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Zimmerreise 5/2021: K wie Klabauterfrau

Fernreisen sind derzeit kaum möglich, deshalb ruft puzzleblume seit einiger Zeit zu Zimmerreisen auf. Bei genauer Betrachtung gibt es nämlich auch zu Hause viel zu entdecken und Spannendes zu erzählen. In der momentanten Etappe sind Reiseziele mit dem Anfangsbuchstaben J oder K vorgesehen. Ich freue mich, wenn du mich begleitest.

Vom Klabautermann hat man schon gehört. Seefahrer vergangener Jahrhunderte glaubten an einen guten Geist oder Kobold, der das Schiff in Ordnung hält, vor Gefahren warnt und gelegentlich Schabernack treibt. Der Klabautermann sitzt meist im Laderaum, wo er sich an Kisten und Fässern zu schaffen macht. Es knarrt, hämmert und klopft. Man sieht ihn nie, und das ist gut so. Wenn er sich nämlich blicken lässt, ist es zu spät: Es kommt schlechtes Wetter und das Schiff wird untergehen.

Doch wer ist die Klabauterfrau?

Dieses Bild entstand im Dezember 2019. Ich malte es in den Stunden, die ich allein in meinem Zimmer verbrachte, damals befand ich mich in einer Reha. Die Maltechnik geht so, dass man Linien zeichnet, die sich überkreuzen. Dadurch bilden sich kleine Flächen, die man ausmalt. Man weiß nie, was daraus entsteht, und es ist auch nicht wichtig. Das Malen ist eine Entspannungsübung, im Kopf kehrt Ruhe ein.

Bei meinem Bild kam nach und nach eine Figur zum Vorschein, die ich immer weiter ausarbeitete. Am Ende blickte mich ein gnomhaftes Wesen an, dem ich das weibliche Geschlecht zuordnete. Sie steht auf einem schwankendem Untergrund, hinter ihr türmen sich Wellen, fertig war die Klabauterfrau. So stellte sie sich jedenfalls vor, als ich das Werk zum Schluss betrachtete.

Wenn ich mein Leben als Schiff auf hoher Fahrt betrachte, dann passt sie auch, die Klabauterfrau. Sie zeigte sich auf dem sinkenden Schiff, das ein halbes Jahr später in Form meines bisherigen Lebens unterging. Ein neuer Lebensabschnitt begann, wieder einmal, und ich frage mich: War die Klabauterfrau eine Vorbotin?

Wenn man das Bild umdreht, zeigt sich übrigens ein anderes Motiv: der Kopf einer Frau mit Hut.

Es fehlen die Augen, sie sieht also nichts. Sie schaut nicht hin und das – es gruselt mich selbst – hat etwas mit dem plötzlichen Auseinanderbrechen meines Lebensschiffs zu tun. Mir gefiel das Gesicht damals nicht und ich hängte das Bild wieder „richtig“ herum auf.

Laut einem alten Seemannsbrauch gehört auf jedes Schiff ein Huhn zur Abschreckung des Klabautermanns. Wenn ich das gewusst hätte! Ich hätte ein Huhn malen können, oder zwei, oder einen ganzen Hühnerstall. Ich hätte auf einer meiner Wanderungen ein Huhn stehlen und auf dem Balkon verstecken können, oder bei Edeka eins aus der Tiefkühltheke kaufen, wenn dadurch alles anders gekommen wäre. Aber es kam, wie es kam.

Den Klabautermann gab es, als noch Segelschiffe durch die Meere pflügten. Auf ihnen waren wohl viele Geräusche zu hören, die niemand anders als der Kobold verursachte und die es später auf Dampfschiffen nicht mehr gab. Deshalb wurde es von da an ruhig um den kleinen Schiffsgeist und er war fast vergessen, bis der berühmteste „Nachfahre der Klabauter“ die Bühne betrat, und zwar ganz ohne Schiff: Pumuckl.


Die Klabauterfrau hängt seit meinem Umzug im Wohnzimmer, denn ich schau sie gerne an. Sie ist stark, hält sich über Wasser und aus ihrem Gesichtsausdruck schließe ich: wenn jemand Ärger macht, gibts eins auf die Nuss.
Meine tägliche Inspiration.

