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Die Allee

Wenn ich einmal durch diesen Tunnel gehe, dann soll er so sein wie diese Allee. Die Kronen der Baumreihen schließen sich über mir, Licht fließt durch das Laub, auf den Feldern liegt dicker Wildkräuterflaum. Es riecht wie nach einem Regenschauer.

Wenn ich durch diese Allee gehe, sind auch andere Menschen unterwegs: zu Fuß oder mit dem Rad machen sie sich auf den Heimweg nach einem langen Tag. Ich bin nicht allein, und das ist gut. Weiter vorne, am Ende der Allee, wird es hell. Vielleicht wartet dort jemand, doch das ist nicht wichtig. Ich setze einen Schritt vor den andern, höre die Vögel singen, es ist ein warmer Tag.

So träume ich manchmal, wenn ich auf dem Weg von der Arbeit nach Hause durch diese lange Allee radle. An ihrem Ende befindet sich ein kleiner Friedhof. Neulich standen wieder Menschen an einem offenen Grab, die Sonne schien ihnen auf die Schultern.

 

 

Die Friedenslinde

Etwas entfernt sehen wir die Zundelbacher Linde. Sie wurde 1871 gepflanzt, als die Menschen sich zum Ende des deutsch-französischen Krieges nach Frieden sehnten.

Einen besseren Grund für das Setzen eines Baumes gibt es gar nicht.

Die fast 150 Jahre alte Linde überragt eine idyllische Wiesen- und Waldlandschaft zwischen Weingarten und Unterankenreute.

„Der Friede ist kein Naturprodukt; er wächst aus menschlichem Handeln“ (Gustav Heinemann). Ich hoffe, Trump und Kim Jong Um hören bald auf zu pokern, und alle andern Länder auch.

Ganz ruhig

Am liebsten wär ich gar nicht zurückgekommen. Wir verbrachten das Wochenende in einem gepflegten Hotel im Bayerischen Wald, Schnäppchenangebot von Kaufland, so günstig kommt man nicht oft zu zwei entspannten Tagen. Zum Abschluss einer Wandertour saßen  wir heute Nachmittag in der „Simmereinöde“  vor frisch gebrautem Bier, und es ging mir so durch den Kopf: Ich könnte mich beruflich neu orientieren. Ich könnte als Bedienung arbeiten, hier in diesem Ausfluglokal mit all den Geranien vor den Fenstern. Was für ein Leben wäre das! Ich würde älteren Leuten, die vom Parkplatz bis zur Gartenwirtschaft gewandert sind, eins dieser riesigen Kuchenstücke bringen und Kaffee und mich mit ihnen übers Wetter unterhalten. Um mich herum gäbe es nur Wildblumen, Wald und den Duft frisch gemähter Wiesen. Ob die Sonne scheinen würde wie heute, ob Nebel über den Hügeln läge oder Regenschleier niedergingen – egal. Hauptsache Frieden. Ich malte es mir aus in allen Details, und als ich mein Bier ausgetrunken hatte, wäre ich auch bereit gewesen, ein Dirndl anzuziehn wie die Bedienungen hier. Womöglich würde ich bayerisch lernen. „Grüß Gott“ kann ich ja schon.

Freitagabend

Gestern saßen wir wieder einmal in dem kleinen Lokal an der Ecke an einem der alten Holztische, die vom Trödelmarkt stammen müssen wie das ganze Mobiliar dort. Kein Stück gleicht dem andern, aber jeden Tisch schmückt eine dieser altmodischen Dekorationsideen aus den 70er Jahren: Eine leere Whiskyflasche, auf der eine brennende Kerze steckt.

Gerade waren unsere leer geputzten Teller abgeräumt worden, auf denen die freitäglichen Fish & Chips serviert worden waren. Nun starrten wir auf den weit heruntergebrannten Kerzenstummel vor uns und es war eine angeregte Konversation darüber im Gange, ob er wohl brennend in die Flasche fallen würde oder nicht. Ich orakelte, dass die hartnäckig im Flaschenhals züngelnde Flamme vorher erlöscht, und so kam es auch wie jedesmal, wenn sich auf dem Glasboden bereits Kerzenreste versammelt haben. Nur wenn die Flasche noch leer ist oder fast leer, fällt der Stummel manchmal brennend hinein. Dass B. meine Vorhersagen immer wieder in Zweifel zieht und denkt, diesmal könne er das Spiel gewinnen, gehört in diesem Pub zu einem netten Abends mit ihm. Ich habe mein Wissen ja auch nur von dem jungen Mann, der dort bedient, aber das bleibt mein Geheimnis.

Wir redeten und beobachteten die Menschen, später begrüßten wir mit dem üblichen Hallo und Wie geht’s den Pakistani, dem B. jede Woche zwei Rosen abkauft. Das Geld schickt der kleine, freundliche Mann an seine Familie, die er seit vielen Jahren nicht gesehen hat. Wie immer bekam ich von ihm noch eine Rose dazu. Sie halten manchmal eine ganze Woche, und ich freue mich jeden Tag daran.

Es ist gut, ein paar feste Dinge im Leben zu haben, wenn schon alles andere davon treibt.

Der Gang der Dinge

Um die Mittagszeit streife ich gerne durchs Dorf, vorbei an Wiesen, Häusern, Novembergärten. Windböen haben das Laub weggewirbelt, blanke weiße Steinbrocken heben sich ab von dürren Büschen und umgegrabener Erde. Ich betrachte Skulpturen, bunte Kugeln und andere Versuche, im Vorgarten Stil zu zeigen. Kaum einem gelingt es, und trotzdem gefallen sie mir, denn sie haben keine Bedeutung für mich. Der Steinweg wurde nicht vom reizbaren Familienvater angelegt, die braun gewordenen Rosen nicht von der kettenrauchenden Alleinstehenden vergessen, im Sandkasten spielt kein Kind, das in der Schule versagt.

Die Geschichten der Menschen, denen diese Gärten gehören, bleiben mir verborgen, ich komme nur bis zum Buchsbaum neben der schön geschwungenen Steintreppe. In meiner Vorstellung jedoch leben hier Menschen, die in diesem Augenblick geschützt vor Nässe und Nebel in Frieden ihre Suppe löffeln oder Spaghetti um die Gabel wickeln. Kinder berichten, was sie in der Schule erlebt haben, ein krank geschriebener Arbeiter – es ist nur eine Erkältung – schlägt die Zeitung auf, der Herr mit dem weißen Haar erwähnt bei seiner Frau den Anruf der Schwiegertochter, das Enkelchen wird später bei ihnen sein.

Sie alle füllen den Nachmittag mit denselben Beschäftigungen wie jeden Tag: Hausarbeiten, ein Spaziergang, Kreuzworträtsel, fernsehen, vielleicht ein Besuch. Heute schon wissen sie, was morgen ist und übermorgen und jeden Tag. Alles geht seinen Gang. Alles ist, wie es sein muss.