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Glückspilz

Auf dem Sofa in unserem Empfangsbereich sitzen zwei Kursteilnehmer: ein  großer, kräftig gebauter Mann aus Afrika, und eine magere Frau um die Vierzig mit asiatischen Gesichtszügen. Sie unterhalten sich leise. Da es ansonsten still ist, höre ich vom Schreibtisch aus unfreiwillig zu. Der Mann sagt:

„Wie geht es hoidde?“
„Guut,“, zirpt sie mit hoher, gepresster Stimme und verbeugt sich leicht. Dann – mit dem Blick geradeaus, ohne sich umzuwenden:
„Wie | geht | es | Ihnen?“ Sie reiht die Worte aneinander wie Bausteine.
„Ooooh, gudd,“ sagt der Mann mit strahlender Stimme. „Viel Lerne.“
Klein und schmal sitzt die Frau da, sie erwidert nichts.
„Deine family in Doischland?“ fragt der Mann weiter.
„Ja,“ sagt sie nach kurzem Zögern, „mein | Mann.“
„Kinder? Hassdu Kinder?“ Ihre Schultern ziehen sich zusammen.
„Swei“, wispert sie.
„Ooooh,“ sagt er, „welke … aahmmm, year?“ Sie schaut ihn an und sagt nichts. Er streckt die Finger hoch, zählt ab. Da versteht sie.
„Swölf, und noin“, haucht sie.
„Kinder in Doischland?“ fragt der Mann. Sie nimmt sich Zeit, sucht nach Bausteinen. Dann:
„Meine | Kinder | sind | tot.“
„ooooh …“

Ich weiß nicht, woran die Kinder dieser Frau gestorben sind und warum sie ihre Heimat verlassen hat. Ich weiß nur, dass meine Kinder leben, und zwar in einem sicheren Land. Ich Glückspilz.

wolfegg-adventsmarkt

Neue Bekanntschaft

Heute im Büro: Ein Syrer lacht sich kaputt, weil ich ihn für den neuen Dozenten hielt. Noch bevor er sich erklären kann, habe ich ihn nämlich schon in die Küche geführt und die Kaffeemaschine erklärt. Erst da erkundigt er sich zögernd, ob er am neuen Berufsvorbereitungskurs für Flüchtlinge teilnehmen kann.

„Ich Dussel!“ rufe ich und schlage mir an den Kopf. Das findet er so lustig, dass er laut loslacht. Und dieses Lachen habe ich schon tausend Mal gehört. Nun kommen mir auch die klugen Augen bekannt vor, der wache Blick, der gespannt vorgebeugte Oberkörper in Erwartung dessen, was ich wohl als Nächstes raushauen werde.

Lachen, Mimik und Ausstrahlung erinnern mich nämlich an meinen Sohn. Selbst das Alter stimmt ungefähr, nur Haut und Haare des Mannes hier sind dunkler. Wir albern ein wenig herum und je mehr er sich amüsiert, desto stärker irritiert es mich.

Wenn er lacht wie mein Kind, und guckt wie mein Kind, dann denkt er vielleicht auch wie mein Kind. Er kann also kein Fremder sein, und jetzt merkt er es auch. Er blickt mich an, als ob wir uns kennen. Komisch.