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Reisegeschichten (2)

Um ein Haar hätten wir uns im Urlaub mit jemandem angefreundet. Es waren ja noch mehr Wanderer unterwegs: einmal hatten wir einen Abend lang Spaß mit einem jungen holländischen Paar. Aber die meine ich nicht. Ich meine Her Highness und den Husten.

Die beiden waren schon älter und stammten aus Australien. Sie fielen uns auf, weil Er sich beim Reden ständig räusperte, während Sie auf eine Art sprach, als sitze sie beim Pferderennen in Ascot: very british, very posh, „I am utterly exhausted“ und so. Her Highness in Wanderhosen.

Sie zeigten kein Interesse an uns. Wir auch nicht an ihnen, weil uns Husten und Gehabe auf die Nerven gingen. Der Mann grüßte immerhin zurück beim Frühstück oder Abendessen. Die Dame würdigte uns keines Blicks.

Einmal steuerten wir bei einer Wanderung auf die einzige Bar in einem Dorf. Da hörten wir es von der Terrasse her schon husten. Wir gingen trotzdem rein, weil wir Hunger hatten, und zum ersten Mal bedachte uns Her Highness mit einem Lächeln. „Hi,“ begrüßte sie uns charmant. „Hi Highness“, hätte ich beinahe erwidert. Sie empfahlen uns die Panini, mehr wurde nicht daraus. Auch nicht später beim Abendessen.

Die Wende kam am letzten Tag. Wir wurden von Cortemilia zum Ausgangspunkt in Alba zurückgebracht und landeten im selben Taxi: 45 Min. Zeit, uns anzuschweigen oder nicht. Und da ging das Plaudern los. Wie fandet ihr es? Hattet ihr auch Angst vor Wildschweinen? Manchmal ging es schon lange bergauf, oder?

Es wurde geradezu munter zwischen uns und wir entdeckten einige Gemeinsamkeiten. Deshalb wollten war beim Aussteigen gar nicht glauben, dass es vorbei ist. Wir werden uns niemehr wiedersehen. Australien ist zu weit weg.

Warum dauerte das so lange?

Einer trage des andern Last

Diese Bibelstelle hat sich ein hilfsbereiter Baum zu Herzen genommen – er greift seinem Nachbarn unter den Arm  Ast.

(Draufklick = groß)

Ohne ihren tragfähigen Unterstützer hätte die Buche im Vordergrund vielleicht einen Ast weniger. Aber vielleicht wollte sie nur ihren Nachbarn am Wachsen hindern und hielt deshalb den Finger drauf?
Wir wissen viel zu wenig über Bäume.

Freundschaft

Meine erste Freundin hieß Vera. Sie war ein ruhiges Mädchen mit schwarzen Haaren und blassem Gesicht. Morgens holte sie mich immer ab und wir gingen gemeinsam in den Kindergarten. Einmal hatte ich aber keine Lust auf das tägliche Ritual und ich lief davon, bevor sie klingelte.

Als Vera eine Weile nach mir im Kindergarten eintraf, saß ich schon an einem der Spieltische, und alle Stühlchen waren besetzt. Sie blieb einen Augenblick stehen und schritt dann zögernd zu einem anderen Tisch, an dem noch niemand saß. In der Mitte dieses Tischs lag ein Haufen bunter Glas-Steckerchen, die man auf einer Unterlage zu einem Bild zusammenfügen konnte. Sie setzte sich, blickte still vor sich hin, nahm ein paar Steckerchen in die Hand und ließ sie langsam zwischen den Fingern auf den Tisch zurückfallen. Sie war ganz allein.

Ich hätte mich zu ihr setzen können, aber an unserem Tisch waren interessantere Spielsachen. Was es war, weiß ich nicht mehr, nur dasss wir Steckerchenbilder alle öd fanden. Ich spielte also weiter und begriff nicht, warum es auf einmal keine rechte Freude mehr machte.

Noch heute denke ich manchmal daran, und dann bekümmert mich die Traurigkeit meiner Freundin in jenem Moment und dass mein Verhalten etwas damit zu tun hatte. Vera’s Familie zog bald danach weg, und ich habe sie nie wiedergesehen.

London (43)

Abendgedanken

Denkt ihr abends auch manchmal darüber nach, was das Wichtigste war am Tag? Ich schon. Heute war es der Geburtstag des Freundes meines Sohnes. Nicht dass ich auf der Party gewesen wäre. Ich hab den Jungen nicht mal gesehen heute, eigentlich schon länger nicht mehr. Genau genommen kenne ich ihn kaum.

Seinen letzten Geburtstag vor einem Jahr feierte er sicher zusammen mit meinem Sohn. Vielleicht kam den beiden da sogar die Idee, gemeinsam in Urlaub zu fahren, oder sie hatten das schon vorher ausgemacht, oder nachher, egal. Nach Holland sollte es gehen, Amsterdam ist beliebt bei jungen Leuten. Eine Woche war geplant.

Viele Monate sollte es dauern, bis wir sie wieder zu Hause hatten. Dieselben waren sie nicht mehr, wir alle nicht. Fast ein Jahr ist es her, dass auf der Rückfahrt von Holland ein Audi in die beiden hinein raste und sie beinah zermalmte. Die furchtbaren Wochen in Intensivstationen, die langen Monate in Rehakliniken gehören jetzt zu unseren Erinnerungen, zu unserem Leben. Und heute? Heute hat der Freund meines Sohnes Geburtstag. Er feiert in einem Pub, mein Sohn wird ihm eine gemeinsame Reise nach Holland schenken. Sie sind noch nicht so gesund wie vor dem Unfall, manches wird nie mehr so sein. Aber sie leben, sie lachen, sie haben Pläne. Heute ist ein schöner Tag.