 

Montagmorgen

Nicht dass es von Bedeutung wäre, Petunien anzuschauen. Also tagsüber meine ich, an einem Werktag. Von Bedeutung ist es natürlich nicht. Aber schön. Es ist schön, im Balkonsessel zu sitzen in der Sonne, mitten am Tag. Üblicherweise geschah das nur am Samstag oder Sonntag,  mit bedäppertem Schädel, denn am Abend zuvor hätte ich im Irish Pub oder sonstwo den Mist der vergangenen Woche weggespült. Ich vertrag nicht viel Alkohol, der Matschkopf am Tag danach hatte also seinen Grund, doch mit Fanta gehts halt nicht.

Jedenfalls sitze ich hier in der Morgenfrische und es ist Montag. Ich zwinkere den Petunien zu, in allen Farben wuchern sie aus den Balkonkästen und kleine Wespen flirren um die Blüten herum. Vögel zwitschern wie verrückt, Geschäpper von irgendwoher, die Kirchturmuhr schlägt neun. In der Firma beginnt jetzt das Wochenmeeting. Der Blick des Chefs bohrt sich in die Gesichter der Mitarbeiter, dann fängt er an im Schlamm zu gründeln, findet etwas zum Beißen und spuckt um sich. „Die Lieferanten machen doch mit euch, was sie wollen! Ihr verhandelt nicht hart genug!“ zum Beispiel. Klappe halten. Einwände machen es nur schlimmer. Es dauerte eine Weile, bis ich das lernte und stumm blieb wie die andern. In diesem Moment beginnt mein Herz zu hämmern. Ein Reflex. Nicht dran denken, rede ich mir zu, ich muss da nicht mehr hin. Schau, die Petunien. Wie schön.

 

 

… spielendes Blatt …

Raus aus der Wohnung, rauf auf den Berg. Gestern nach Bregenz gefahren, Pfänder bestiegen, 650 m Höhenunterschied  in 1 ½ Stunden. Danach ist man frei von störendem Tiefenkram.

Der Fußpfad beginnt hinter dem Parkplatz, wir schulterten die Rucksäcke und los. Steil. Es bleibt wenig Zeit, um Gedanken nachzuhängen. Vergangenes, Job, Chefs, Zukunftsgespenster –je weiter man nach oben schnauft, desto mehr zählt nur noch: Wie turne ich über die Steine, ohne mir die Knöchel zu verknaxen? Wie geht das Herumstochern mit den Wanderstöcken am Besten? Wie krieg ich den Lehm von den Schuhen?

Auf dem Gipfel ist es dann, als wäre der ganze Mist des derzeitigen Lebens durch ein Sieb gelaufen. Unten tropft raus, was von Bedeutung ist: Nicht viel. In der Sonne sitzen zum Beispiel, durchatmen, die Waffeltüte mit Himbeereis in meiner Hand. Eine Stunde lang saßen wir da, vielleicht zwei. „Mein Glück ist ein spielendes Blatt im Sommerwind …“ fiel mir ein. Ruhe. Das andere blieb im Tal, unwichtig.

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Wochenende

Überbordende Buntheit in der Sonne des Südbalkons: zwei Euro zahlte ich  für die Setzlinge, und sie sind gewaltig ins Kraut geschossen. Ihr Blütendach flattert rosa, purpur, blau und violett im Nachmittagswind. Weiter weg schnurren Autos vorbei, irgendwo läuft Radiomusik, vielleicht aus einem offenen Fenster, während drinnen gerade sauber gemacht wird. Die Kirchturmuhr schlägt halb drei. Samstagnachmittag.

Meine Kollegen immer noch eingesperrt in einem Seminarraum. Seit gestern abend gibt es da Vorträge, Workshops, Teambuilding. Niemand hatte hinwollen, keiner wagte es, sich zu weigern, Urlaubsausgleich gibt es nicht.  Ein Käfer krabbelt über meine Hand und kitzelt. „Das ist Frau …, sie wird nicht dabei sein“, hatte der Chef mit ungewöhnlicher Milde dem Referenten mitgeteilt, als dieser vor kurzem jedem Mitarbeiter vorgestellt wurde.  So erfuhr ich, dass dieser Kelch an mir vorüber geht. Wozu auch, in drei Wochen bin ich weg, aber man weiß nie.

