraten, denn die eine Seite des Wegs fällt so steil ab, dass sich der Strauchelnde niemals festhalten könnte. Nach etwa einem Meter geht es etwa zehn Meter nach unten, die Stadtmauer eben. Die Engländer sind sonst gut im Zäune bauen, aber hier ist ihnen offenbar das Material ausgegangen. Der Weg ist völlig ungesichert und wenn man wirklich ins Fallen käme, wäre es tödlich.

Berwick (3)

Wenige Zentimeter links von der Möwe geht es senkrecht nach unten. Die Höhe der Mauer sieht man gegenüber.

Berwick (2)

Das Bild wurde vom Fußweg auf der Stadtmauer aus aufgenommen.

Die Geschichte vom Kriegszustand mit Russland
Wegen einer staatsrechtlichen Sonderstellung musste Berwick in jeder offiziellen Bekanntmachung gesondert erwähnt werden. Dazu soll 1854 auch die Kriegserklärung gegen Russland im Krimkrieg gehört haben. Bei der Unterzeichnung des Friedensvertrages von Paris 1856 sei Berwick-upon-Tweed jedoch vergessen worden, sodass der kleine Ort eines Tages erschrocken realisierte, dass es sich seit 113 Jahren im Krieg mit Russland befand. Erst 1966 besuchte ein sowjetischer Gesandter den Bürgermeister Robert Knox und unterzeichnete mit ihm einen offiziellen Friedensvertrag. Angeblich soll Knox danach gesagt haben: „Bitte teilen Sie dem russischen Volk mit, dass es von jetzt an wieder ruhig in seinen Betten schlafen kann.“

Später wurde darauf hingewiesen, dass Knox den Friedensvertrag gar nicht hätte unterzeichnen dürfen, da er nicht der Rechtsnachfolger von Königin Viktoria gewesen sei und das Problem somit weiterhin bestehe. Laut Recherchen britischer Medien handelt es sich dabei allerdings um einen Mythos – Berwick war schon bei der Kriegserklärung vergessen worden.

Berwick (4)

Oxford University

Wir schliefen also in einem der Zimmer, in dem während der Semester die Studierenden der Oxford University wohnen. Ich glaube aber, dass unser Flügel dem Hoi Polloi zugedacht ist, den Stipentiaten vielleicht. Einer dieser Milliardärsbengel wird kaum einen solchen Raum betreten, lästerte ich und dass die wahrscheinlich ein eigenes Haus auf dem Campus haben, mit Swimming Pool und Butler. Der geliebte Brite meinte, das sehe ich falsch. Jedenfalls: Unser Zimmer – wie soll ich sagen – es ist blitzsauber, sollte aber dringend renoviert werden. Vor allem das Badezimmer. Und der Teppichboden (!) gehört ersetzt (auch der in den engen Gängen zu den Zimmern). Und die dunklen, abgewetzten Mahagonimöbel auch. Das vergitterte Fenster stammt dem Anschein nach aus der Gründerzeit und wurde noch nie geputzt. Die Tür ist so verzogen, dass sie in der Nacht in einem unregelmäßigen Lichtrahmen erscheint, weil von draußen die Flurbeleuchtung durchscheint. Wenn andere Gäste kommen oder gehen, entstehen gruselige Schatten – da darf man nicht paranoid sein.

Aber egal.

Ich schlief in einem Bett, in dem ausschließlich hoch funktionsfähige Köpfe geschlafen haben (außer den Touristen natürlich) und hoffte, dieses geweihte Kopfkissen bringt mir über Nacht die Antwort darauf, wie die Menschen auf der ganzen Welt zu einem Miteinander gebracht werden können, anstatt sich die Köpfe einzuschlagen oder Zäune zu bauen. Als ich aufwachte, hatte sich aber kein genialer Gedanke manifestiert. Der Fokus liegt in diesen Gemäuern wohl auf anderen Dingen.

Spektakulär sind dagegen die Außenanlagen bzw. der Rasen (der Brite war gar nicht mehr wegzubringen) und das Frühstück im College. Als College bezeichnet man hier keine Fachhochschule, wofür ich es bisher gehalten hatte, sondern den Wohn- und Verpflegungsbereich der Universität. Zum College gehört also der Speisesaal, und das ist ein langer, reich verzierter, altehrwürdiger Raum mit zwei Tischreihen vom einen Ende bis zum andern. Genauso habe ich das einmal in einem Harry-Potter-Filmen gesehen und hielt es für eine gelungene atmosphärische Umsetzung. Aber das gibt’s wirklich.

Wer wissen will, wie die Oxford University von innen aussieht: hier ein paar Impressionen.

Kulturaspekte

Wir treten in einen Raum, in dem mehrere Sofas und Ohrensessel mit geschwungenen Armlehnen und dicken Polstern zu kleinen Gruppen angeordnet sind. Blumenbilder und Holztäfelungen schmücken die magnoliengelb gestrichenen Wände, schwere Satinvorhänge rahmen die Fensterfront und ein weicher Teppich dämpft jedes Geräusch. Es klingt hier wie an einem Wintertag, wenn es frisch geschneit hat. Auf einem Servierwagen aus Messing steht ein Geburtstagskuchen mit neun Kerzen.

In einer der Polstergruppen hat sich eine Abordnung betagter, hübsch gemachter Damen niedergelassen und plaudert lebhaft. Gleich betritt Inspector Barnaby den Raum und lässt sich von ihnen an der Nase herumführen, möchte man meinen. Aber wir sind nicht im Film. Wir befinden uns in einer Einrichtung für betreutes Wohnen in Liverpool, meine Schwieger-Mum wird heute Neunzig. Umgeben von ihren Freundinnen sitzt sie im schneeweißen Strickwestchen um die schmalen Schultern auf einem mächtigen Sofa und ihre Augen leuchten: Besuch aus Deutschland.

