Schlagwort-Archive: Flüchtlingsarbeit

Bemerkenswert

Wenn sich Menschen auf arabisch unterhalten, klingt es wie ein nicht enden wollendes „Achmad war am Hallabad“ oder so. Die Tonation ist nicht elegant wie im Französischen oder vornehm wie im Britischen, sondern forsch. Die Sprache wirkt mitunter fast aggressiv und irgendwie breit – als müssten einzelne Worte aus dem hinteren Rachen hervorgewürgt werden.

In den Unterrichtspausen unserer Sprachkurs-Teilnehmer aus Syrien klingt es deshalb im Aufenthaltsraum, als wären sehr viele Achmads in sehr vielen Hallabads unterwegs.

Am meisten erstaunen mich aber nicht die fremden Sprachklänge, sondern die Frauen. Man hat ja dieses Bild der Muslimin, die einige Meter hinter dem Mann geht und in Demut den Kopf neigt. Das kann ich nicht bestätigen. Die Frauen sitzen hier aufrecht zwischen den Männern und debattieren, lachen, eifern. Wie kam ich denn auf dieses Klischee?

London

Eigentlich ist unser Ausflug nach London schon wieder vorbei, aber ich nehm euch einfach nachträglich mit. Schaut mal:
(Draufklick = groß)

Dann war da noch der Besuch beim hochbetagten Onkel und der Tante des geliebten Briten. Ich bin ich wieder einmal von den Aufenthaltsräumen eines Pflegeheims überrascht. Teppiche, Plüsch und dunkles Holzmobiliar, überall rafft und rüscht es sich, im Speisesaal hängen kronleuchterähnliche Lampen und beim Abendessen sieht es aus wie bei einer festlichen Einladung. Dabei handelt es sich um eine ganz durchschnittliche Einrichtung. Bei uns sind solche Räume weiß getüncht, funktional, abwaschbar.

Wir trafen uns außerdem mit dem Neffen und dessen Freundin. Das Mädchen erzählte, dass ihr Vater sich kürzlich weigern wollte, einen Weihnachtsbaum aufzustellen. Die Kinder seien erwachsen, es sei mühsame Arbeit, nicht nötig für die paar Tage. Aber alle protestierten und der Weihnachtsbaum kam zum Einsatz wie jedes Jahr. Interessant ist das Detail, dass die Familie der Freundin Hindus sind, ich glaube die Eltern stammen aus Indien. Mit den Anlässen zum Feiern nicht man es aber nicht so genau. Ob sie auch Weihnachtslieder singen, habe ich vergessen zu fragen.

 

Weihnachtsaktion

Wieviel Weihnachten braucht ein Büro? Das fragten wir uns Ende November, als die firmeninterne Adventsdekoration fertig war. Eine Mitarbeiterin von einem anderen Standort war eigens hergekommen, um wenige Tage vor einer Veranstaltung unsere Büros zu schmücken.  Sie brachte schwere Taschen und große Kartons, in die sie wieder und wieder  griff und sich dann suchend in den Räumen bewegte auf der Jagd nach weiteren Platzierungsmöglichkeiten. „Schade, dass ich nicht dabei sein kann“, meinte sie schließlich und nestelte an den letzten Engelchen herum, „aber ich habe einen wichtigen Termin an dem Tag.“

Als sie gegangen war, standen wir ratlos vor der Bescherung. Von jedem Regal, jedem Tisch, jedem Schrank ergossen sich Glitzerkugeln, Tannenzweiggirlanden aus Plastik, Krippenfiguren und eine gefühlte Hundertschaft an pausbäckigen Weihnachtsmännern. In den Ecken formierten sich Bodenvasen mit reich vergabelten und bunt behangenen Ästen, auf den Fenstersimsen lag Goldfolie drapiert. Es sah aus wie auf einem Weihnachtsbazar.

„Vielleicht ein bisschen zuviel,“ bemerkte jemand. Ich betrachtete mein bisher minimalistisch gestaltetes Aktenregal, das nun komplett mit Weihnachten befüllt war.
In den folgenden Tagen versuchten wir, uns daran zu gewöhnen. Vergebens. Schließlich sagte jemand: „Sollen wir  etwas davon wegnehmen? Die Kollegin kommt ja nicht zur Veranstaltung.“

Wir fingen an, ein wenig zu reduzieren, und plötzlich – machten alle mit. So, wie es mit der Weihnachtsschmuckbeauftragten durchgegangen war, ging es mit uns beim Abräumen durch. Im Handumdrehen waren nur noch zwei Bodenvasen und ein paar Sterne übrig, wir konnten wieder atmen.

