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Die Glücklichen

Die Leiterin der Abteilung Integration tritt zu mir an den Schreibtisch. Nein, sie schwebt. Sie lächelt hingegeben, ihre Gesichtszüge sind jetzt ganz weich. Der junge Mann, der soeben zur Tür geht, lächelt auch. Nein, er strahlt. Als hätte ihm ein schönes Mädchen gerade sein Jawort gegeben.

Die Leiterin beugt sich zu mir herunter und flüstert: „Er hat mich umarmt.“ Sie schaut zur Tür, die sich gerade hinter ihm geschlossen hat und durch die er bald wieder treten wird. „Er hat mich fest umarmt, und das …“ sie seufzt hingegeben, …“hat schon lange niemand mehr getan.“

Der Mann hatte Glück: Ein Sprachkurs hat vor kurzem begonnen und ein Teilnehmer erscheint nicht mehr. Deshalb wurde ein Platz frei, unser Besucher wird ab morgen hier Deutsch lernen.
„Er hat sich immer wieder bedankt,“ haucht die Leiterin entrückt.
„Den hast du glücklich gemacht“, grinse ich und tätschle ihre Hand.

Wenn man sie anschaut, sieht man natürlich: Es sind zwei Menschen glücklich. Und weil ich mich für die beiden so freue, sind wir schon zu dritt.

Schöner Tag heute.

 

Lernfragen

Ein neuer Deutschkurs beginnt, erste Stunde: Der Dozent prüft Formulare, fragt fehlende Anmeldedaten ab, es ist laut im Unterrichtsraum. Nach einiger Zeit gehen manche ans Fenster zum Rauchen, andere fangen an zu telefonieren. Der Dozent scheucht die Raucher vor die Haustür und verkündet eine zehnminütige Pause.

Nach dieser Unterbrechung mault er, dass der Fruchtjoghurt fehle, den er im Kühlschrank deponiert hatte. Jemand übersetzt, woraufhin ein Mann sich meldet und verwirrt den halb aufgegessenen Becher hochhebt. Andere senken das Kinn auf die Brust, als schämen sie sich für ihre Landsleute.

Die Leiterin der Abteilung Integration trifft ein. Sie spricht mit dem Dozenten und baut sich dann vor der Klasse auf: „Merken Sie sich,“ bellt sie, „dass Sie im Unterricht nicht herumlaufen, rauchen oder telefonieren. Die Toiletten sind sauber zu halten, fremdes Eigentum ist zu respektieren. Wer das nicht lernt, muss gehn. Wir haben lange Wartelisten.“

Es ist jetzt still geworden. Ein Teilnehmer aus dem Fortgeschrittenenkurs übersetzt. Ich überlege, ob mir der Auftgritt der Abteilungsleiterin gefällt oder nicht. Und ob es woanders üblich sein kann, sich an fremden Kühlschränken zu bedienen. Und dass Menschen aus unterschiedlichen Schichten zwei Jahre lang zusammen zur Schule gehen werden.

Dunkerque

Heute sind wir 800 km gefahren. Schließlich stehen wir auf dem Parkplatz der Autofähre von Dunkerque (Dünkirchen), das ist in der Nähe von Calais. Von hier aus geht es über den Ärmelkanal nach Dover. Viele Menschen warten hier. Wenn man wie wir den richtigen Pass hat, darf man Tickets lösen. Danach wird man durch Passkontrollen geschickt und anschließend von Sicherheitsleuten aufgefordert, Kofferraum und Türen des Fahrzeugs zu öffnen. Jeder. Bei uns ein kurzer Blick, alles gut. Bis zur Ankunft der Fähre werden wir auf einen Parkplatz im inneren Bereich des Hafengeländes geleitet.

Die anderen, die mit dem falschen oder gar keinem Pass, können das nicht. Hohe Zäune und Stacheldraht sorgen dafür, dass es so bleibt.

Dies hier ist kein schöner Ort.

Einige Stunden später befinden uns in einem Studentenzimmer der ehrwürdigen University of Oxford, wo man in den Semesterferien Bed&Breakfast buchen kann. Man denkt, jeden Moment kommt Inspector Lewis aus der gleichnahmigen britischen Krimiserie um die Ecke. Uns geht’s gut.

SoSo hat vor kurzem einen Artikel geschrieben, der ausdrückt, was ich im Moment gerade fühle.

Dunquerke (1)

Der äußere Parkplatz, auf dem wir warten, bis wir Tickets lösen können.

Dunquerke (2)

Auf der anderen Seite des Zauns.

Flüchtlinge2

Nicht wegschauen: Blogger für Flüchtlinge, eine Initiative zur Unterstützung der Flüchtlingshilfe.