Wir nehmen Platz, bringen Geschenke, die Geburtstagskarte wird herumgereicht, die Ladies betrachten uns interessiert. Nach einer Weile steht eine nach der andern auf, greift nach ihrem Gehstock aus verziertem Holz, dann wackeln sie gemeinsam zur Tür hinaus.

Es sind die Details. Ich denke an die Einrichtung, in der meine eigene Mutter lebt: Weiß getüncht, verglast, verchromt, Sitzmöbel mit Kunstlederbezügen, PVC. Die Begegnungsräume sind nicht unfreundlich, es gibt auch Blumen und kleine Dekorationen, alles perfekt gestaltet, effizient verwaltet und ich denke, während sich neben mir das Geburtstagskind und ihr Sohn unterhalten: Wenn ich in diesem Alter bin, dann möchte ich lieber hier sein als in Deutschland.

Geschäfte machen in England

Auf den Streifzügen durch Newcastle und andere Städte in England staunte ich schon immer, wie viele öffentliche Toiletten es hier gibt. Man findet sie auch leicht: Die meist signalroten Schilder mit der Aufschrift „toilet“ sieht man schon von der Weite, manchmal sogar an zwei Gebäuden nebeneinander, und selbst in oberen Stockwerken entdeckte ich „toilet“-Banner. Vielleicht lag es daran, dass ich aufs Klo musste, dass ich dieses Phänomen einmal genauer erforschte. Das Resultat war dann allerdings anders als erwartet, und zwar aufgrund einer Eigenart des menschlichen Gehirns.

Ihr kennt das vielleicht, es gibt immer wieder Experimente dazu: Man kann einen Text mühelos lesen, auch wenn in einzelnen Wörtern Buchstaben fehlen. Mitunter merkt man es nicht einmal, weil das Gehirn mitdenkt und ersetzt, was fehlt. Bei aufmerksamerem Betrachten der Schilder stellte ich also fest, dass es gar nicht „toilet“ hieß. Vielmehr stand da: „to let“ – „zu vermieten“. Wer in England Pipi machen muss, braucht aber keine Wohnung zu mieten. Er benutzt einfach (wenns gar nicht anders geht) eine öffentliche Toilette. Die heißt übrigens „Public Convenience“. Wieder was gelernt.

Wer sich über das Thema weiterführend informieren will, für den hab ich einen tollen Link: Das Scheißemuseum.

Liverpool

Wir treffen hier die Mum des geliebten Briten und andere Mitglieder der Family. Alle zusammen quetschen wir uns in einen unbritischen Hyandai und machen uns auf den Weg zu einem Restaurant in der Penny Lane. Wir kommen an einer kleinen Kirche vorbei und die Schwägerin weist beiläufig, aber doch nicht beiläufig darauf hin, dass in dieser Kapelle Paul McCartney getauft wurde. Kein Mensch hätte die Ansammlung roter Ziegelsteine überhaupt bemerkt, aber wenn natürlich Paul McCartney darin getauft wurde …

Die Nichte gähnt und blättert in ihrem iPhone. Sie schaut erst auf, als wir ihre Schule passieren, aus der gerade Halbwüchsige in Uniformen heraussprudeln. Bis heute laufen britische Schüler in Einheitskleidung herum, die sich von Schule zu Schule freilich unterscheidet. Soviel Individualität muss sein.

Das Mädchen beschreibt die Bestimmung einzelner Gebäudeteile in breitestem Liverpooler Slang. Die Wörter dehnen sich, als ob dem Sprecher manchmal das Ende entfallen und er beim letzten Vokal hängen bliebe in der Hoffnung, der abschließende Konsonant melde sich noch. Tut er aber nicht, und so hört man viele ääääs und iiiiis und jeeees. „Ai?“ ruft die Mum immer wieder dazwischen, aber das ist nicht Liverpoolerisch. Sie hört einfach nicht mehr gut.

Coast to Coast

Eine Tour von der Ostküste zur Westküste schafft man in England in ein paar Stunden. Es geht heute von Newcastle nach Liverpool, und dazwischen liegt eine Art Bergkette, Pennine. Eine schmale Landstraße führt nach oben, aber nicht immer in Serpentinen oder Spiralen wie bei uns, sondern zum Teil schnurgerade und steil. Dabei geht es bergauf und bergab wie in einer Achterbahn, in mancher Mulde ist der Straßenbelag aufgeschürft von Fahrzeugen, die zu schnell unten angerauscht kamen.

Wir sehen die Hadrian’s Wall, eine Steinmauer, die vor zweitausend Jahren von den Römern gebaut wurde, um die Grenze ihres Reichs klarzumachen. Aber Mauern sieht man hier überall, jeder Farmer mauert sein Feld oder Wiesenstück ein. Es liegen halt viele Steine herum und wenig Holzpfosten oder Draht. Angeblich werden diese Steine so ineinandergelegt, dass sie auch ohne Mörtel bleiben, wo sie sind. Das kann ich nicht glauben. Wenn ein Schaf dagegen rennt, muss ein aufgeschichteter Steinhaufen einfach umfallen. Deshalb hab ichs getestet, und die Mauer lässt sich tatsächlich nicht eindrücken.

Je weiter wir hinaufkommen, desto einsamer wird es. Die Pflanzen werden niedriger, das Land ist karg, irgendwann lassen es selbst die Schafe gut sein und alles ist öd. Schließlich erreichen wir den höchsten Punkt, ich glaube sogar von ganz England. Auf einem Schild steht, dass wir uns sagenhafte 600 Meter über dem Meeresspiegel befinden. Ein paar Breitengrade weiter im Norden machen sich bemerkbar!