Am Veranstaltungstag stellte sich die Belegschaft zur Begrüßung der Gäste im Eingangsbereich auf. Namensschilder wurden verteilt, Sektgläser und Häppchen bereitgestellt, und dann kam, was kommen musste: Jemand blickte aus dem Fenster und schrie: „Ihr glaubt nicht, wer auf dem Parkplatz steht!“ Die Dekorateurin hatte offenbar den Termin verlegen können.

Sie schimpfte wie ein Kesselflicker. „Ich habe den Auftrag gehabt, die Räume zu schmücken! Ich habe ein größeres Budget dafür erhalten und viel Zeit damit verbracht! Wo ist die Dekoration? Wer hat das veranlasst?“

Wir mussten es aushalten. Ließen sie ihren Ärger Luft machen, beteuerten, dass alles zurückgestellt wird, drückten ihr ein Glas Sekt in die Hand und waren übertrieben freundlich zu ihr.

Ich arbeite häufig mit dieser Kollegin zusammen und war bis dahin nie recht warm geworden mit ihr. Aus purem schlechtem Gewissen behandelte ich sie aber von diesem Tag an außerordentlich aufmerksam und liebenswürdig, auch wenn sie brummig war. Sie schien darauf gewartet zu haben. Die Frau wurde auf einmal gesprächiger, positiver, lustiger, und nachtragend ist sie auch nicht. Sie hat den Vorfall nie wieder erwähnt. Ich möchte behaupten: Sie ist ein netter Mensch. Wir mögen uns jetzt.

So war die Aktion doch noch für etwas gut.

Die Glücklichen

Die Leiterin der Abteilung Integration tritt zu mir an den Schreibtisch. Nein, sie schwebt. Sie lächelt hingegeben, ihre Gesichtszüge sind jetzt ganz weich. Der junge Mann, der soeben zur Tür geht, lächelt auch. Nein, er strahlt. Als hätte ihm ein schönes Mädchen gerade sein Jawort gegeben.

Die Leiterin beugt sich zu mir herunter und flüstert: „Er hat mich umarmt.“ Sie schaut zur Tür, die sich gerade hinter ihm geschlossen hat und durch die er bald wieder treten wird. „Er hat mich fest umarmt, und das …“ sie seufzt hingegeben, …“hat schon lange niemand mehr getan.“

Der Mann hatte Glück: Ein Sprachkurs hat vor kurzem begonnen und ein Teilnehmer erscheint nicht mehr. Deshalb wurde ein Platz frei, unser Besucher wird ab morgen hier Deutsch lernen.
„Er hat sich immer wieder bedankt,“ haucht die Leiterin entrückt.
„Den hast du glücklich gemacht“, grinse ich und tätschle ihre Hand.

Wenn man sie anschaut, sieht man natürlich: Es sind zwei Menschen glücklich. Und weil ich mich für die beiden so freue, sind wir schon zu dritt.

Schöner Tag heute.

 

Glückspilz

Auf dem Sofa in unserem Empfangsbereich sitzen zwei Kursteilnehmer: ein  großer, kräftig gebauter Mann aus Afrika, und eine magere Frau um die Vierzig mit asiatischen Gesichtszügen. Sie unterhalten sich leise. Da es ansonsten still ist, höre ich vom Schreibtisch aus unfreiwillig zu. Der Mann sagt:

„Wie geht es hoidde?“
„Guut,“, zirpt sie mit hoher, gepresster Stimme und verbeugt sich leicht. Dann – mit dem Blick geradeaus, ohne sich umzuwenden:
„Wie | geht | es | Ihnen?“ Sie reiht die Worte aneinander wie Bausteine.
„Ooooh, gudd,“ sagt der Mann mit strahlender Stimme. „Viel Lerne.“
Klein und schmal sitzt die Frau da, sie erwidert nichts.
„Deine family in Doischland?“ fragt der Mann weiter.
„Ja,“ sagt sie nach kurzem Zögern, „mein | Mann.“
„Kinder? Hassdu Kinder?“ Ihre Schultern ziehen sich zusammen.
„Swei“, wispert sie.
„Ooooh,“ sagt er, „welke … aahmmm, year?“ Sie schaut ihn an und sagt nichts. Er streckt die Finger hoch, zählt ab. Da versteht sie.
„Swölf, und noin“, haucht sie.
„Kinder in Doischland?“ fragt der Mann. Sie nimmt sich Zeit, sucht nach Bausteinen. Dann:
„Meine | Kinder | sind | tot.“
„ooooh …“

Ich weiß nicht, woran die Kinder dieser Frau gestorben sind und warum sie ihre Heimat verlassen hat. Ich weiß nur, dass meine Kinder leben, und zwar in einem sicheren Land. Ich Glückspilz.