Jetzt sitze ich in der Balkonsonne, lege den Kopf zurück und die Beine aufs Geländer, nehme einen Schluck Tee. „Happy Afternoon“, den mag ich am liebsten.

Feierabend

Ich reihe Kerzen auf und gebe Dufttropfen in ein Gefäß. Licht aus. Als ob das Getöse des Tages vertrieben würde, wenn man nichts mehr sieht. Ich fummle am MP3-Player herum, der Kopfhörer knattert. Gerade will ich ihn in die Ecke werfen, da tut er. Ruhe jetzt. Hände. Meine Aufmerksamkeit richtet sich auf meine Hände. Ich balle sie zur Faust, halte die Spannung, halte und – lasse los. Ob das was bringt?

Ich baue mir einen Tempel zurecht im Gästezimmer. Statt tibetanischer Klangschalen und tiefer Selbstversenkung gibts Muskelentspannung nach Dr. Jacobsen, weil ich auf meiner Festplatte nichts anderes fand. Stück für Stück krampfe ich also den Körper zusammen und gebe nach, versuche weich zu werden, fließend. Es lenkt immerhin ab. Die Gedanken sind bei den Muskeln und nicht auf unbeaufsichtigten Ausflügen. Entspannung für Anfänger.

Die Viertelbelohnung

Heute habe ich eine viertel Zigarre geraucht. Schmeckte toll. Mild und auf den Lippen zuckrig. Meine Tochter schenkte sie mir zum letzten (oder vorletzten?) Geburtstag, aber niemand hat sie geraucht mit mir. Inzwischen habe ich das Rauchen sowieso aufgegeben.

Und heute zündete ich sie an. Nach der Arbeit setzte ich mich in die Dunkelheit auf dem Balkon und zog daran. Die ersten Rauchkringel trugen etwas vom Tag in die Nacht. Komplizierte Kunden, Zeitdruck, Übersetzersuche in exotische Sprachen für riesige Textmengen in wenigen Tagen. Nochmal ziehn – und wieder löst sich etwas auf. PAFF.

Ein paar Sterne schauen mir zu und den weißen Schwaden, die übers Geländer kriechen. Es gefällt mir immer besser. Ich betrachte die geschlossenen gelben Köpfchen der Strohblumen auf dem Tisch. Beim Nachbarn geht Licht an. Ausatmen, noch ein Wölkchen. Alles löst sich und vergeht. Irgendwo quietscht ein Garagentor, ein Motor wird angelassen, das Geräusch eines sich entfernenden Fahrzeugs. Stöckelschuhe kommen näher, Rufen, Lachen, Menschen, die keine Sorgen haben. Nicht in diesem Augenblick. Ein Viertel der Zigarre ist geraucht, ein Zug noch.

Dann drücke ich sie vorsichtig aus. Man muss sich mal etwas Gutes tun. Eine Viertelstunde lang nicht nachdenken, nur Rauchkringeln hinterher schauen. Deshalb fang ich ja nicht das Rauchen wieder an. Eine Zigarre ist wie ein Joint. Das gilt nicht.

Zum Warmwerden

Bevor wir gestern Abend ins Pub gingen, haben wir zu Hause einen Whiskey getrunken. Wie die Kids, die sich zum „Vorglühen“ bei irgendeinem von ihnen treffen und zusammen bechern, weil’s Stimmung macht und billiger ist. Danach geht’s auf die Gass. Wie die Kids also standen wir gestern in der Küche herum, fühlten uns aber wie James Bond, denn wir schütteten nicht Wodka oder Jägermeister in uns rein, sondern hielten lässig ein Glas mit teurem Whiskey in der Hand. Schlückchen für  Schlückchen spülte das goldene Getränk den Stress des Tages hinunter und schon nach wenigen Minuten interessierte mich, was mein Partner zu erzählen hatte. Eine für Freitagabend  ungewöhnliche Freundlichkeit strömte aus mir heraus. Ich wurde gesprächig, wir unterhielten uns, lachten, der Abend fing ganz anders an als sonst.  Es war, als hätte ich an einem Wintertag im Hemd draußen gestanden und dann einen Mantel angezogen:  Ich spürte  keine Kälte mehr.

Wenn ich schon nicht rauchen darf, dann werd ich halt Alkoholiker, dachte ich. Nein, natürlich nicht, das war ein Scherz. Ich beginne nur gerade zu verstehen, wie es dazu kommen kann.



