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Abendprogramm

Es sind immer Leute da. Das Schlafzimmerfenster geht zur Straße hin und wenn ich abends früh im Bett liege, höre ich draußen Frauen. Sie stehen auf dem Hof der Mietshäuser gegenüber herum und plaudern, vereinzelt dringen Sprachfetzen herein, Kinder spielen auf Gehwegen, junge Männer rufen „Geil!“ oder sowas, es werden Fußballlieder gegrölt.

Auch im Haus drinnen höre ich Menschen. Wenn jemand im Treppenhaus die Stufen hochsteigt, kann ich zumindest vom Schlafzimmer aus beurteilen, ob die Person jung ist oder jedenfalls gesund und fit, oder ob sie schon älter ist oder zuviel Gewicht mitschleppt, oder ob sie einfach müde ist. Manchmmal denke ich mir zu diesen Treppenschritten Geschichten aus. Zum Beispiel die einer jungen Frau, die eben noch einmal in den zweiten Stock springt, weil sie ihre Geldbörse vergessen hat, während unten ihre Freunde warten, gleich werden sie zusammen in die Stadt gehen und feiern. Sonst merke ich die Nachbarn kaum.

Irgendwann schwärmen die Krähen aus. In dunklen Wolken kommen sie jeden Abend aus einem kleinen Wäldchen in der Nähe und kreisen lärmend um die Häuser. Man möchte meinen, Hitchcocks „Vögel“ wären real geworden, doch greifen sie niemanden an und ich stelle mir vor, dass sie sich über die Geschehnisse des Tages unterhalten wie die Menschenfrauen unten auf dem Hof. Sobald es dunkel ist, verschwinden sie wieder.

Ich blättere eine Seite in meinem Buch um und denke: „In dieser Wohnung werde ich kein Fernsehgerät kaufen.“

Der lange Weg zum Feierabend …

… wird kürzer mit Chantré. Nein, hier folgt keine Werbung für alkoholische Getränke, es fällt mir nur auf. Seit ein paar Tagen stehen hier nämlich Flaschen herum mit hochprozentigem Inhalt, seit Jahren gereift im Wohnzimmer meiner Mutter und dann mir übergeben, da nicht mehr gebraucht. Früher hätte sie ein Schlückchen Cognac nicht verschmäht und Namen wie Sliwowitz, Ouzo oder Jim Beam kenne ich seit meiner Kindheit. Wobei Jim Beam bei uns ausgesprochen wurde wie Jim Bimm und mir gefiel das Wort immer, weil es klingt wie Bimm Bamm.

Jedenfalls war mein Tag wenig erfolgreich heute. Die Arbeit fraß mich auf, zwei Aufträge konnte ich nicht wie zugesagt ausliefern, eine Reklamation klemmt in meiner Magengrube. Erst nach sieben kam ich heim, aufgewirbelt und zerfahren und da, neben dem Telefon, atmeten die Flaschen. Ich hatte sie zunächst einmal dort abgestellt und seither überlegt, was mit ihnen anzufangen sei. Heute wusste ich es. Ich griff nach einer der angebrochenen und es ist Chantré. Ein paarmal genippt und jetzt spüre ich ein bisschen Feierabend. Das Karussell in meinem Kopf fährt langsamer, bald kann ich aussteigen. Wenigstens für heute Abend.