wolfegg-adventsmarkt

Der Aroma-Kaffee

Weiß jemand von euch, was arabischer Kaffee ist? Also, arabisch zubereitet? Ich habe kürzlich eine Tasse davon getrunken und frage mich, ob es nicht doch etwas anderes war. Ein syrischer Teilnehmer des Deutschkurses war in der Pause aus der Küche gekommen und hatte mir lächelnd eine dampfende Tasse auf den Schreibtisch gestellt – ein schwarzes Gebräu mit Bodensatz, dem Aussehen nach Kaffee. Ich bedankte mich herzlich und nahm einen Schluck. Es war Zucker hineingerührt, doch außer der Süße und einem herben Kaffee-Aroma war noch etwas anderes herauszuschmecken, etwas Fruchtig-Scharfes. Spontan hätte ich gesagt: Pril Geschirrspülmittel Lemon. Geschäumt hat es zwar nicht, aber irgendetwas roch und schmeckte wie Putzmittel. Ingwer vielleicht? Aber auch das war es nicht so richtig, und was hätte der sowieso im Kaffee zu suchen.

Jedenfalls: Eine Schwäbin wirft nix weg, also habe ich den Kaffee getrunken und nach jedem Schluck schmeckte er ein bisschen besser. Aber bis zum Schluss nicht gut.

Was war das?

 

Lernfragen

Ein neuer Deutschkurs beginnt, erste Stunde: Der Dozent prüft Formulare, fragt fehlende Anmeldedaten ab, es ist laut im Unterrichtsraum. Nach einiger Zeit gehen manche ans Fenster zum Rauchen, andere fangen an zu telefonieren. Der Dozent scheucht die Raucher vor die Haustür und verkündet eine zehnminütige Pause.

Nach dieser Unterbrechung mault er, dass der Fruchtjoghurt fehle, den er im Kühlschrank deponiert hatte. Jemand übersetzt, woraufhin ein Mann sich meldet und verwirrt den halb aufgegessenen Becher hochhebt. Andere senken das Kinn auf die Brust, als schämen sie sich für ihre Landsleute.

Die Leiterin der Abteilung Integration trifft ein. Sie spricht mit dem Dozenten und baut sich dann vor der Klasse auf: „Merken Sie sich,“ bellt sie, „dass Sie im Unterricht nicht herumlaufen, rauchen oder telefonieren. Die Toiletten sind sauber zu halten, fremdes Eigentum ist zu respektieren. Wer das nicht lernt, muss gehn. Wir haben lange Wartelisten.“

Es ist jetzt still geworden. Ein Teilnehmer aus dem Fortgeschrittenenkurs übersetzt. Ich überlege, ob mir der Auftgritt der Abteilungsleiterin gefällt oder nicht. Und ob es woanders üblich sein kann, sich an fremden Kühlschränken zu bedienen. Und dass Menschen aus unterschiedlichen Schichten zwei Jahre lang zusammen zur Schule gehen werden.

Das kommt mir spanisch vor

An der Empfangstheke steht ein Mann, den ich kenne. Meine kolumbianische Kollegin – sie macht gerade Mittagspause – kümmert sich normalerweise um ihn, dann sprechen sie immer spanisch. Oft sind es lange und intensive Gespräche in ihrem Büro, die Integrationsarbeit scheint hier komplex. Dem Aussehen nach stammt der Mann ebenfalls aus Südamerika.

Heute hat er jemanden mitgebracht. Sein Freund, erklärt er in missratenem Deutsch, wolle hier einen Alphabetisierungskurs machen, er komme aus Pakistan. Ich gebe ihm Auskunft, er übersetzt es dem Mann.
Ich frage staunend: „In welcher Sprache reden Sie denn mit ihm?“
Er: „Pakistan! Pakistani!“ Ich will schon fragen, woher er so gut pakistanisch kann, aber nun dämmert mir, vielleicht … „Sind Sie gar nicht aus Südamerika?“
Er blickt mich überrascht an.
„Sudamerrika? Nein. Pakistan. Ick Pakistan.“
Wie verblüfft man sein kann bei der Erkenntnis, dass das selbstgemalte Bild sein Thema verfehlt hat, sieht man mir offenbar an. Er zieht verunsichert die Augenbrauen hoch und scheint sich zu fragen, ob er etwas Falsches gesagt hat.
„Ach so,“ beeile ich mich zu erläutern, „ich hielt Sie für einen Südamerikaner, weiß auch nicht wieso.“ Nun lacht er erleichtert und singsangt: „Oh nein, ick nickt Maya!“

Später frage ich die Kollegin, in welcher Sprache sie denn mit dem Mann immer spricht. „Englisch,“ seufzte sie, „und Deutsch. Und alles, was uns einfällt. Er hat einen fürchterlichen Akzent. Ich verstehe ihn kaum.“

Wie kam ich denn auf Spanisch? Und wie sieht ein Südamerikaner aus? Offenbar jeder, der mit meiner Kollegin spricht.