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Erlebnispark zum Nulltarif

Die Luft flirrt, Fliegen und anderes Gebrumm kämmen durch das Gras. Ich liege wieder einmal in der Wiese vor einem Wald-Weiher, weg vom Lärm der Autos und Motorräder, hier gibt es nur Vogelstimmen, Froschquaken, Blätterrauschen. Gerade wird vom angrenzenden Reiterhof ein Pferd gebracht wie jeden Nachmittag. Die Begleiterin führt es über die Wiese zum Wasser hin, da bleibt es plötzlich stehen und schaut zu mir herüber. Als hätte es eine Frage an mich. Dann ruckt der Kopf zur Seite, weil die junge Frau an der Leine gezogen hat, beide verschwinden im Ufergebüsch. Doch das Pferd will nicht schwimmen. Es kommt zurück, und zwar allein.

Mitten auf der Wiese bleibt es stehn und schaut wieder zu mir. Als wolle es etwas sagen. Kennt mich das Pferd aus einem früheren Leben? Sekundenlang starren wir uns an. Über alle Mystik hinweg rasen meine Gedanken in eine rationalere Richtung: Wie rette ich mich, wenn … „Tina, komm her“, ruft da die Begleiterin, bevor ich den Gedanken zu Ende denken muss. Sie holt das Tier ans Wasser zurück. Tina muss jetzt schwimmen.

Hier ist es spannender als beim Sonntags-Tatort.

Wieso verreist man eigentlich?

Natur aus der Nähe erleben könnte man auch in der heimatlichen Umgebung. Menschen anderer Herkunft findet man im türkischen Laden, Museen und Ausstellungen im Internet, Sommer gibt’s auch in Deutschland. Wegfahren ist also nicht nötig, kann man es sich schenken. Oder? Natürlich nicht, denn zu Hause fehlt der Impuls, sich mit Natur, Menschen, Ausstellungen usw. zu beschäftigen. Nun, dann beschäftigen wir uns eben mit anderem, reicht das nicht?

Ich glaube nein. Letzte Woche zum Beispiel erfuhren wir beim Bummel durch ein kleines Museum in Meran, wie aufgrund des milden Klimas in einem Kuhnest Fremdenverkehr entstand. Er entwickelte sich und explodierte, als Adel und Prominenz aus ganz Europa den Ort für sich entdeckten. Die Einheimnischen kamen zu mehr Wohlstand, doch ihre Traditionen verkamen zur Touristenattraktion. Später folgten Gespräche darüber, die es ohne den Besuch  in Meran nicht gegeben hätte. Das ist allemal besser als zu erörtern, welche Erledigungen im Haushalt und Alltag anstehen, besser als lästige Telefonanrufe, Wäsche, schwere Einkaufstaschen, Behördenkram.

Davon abgesehen geht es bei Urlaubsreisen nicht nur darum, wohin die Reise geht, sondern auch, mit wem man sie macht. Ist doch egal, ob ich durch einen botanischen Garten stiefle, mich in eine Seilbahn quetsche oder im Bahnhofscafe Züge beobachte, wenn der Mensch neben mir derjenige ist, mit dem ich all das sehen möchte. Ja, auch die Züge, wenn er sich nun einmal dafür begeistert.

Diesen Menschen erlebe ich in einem unvertrauten Rahmen und er enthüllt andere Facetten von sich, neue. Ich verfolge zum Beispiel jeden Morgen sein Ringen mit den Elektroanschlüssen: vom englischen Rasierer zum deutschen Adapter in die italienische Steckdose, nie ist das richtige Verbindungsstück parat, immerzu legt er es sonstwohin und vergisst es wieder, am nächsten Morgen geht die Sucherei von vorne los. Aber unterwegs in Städten wie in den Bergen findet derselbe Mann jedes Ziel, als hätte er einen Kompass gefrühstückt! Ich brauche nur hinterherzulaufen und Fotos zu machen von allem, was mir gefällt und von ihm, wenn sein Haar in der Sonne leuchtet wie ein Schönwetterwölkchen.

Erdachtes mag zu denken geben,
doch nur Erlebtes wird beleben.

Paul von Heyse

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