Hoffentlich hilfts

Wirklich: Ich trinke wenig Alkohol. Nur am Freitagabend im Irish Pub zwei oder drei Schorle, selten mal einen Whiskey. Trinken ist des Genusses nicht wert, ermahne ich die Kinder immerzu. Glücksgefühle im Alkoholdunst sind nun einmal künstlich und der Vergleich mit nüchternen Betrachtungsweisen ist gefährlich. Auf keinen Fall würde ich mögliche Folgen verharmlosen. All das stimmt. Aber an Tagen wie heute, an denen man sich neun Stunden lang zerrissen hat, um das Arbeitspensum zu schaffen, die Übersicht nicht zu verlieren, den Umgangston neutral zu halten, an denen der Nacken schmerzt und vor der Firma der Straßenbelag aufgehämmert wurde – an solchen Tagen braucht man abends einen Ramazzotti. Zum Wohl allerseits. Ich hoffe ihr braucht keinen.

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Nachts klappt es schon!

„Harmonie für Körper und Seele“. Das gibt’s im Supermarkt. Ich dachte mal, das schadet nicht und entschied mich aus einer Reihe von Teemischungen für „Innere Ruhe“. Die nahm ich mit ins Büro, und seither schlafe ich besser!  Nicht am Schreibtisch natürlich, sondern nachts im Bett. Ich werde nur noch selten wach und morgens schlafe ich bis zum Weckalarm. Kennt vielleicht der Eine oder Andere: Lange vor dem Aufstehen ist die Nacht vorbei, Hirnzellen schießen beim Gedanken an den Tag bereits scharf, der Weg zurück ins Schlummerland ist verstellt. Aber Melisse, Hopfen und süße Brombeerblätter sind stärker. Bald ruhe ich auch am Tag. Zumindest innerlich.
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„Einfach schön“ gibt’s auch als Teemischung. Aber die brauch ich nicht. Dafür hab ich ja meinen Flurspiegel. 🙂


Das ist kein Ufo …

… sondern ein Kürbis von oben.

Diese phantastischen, kreisrund herausgeschnittenen Rauchabzugslöcher sind mein Werk. Dazu saß ich lange in der warmen Nachmittagssonne, schnitzte und schwitzte. Geduldig besserte ich nach, bis nichts mehr zu verbessern war. Nicht meine Art eigentlich, schon gar nicht wegen ein paar Löchern in einem Kürbis. Aber ich hatte nichts anderes zu tun und musste mir Zeit lassen. Seltener Umstand.

Auf dem Kürbisfest im Garten eines Freundes hockten wir also gestern auf Bierbänken wie viele andere Gäste, mit riesigen orangefarbenen Früchten zwischen den Schenkeln. Alle perforierten Zeichnungen aus Internet-Vorlagen auf die glänzenden Schalen, sägten und höhlten aus und warfen Glibberiges in Plastikwannen. Mehr als eine Stunde lang bohrte ich an fünf Löchern herum, während der Liebste ein Vampir-Gesicht ins Kürbisfleisch stanzte. Ich arbeitete ohne Hast und ohne Ziel, denn zu jeder Zeit hätte ich damit aufhören können. Aber dann hätte ich mich gelangweilt. Deshalb wurden die Löcher immer runder, und der Krampf einer ganzen Arbeitswoche fiel mir von der Seele, bis nur noch Kürbisraspel darauf übrig waren.

Auch der Rest kann sich sehen lassen:

Erst Recht im Dunkeln.

Man sieht’s net richtig, meine Kamera ist nicht so leistungsfähig wie meine Hände. In meinem nächsten Leben werd ich Holzschnitzer.

Wieder was gelernt

Gibt es in Italien eine Gegend, die perfekt organisiert ist? Man kann es sich schwer vorstellen, aber wir waren da! Gestern kamen wir von einer Reise zurück, die nachweislich nach Italien geführt hatte, und alles hat tiptop geklappt. Ohne augenzwinkernde Kompromisse erlebten wir ein paar herrliche Urlaubstage in Meran. Die Gründlichkeit des nördlichen Nachbarn mischt sich hier mit dem Weltbild eines südlich geprägten Landes: La vita è bella.

