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Good-bye bicycle?

Veränderungen kündigen sich an, und das Radeln verliert beim geliebten Briten gerade an Bedeutung. Zum Saisonabschluss war er aber noch einmal erfolgreich und erradelte bei den Vattenfall Cyclassics in Hamburg den 8.078. Platz! 22.000 Personen nahmen teil, in der Altersgruppe kam er auf Platz 369. Durch diese Radsportbegeisterung kamen wir allein in diesem Jahr nach Mallorca, Berlin, Newcastle, München und Hamburg zu den verschiedensten Radsport-Events.

Hamburg_Cyclassics

 

Inzwischen geht der Trend aber weg vom Treten und hin zum Hocken: Der geliebte Brite hat seine Angel wieder ausgepackt. Angel ist natürlich untertrieben. Wenn er zum Fischen geht, gleicht das dem Umzug eines mittleren Hausstands, er hat also sehr viel wieder ausgepackt, was nun tendenziell bei uns im Flur rumsteht. Dafür flattern aber nicht mehr ständig tropfende Trikots und gewindelte Höschen auf dem Balkon, auch Werkzeuge und ein halb zerlegtes Rennrad sehe ich dort nur noch selten. Und ich bin als treue Begleiterin jetzt nicht mehr in aufgekratzten Großstädten unterwegs, sondern werde zum Beispiel zum Talweiher bei Bergatreute mitgenommen. Oder zum  Truchsessweiher irgendwo im Wald. Oder zum Schlierer Weiher. Sowas eben. Natur ist ja auch sehr schön.

Virgin Money Cyclone Cycling oder: Das Leben lässt sich nicht planen.

Mit Tausenden anderen startete der geliebte Brite heute zum Fahrrad-Event durch Northumbria im Norden Englands. Der Plan war, dass sein Sohn und ich die einzelnen Verpflegungsstellen anfahren, um dort die eigenen Gels und Riegel und Pülverchen zu überbringen, die er für diese schwierige Strecke braucht und die im Trikot zuviel Fummelei bedeuten. In der Praxis blieb es aber bei nur einer Station.

Irgendwo im Niemandsland auf einer schmalen Landstraße, umgeben von Wiesen, Schafen, blühenden Wacholderbüschen und sonst im Wesentlichen nichts parkten wir auf einem Grasstreifen in der Nähe der ersten Feed Station. Er kam bald angeradelt, bekam seinen Proviant, und als wir weiterfahren wollten, saß das Auto auf. Der Untergrund war so uneben, dass ein Vorderrad nicht mehr in den Boden griff, es ging weder vorwärts noch rückwärts.
Ein junger Schreibtischheini und eine ältere Frau sind kein guter Ansatz zur Lösung des Problems, aber die Männer von der Verpflegungsstation weiter vorne versprachen zu helfen, sobald es ruhiger würde. Inzwischen strömten unablässig Fahrradfahrer an uns vorbei.

Eine Stunde später warteten wir immer noch, und nach zwei Stunden – wir waren gerade am Eindösen – hielt ein Auto in der Parkbucht (!) auf der anderen Straßenseite. Ein Mann hantierte mit seiner Kamera. „Haben Sie zufällig ein Abschleppseil?“ rief der Sohn zögernd hinüber. Hatte er nicht. Aber zwei praktische Hände. Nach einer Viertelstunde war das Auto mit einem Wagenheber angehoben, das Rad mit Steinen unterlegt, zwei Fahrradfahrer stiegen ab und halfen Schieben, erledigt.

Danach fuhren wir zur nächsten Feed Station, zur übernächsten, zur überbernächsten, den Liebsten fanden wir nicht mehr. Wir schickten SMS, riefen an, nichts. Das kommt daher, dass Handys in der Pampa keinen Empfang haben. Nachdem wir also genug Schafe und Fahrradfahrer gesehen hatten, gaben wir auf und ich wartete im Hotel.

Was haben wir heute gelernt? Der geliebte Brite kann auch ohne Spezialzutaten 160 km fahren, und zwar über 2.700 (zweitausendsiebenhundert) Höhenmeter in 8 Stunden.
🙂

Cool bleiben

Es ist ja nichts passiert. Das Flugzeug ist nicht abgestürzt, wir sind in Newcastle angekommen, das Hotelzimmer ist sauber. Was ist dagegen schon, dass der Koffer des Liebsten verloren ging? Freilich befindet sich darin die Ausrüstung fürs Virgin Money Caclones Bicycle Event am Samstag, an dem er teilnehmen will: 160 km rund um die alte Heimat. Aber vielleicht braucht er Trikot und Helm und so weiter ja gar nicht. Als er nämlich sein Fahrrad aus der Spezialtasche geschält hat und am Pedal herumkurbelt, entstehen unmissverständliche Geräusche: „Hilfe, ich bin kaputt!“ schäppert es mit Nachruck. Wahrscheinlich ist etwas an der Gangschaltung verbogen, murmelt der geliebte Brite, shit day, und er wird vorübergehend ungesprächig.