Wir erinnern uns an eine Stunde im Geschichtsunterricht: Südtirol gehört seit dem Ersten Weltkrieg zu Italien. Aber mehr als die Hälfte der Menschen, die dort leben, sind heute noch Österreich-stämmig. Ihre Kinder werden in deutschsprachigen Schulen unterrichtet mit Italienisch als erster Fremdsprache. Italienische Mädchen und Buben besuchen Schulen in ihrer Landessprache und lernen dort deutsch. Zwischen Italien und Österreich gibt es Vereinbarungen zum Schutz des autonomen Südtirols. Der italienische Staat hat hier also kein freies Spiel, erläuterte der freundliche Hotelbesitzer mit Nachdruck.

Das Ergebnis: Man spricht überall deutsch, und die Angestellten in Hotels und Restaurants sind entspannt. Es gibt keine Hektik, alles funktioniert, und der Besucher hat die Wahl zwischen einem der herrlichen Spazierwege im Ort und darum herum, kilometerlang, alle mit Liebe zum Detail angelegt und instand gehalten, oder – wer es knackiger mag – der Bergwelt, die in einer Viertelstunde mit dem Auto oder Bus zu erreichen ist. Wer es wissen will, darf auch einen der Dreitausender hochkraxeln.

Hier der gemütliche Tappeiner Höhenweg mit herrlichen Ausblicken auf Meran und das Etschtal:

Wie im Frühling … Die Lagerströmie oder Kreppmyrte blüht im Spätsommer.

Weiter oben in den Bergen:

Mehr infos hier!

Ganz ruhig

Am liebsten wär ich gar nicht zurückgekommen. Wir verbrachten das Wochenende in einem gepflegten Hotel im Bayerischen Wald, Schnäppchenangebot von Kaufland, so günstig kommt man nicht oft zu zwei entspannten Tagen. Zum Abschluss einer Wandertour saßen  wir heute Nachmittag in der „Simmereinöde“  vor frisch gebrautem Bier, und es ging mir so durch den Kopf: Ich könnte mich beruflich neu orientieren. Ich könnte als Bedienung arbeiten, hier in diesem Ausfluglokal mit all den Geranien vor den Fenstern. Was für ein Leben wäre das! Ich würde älteren Leuten, die vom Parkplatz bis zur Gartenwirtschaft gewandert sind, eins dieser riesigen Kuchenstücke bringen und Kaffee und mich mit ihnen übers Wetter unterhalten. Um mich herum gäbe es nur Wildblumen, Wald und den Duft frisch gemähter Wiesen. Ob die Sonne scheinen würde wie heute, ob Nebel über den Hügeln läge oder Regenschleier niedergingen – egal. Hauptsache Frieden. Ich malte es mir aus in allen Details, und als ich mein Bier ausgetrunken hatte, wäre ich auch bereit gewesen, ein Dirndl anzuziehn wie die Bedienungen hier. Womöglich würde ich bayerisch lernen. „Grüß Gott“ kann ich ja schon.

Wiederherstellungsprogramm

Wochenlange  Anspannungen kann man in einer halben Stunde loswerden. Heute getestet. Nein, nicht mit Whisky oder Ramazotti, ich fand etwas Besseres. Jetzt sitze ich hier und mein Körper ist schwer. Der Rücken tut ein bisschen weh, die Muskeln haben sich aus der Verhärtung gelöst und fragen sich wohl, wie das kam. Vom Nacken her zieht es hoch in den Hinterkopf und auch dort wundert man sich. Auf einmal fließt es, nach all dem Stau schon sonderbar.

Ihr habt wohl erraten, was vor sich ging, es ist ja ganz einfach: Ich war heute bei einer Masseurin und sie hat aus Schultern und Rücken alles herausgewalkt, was  da nicht reingehört: den ganzen Kladderadatsch der letzten Zeit, eigentlich der von längerer Zeit. Keine Faser hat sie vergessen. Es war die vierte Massage in meinem Leben, und wenn ich drüber nachdenke, dann ist es gar nicht so schlecht. Die Muskeln entspannen sich, ob sie wollen oder nicht, und in einem entspannten Körper wohnt ein entspannter Geist. Ob er will oder nicht.

Jedenfalls geht’s mir gut. Und jetzt guck ich „Nachtcafe“.

Allen Lesern wünsche ich einen unverkrampften Abend!

Ich war einmal eine Tomate

Als ich heute das Abendessen zubereitete, entdeckte ich ein weiteres Entspannungs- und Belohnungsstandbein (als Ex-Raucher braucht man das), und es ist: Abendessen zubereiten. Ich bin nämlich gerade dabei, das Kochen zu einer meditativen Tätigkeit zu entwickeln. Also werfe ich nicht einfach ein paar Tomaten in die Pfanne und rühr um, sondern ich schau mir die Tomaten erst einmal an. Ich versuche zu spüren, was sie brauchen: welche Gewürze, welche Temperatur, für wie lange sie in die Pfanne wollen und vor allem: mit wem. Ich werde praktisch zur Tomate.

Bei dieser Tätigkeit rücke ich weit weg vom Druck im Büro, von allerlei Ängsten um Kinder und Zukunft, auch die Bügelwäsche ist egal. Ich schnipple und kombiniere, koste und verliere mich in mein Werk, bis am Ende zwei duftende Teller da stehen. Man schmeckt dann nicht nur die Zutaten, sondern auch das Einsgewordensein mit den Tomaten. Oder was es eben ist.

Schmeckt die Speise fad – auch das kommt vor -, ist es mir nicht gelungen abzuschalten. Dann schenk ich mir einen Ramazotti ein.

1. August: Seit zwei Monaten frei!

Die Gier zu beherrschen, ist keine Kunst, wenn man ein paar Wochen lang nicht geraucht hat. Die Gier ist weg. Aber die Sucht nach sich-belohnen, sich-trösten, die Fünf gerade sein lassen – die schleicht viel langsamer aus. Fatal ist dann das, was viele Raucher kennen: „Ich habs geschafft Schluss zu machen damit. Eine einzige Zigarette ab und an schadet also nicht. Zum Beispiel jetzt?“

Das lohnt sich nicht, denn wer „Endlich Nichtraucher“ gelesen hat, weiß: der eigentliche Genuss ist nicht die Zigarette. Was richtig gut tut, ist das Lindern der Entzugserscheinungen seit der letzten Nikotinzufuhr. Da liegt der Schluss nahe, dass eine einzelne Zigarette dann gar nicht schmecken kann, was sich im Testfall auch immer bestätigt. Es ist allenfalls die dritte oder vierte, die den Erwartungen entspricht, wenn man also wieder drauf ist. Schnell genug geht das ja.

Man sucht besser nach anderen Quellen, sich etwas ganz Gutes zu tun, und – so doof es klingt – bei mir sind es die Radtouren ins Büro geworden. Täglich 10 km hin und 10 zurück. Es gibt so viel zu sehen und zu riechen und Gedankenanstöße, da hält keine Zigarette mit, und der Effekt hält eine ganze Weile vor.

Blöd nur, dass ich während des Tages nicht aussteigen kann. Da möcht ich schon manchmal davon radeln…

Der lange Weg zum Feierabend …

… wird kürzer mit Chantré. Nein, hier folgt keine Werbung für alkoholische Getränke, es fällt mir nur auf. Seit ein paar Tagen stehen hier nämlich Flaschen herum mit hochprozentigem Inhalt, seit Jahren gereift im Wohnzimmer meiner Mutter und dann mir übergeben, da nicht mehr gebraucht. Früher hätte sie ein Schlückchen Cognac nicht verschmäht und Namen wie Sliwowitz, Ouzo oder Jim Beam kenne ich seit meiner Kindheit. Wobei Jim Beam bei uns ausgesprochen wurde wie Jim Bimm und mir gefiel das Wort immer, weil es klingt wie Bimm Bamm.

Jedenfalls war mein Tag wenig erfolgreich heute. Die Arbeit fraß mich auf, zwei Aufträge konnte ich nicht wie zugesagt ausliefern, eine Reklamation klemmt in meiner Magengrube. Erst nach sieben kam ich heim, aufgewirbelt und zerfahren und da, neben dem Telefon, atmeten die Flaschen. Ich hatte sie zunächst einmal dort abgestellt und seither überlegt, was mit ihnen anzufangen sei. Heute wusste ich es. Ich griff nach einer der angebrochenen und es ist Chantré. Ein paarmal genippt und jetzt spüre ich ein bisschen Feierabend. Das Karussell in meinem Kopf fährt langsamer, bald kann ich aussteigen. Wenigstens für heute Abend.