Vor dem Stadtbummel also ein Abstecher zum Fahrradgeschäft, und ja, sie können es morgen reparieren. (In Deutschland unvorstellbar, so auf die Schnelle.) Ein Anruf klärt auch, dass der Koffer gefunden wurde und morgen in hier ist, na also. Es hätte schlimmer kommen können. Es hätte mein Koffer sein können, der verloren ging.

Kraftakt

In dieser Jahreszeit – mir entfällt gerade, wie ich sie benennen soll – macht ein warmer Nachmittag wie gestern aus jedem Zauderer einen Hans im Glück und in meinem Fall eine Hänsin im Glück. Ich ignoriere also alle Meldungen, lasse das Auto stehen und ziehe das Fahrrad aus der Ecke, das aus Langeweile sowieso schon vor sich hinmault. Fröhlich pfeifend radle ich davon und treffe mich mit einer Freundin im Straßencafe. Wir plaudern und schauen über den Platz, aus allen Löchern kriechen Menschen und fragen sich wohl, was das komische Helle da draußen ist: Ach so, die Sonne. Kennen die Älteren noch von früher. Ich bestelle „Strammen Max“ und lege meine Jacke ab, in den Hauswänden steckt schon Wärme und wir wollen glauben, dass die dunklen Tage vorbei sind, dass dies der Beginn besserer Zeiten ist. Wir wollen, dass es endlich Sommer wird.

Nach wenigen Stunden folgt die Einsicht, dass der Wetterbericht Recht hatte, denn während wir uns über Mütter und Männer unterhalten, fährt mir auf einmal kalter Wind ins Kreuz. Wir schauen zum Himmel und er ist grau geworden, eine fette Regenwolke geht gerade in Stellung. Hatten wir nicht bemerkt, oder nicht bemerken wollen? Ich stelle sofort der Bedienung ein Bein und zahle, dann spüle ich den Rest meines Tees hinunter, umarme hektisch die Freundin, die mit Schirm und Auto ausgestattet freilich entspannt bleibt. Ich aber werfe mich auf mein Fahrrad und jage davon, als wäre der Teufel hinter mir her. Nein, ein Regenguss schreckt mich nicht, es ist im Gegenteil originell. Wann spürt man schon Wasserperlen im Gesicht oder Bächlein, die in den Nacken rinnen oder nassen und schwer werdenden Stoff, der auf der Haut klebt, bis man daheim alles herunterreißen und sich in verführerisch trockene Sachen hüllen kann! Es ist ein eigener Genuss.

Aber diesmal habe ich meine Lederjacke an, und ich bin nicht sicher, ob sie vom Regen durchgeweicht noch dieselbe wäre. Außerdem ist das nagelneue Handy in der Tasche nicht vor Nässe geschützt. Kurz und gut: Ich schaffe die Strecke nach Hause in Rekordzeit, komme trocken an aber fast mit einem Herzkasper und der Stramme Max hängt mir in der Gurgel. Den Rest des Abends ist mir schlecht.

Und heute morgen, als ich aus dem Fenster sehe in den kalten, tropfenden Tag, auch.

Eine Frage der Technik

Ich lehne mich an die Betonwand und drehe den Schlüssel in dem Schalter herum, der in die Mauer eingelassen ist. Das Tor fängt an zu surren und rasselt langsam nach oben. Ich sinke auf den Sattel meines Rads zurück, halte mit beiden Händen die Handbremsen fest und rolle die steile Einfahrt zur Tiefgarage hinab. In der linken Hand liegt noch der Schlüsselbund und ich bemerke drei Dinge: Erstens lässt sich mit Schlüsseln in der Hand die Handbremse nicht betätigen. Zweitens, die Handbremse auf der anderen Seite reagiert nicht. Und drittens: das Tor ist erst auf halber Höhe und kommt viel schneller auf mich zu als es sollte. Ich lenke nach rechts, um den Bremsweg zu verlängern und komme mit lautem Ratschen zum Stehen wie ein Skifahrer am Ende der Piste. Cool. Als hätte ichs gelernt. Schade, dass es keiner gesehn hat.

Abfahrt mit Wochenblatt

Wer mit dem Rad 800 Höhenmeter oder noch weiter nach unten fährt, braucht eine Zeitung. Es muss nicht das Wochenblatt sein, die Frankfurter Allgemeine tuts auch oder jede andere handelsübliche Zeitung. Nicht weil es langweilig werden könnte, wenn es nichts zu treten gibt, sondern wegen der Kälte. Zeitungspapier schützt vor dem Auskühlen, weiß der Liebste. Wir stehen auf dem Flüelapass, er faltet die Bögen in die richtige Größe und klemmt sie zwischen die Trikots. So macht man das also.

Mir ists egal, ich fahr mit dem Auto. Da brauch ich eine Zeitung höchstens, wenn ich in der nächsten Etappe auf ihn warte. Das ist aber diesmal nicht der Fall, wir kommen in der selben Minute in Zernez am Hotel an, wo der Alpenüberquerer mit wohlgewärmter Brust vom Fahrrad steigt. Sein Gesicht indes ist so steifgefroren, dass er kaum reden kann.

(Alpentour letztes Wochenende: Klosters – Davos – Flüela-Pass – Samedan – Zernez – Bernina-Pass – Tirano)

 

Klimabericht

Wenn man mit dem Fahrrad bei dichtem Nebel mehrere Kilometer zur Arbeit fährt, kommt man mit nassen Haaren an. Triefend, mit einem feinen weißen Pelz aus Wasserperlen auf der Kopf und Jacke, betrat ich die Firma und als erstes die Damentoilette, um mich zu trocknen. Danach lief ich mit verzuzzelten Haaren und matschbespritzten Schuhen herum. Dies entdeckte ich aber erst in der Mittagspause. Die Schuhe waren gleich sauber gewischt, doch mit der Frisur war nichts zu machen: Ich sah aus wie Angela Merkel nach einer Fahrt im offenen Cabrio.
Morgen setz ich eine Mütze auf.

Wieder was gelernt!

Die physikalischen Gesetze beim Durchradeln einer Wasserpfütze hatte ich mir vorgestellt wie die des windstillen Zentrums eines Hurrikans. Die Idee war: Anlauf nehmen, pfeilschnell durch die Lache pflügen, gelbraunes Wasser brandet auf beiden Seiten zum Wegrand hin und im Tal der Wogen bleiben mein Rad und ich einigermaßen trocken.

Moses mag einst ähnliche Gedanken gehabt haben, aber schon damals bedurfte es einer höheren Macht, damit es funktioniert. Ich jedenfalls hatte sowohl meine naturwissenschaftlichen Kenntnisse als auch meine spirituellen Voraussetzungen falsch eingeschätzt. Wohl teilten sich vor mir die  Wassermassen. Sie schafften es aber nur geschätzte zehn Zentimeter zur Breite, mindestens das Dreifache jedoch in der Höhe. Genau in dieser Koordinatenposition befand sich aber mein rechter Knöchel, der beim rhythmischen Auf und Ab gerade unten angekommen war. Auf ihm verteilte sich nun die Gischt und schwappte in meinen Schuh.

Jetzt fielen mir die Kinder ein. Wie sie bei Regenwetter Spaß daran hatten, auf  dem Fahrrad durch Pfützen zu sausen – mit weit gespreizten Beinen! Muss ich mir merken. Auf der Weiterfahrt jedenfalls schmatzte mein rechter Fuß im Takt der Pedale. Zum Glück musste das aufgeweichte Schuhleder später nicht unter meinem Schreibtisch trocknen und ich den Bürotag in Strümpfen verbringen. Ich war ja auf dem Heimweg.

Fit wie Lumpi – das Komplettset

Ich will meine Kondition zurück. Früher hatte ich sie, so lange ist das noch gar nicht her. Aber in diesen Tagen strengen mich die einsamen und freudlosen Joggingrunden durch Wohnsiedlungen an. Deshalb – neuer Versuch – fahre ich seit kurzem mit dem Fahrrad zur Arbeit. 10 flache km.

Viele Menschen radeln mit mir denselben Weg oder sie kommen entgegen. In freundliche und verschlafene Gesichter blicke ich, manch eines lächelt mir zu. Ich atme die Frische des Morgens ein. Entlang einiger Sträucher mit unscheinbaren weißen Blütendolden fahre ich durch schweren, fruchtigen Duft. Abends pustet mir die Hitze ins Gesicht, sie fegt über Straßen und Felder, seit Tagen haben wir Sonne und Wind wie an der Küste. Anders als dort schimmern bei uns aber aufgeworfene Erdschollen feucht und dunkelbraun. Mächtige Bäume schunkeln im Takt der Böen, die durch ihr schweres Laub brausen.

Entlang der Spargelfelder mit ihren langen Reihen angehäufter Erde verliere ich meine Rastlosigkeit. Zwischen bunt gekleideten Arbeitern auf  Erdbeerfeldern verpuffen all die Befürchtungen, Griesgrämigkeit versickert auf satten Viehweiden und Radwegen mit Menschen, die mir ein Lächeln schenken. Außer Atem und völlig entspannt komme ich nach 40 Minuten an.

Das ist es, was ich im Moment brauche.