Schlagwort-Archive: Frühling

Noch eine Art News-Update!

Verklärtes Häusermeer

Mitten auf dem Platz,
wo die Kinder lärmen,
bleib ich stehn.

Jungens,
die sich um eine Murmel zanken,
ein kleines Mädchen, das Reifen spielt

Herr Gott, Frühling!

Und nichts, nichts hab ich gesehn!

Aus allen Büschen
brechen ja schon die Knospen!

Arno Holz


Bild: (c) Anhora

Frühling am Bodensee

Wenn der Frühling grüßt,
dann hüpft das Herz vor Freude.

(Sinnspruch aus Irland)

 

Blütenfest

Die ersten Kirschbäume blühen! Sofort denkt man an zarte japanische Pinselstriche, Haikus und andere Kunstwerke, die seit jeher diesen Frühlingszauber einfangen.

Moderne Kirschbäume haben allerdings etwas von ihrer Magie verloren. Um den Bodensee herum gibt es zahllose Plantagen, in denen nicht nur Bienen die köstlichen Früchte ermöglichen, sondern auch viel Technik.

Der fertigen Kirsche merkt man das später nicht an. Sie ist süß und saftig, so wie mans haben will.

 

 

Brückentag

„Die Menschen bauen zu viele Mauern und zu wenig Brücken.“
Isaac Newton

(Heute bei einer Wanderung in und um Eriskirch)

Heute in Bregenz

Frühlingswetter! Ein bisschen wenigstens. Warm wars nicht, aber sonnig. Also raus, an den Bodensee, nach Bregenz, wo auch die Möwen aufgeregt herumflatterten. Irgendjemand fütterte, vielleicht waren es die ersten Extrakrümel für sie in diesem Jahr.bregenz-2017-03-4

Wir spazieren auf die Seebühne zu, die größte Seebühne der Welt übrigens.

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Hier ist nicht die Fischerin vom Bodensee am Ertrinken, sondern es ist der Bühnenaufbau für die diesjährigen Freilicht-Aufführung der Bregenzer Festspiele. Dabei wird im Sommer im Zweijahresrhythmus immer wieder eine andere Oper aufgeführt. In diesem Jahr ist es „Carmen“ von Bizet.

bregenz-2017-03-49
Wen’s interessiert:
Flug über die Opernkulisse der Bregenzer Festspiele

 

bregenz-2017-03-56-kopieZeigt her eure Beine!
Auf der Rückseite der Seebühne befindet sich ein großer Platz. Im Sommer sind hier schöne Wasserspiele zu sehen und es hat dann viele Leute. Im Winter ist es fast leer, und diese Skulptur steht auch auf dem Trockenen.

bregenz-2017-03-63Installation im Atrium des Vorarlberg-Museums. Darauf bin ich durch Deine Christine aufmerksam geworden, danke dafür!

Soziale Skulptur – Aufbruch ins Ungewisse (Ines Agostinelli)

bregenz-2017-03-61-kopie

Der Künstlerin hat diese Ballons mit Menschen aus vielen Ländern angefertigt als Symbol dafür, dass Flüchtlinge ins Ungewisse aufbrechen, ohne den Weg bestimmen zu können, mit unbekanntem Ziel.

Christine hat auf ihrem Blog ergänzt, dass auch Krankheiten solche Reisen sein können. Ich persönlich würde noch das Altern hinzufügen, wahrscheinlich gibt es vieles mehr. Eine symbolträchtige Sache also, die Impulse gibt und mir sehr gefallen hat.

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Und was habt ihr gemacht heute?

Auferstehung

ihr fragt
wie ist
die auferstehung der toten?
ich weiß es nicht

ihr fragt
wann ist
die auferstehung der toten?
ich weiß es nicht

ihr fragt
gibt’s
eine auferstehung der toten?
ich weiß es nicht

ihr fragt
gibt’s keine auferstehung der toten?
ich weiß es nicht

ich weiß
nur
wonach ihr nicht fragt:
die auferstehung derer die leben

ich weiß
nur
wozu Er uns ruft:
zur auferstehung heute und jetzt

kurt marti
(Schweizer Pfarrer und Schriftsteller)

 

Florentiner_Dom_innen (3)

 

Mai-Rondell

In der Pfanne brutzelt ein Bärlauch-Omelette
es duftet nach Knoblauch und Mai
Ich koste frisches Rhabarberkompott
In der Pfanne brutzelt ein Bärlauch-Omelette
Radieschen sind im Gemüsefach
Ein Fliederstrauß steht auf dem Tisch
In der Pfanne brutzelt ein Bärlauch-Omelette
es duftet nach Knoblauch und Mai


Das Rondell – für kreative Köpfe

Ein Rondell besteht aus 8 Verszeilen.
Die Zeilen 1, 4 und 7 sind identisch.
Die Zeilen 2 bzw. 8 sind ebenfalls identisch, sie sind eine Fortführung der 1. bzw. 7. Zeile, wenn möglich als Nebensatz.
Alle anderen Verszeilen, also 3, 5 und 6, sind weitere Gedanken zum Thema des Gedichts und frei wählbar. Also:

Titel des Rondells
Zeile A
Zeile B
Zeile C
Zeile A
Zeile D
Zeile E
Zeile A
Zeile B

Und was soll das Ganze? Gedichte wie Rondelle, Elfchen und dergleichen dienen der Kreativitätsförderung, denn bei den Verszeilen spielen Länge, Rhythmus, Hebungen, Reim usw. keine Rolle. Es geht nur um die Einfälle zu einem bestimmten Thema, danach kann die Wirkung des Gedichts betrachtet oder als Inspiration genutzt werden. Oder auch nicht. In erster Linie geht es um das Schreiben. Der Aufbau des Rondells ist nicht streng, es gibt verschiedene Varianten. Gemeinsam ist jedoch allen, dass Zeilen wiederholt werden.

Mehr dazu
 
Abb.: (c) sarang

April

Featured image

Zwei verliebte Apfelblüten
sah‘n ein Kind beim Ziegenhüten
pflück‘ uns, baten sie es fein
woll’n so gern beisammen sein

 
 


Klapphornvers – Das kleine Scherzgedicht

Diese Gedichtform besteht aus vier Zeilen mit je vier oder drei Hebungen im jambischen Takt. Meist geht es um zwei Personen, Tiere, Pflanzen oder auch unbelebte Objekte, an denen etwas Ungewöhnliches spaßhaft beschrieben werden kann.

Mehr darüber

Abb.: (c) Sylvia W.

Märzvögel

Die Krähen sind zurück.
Nicht dass sie fort waren,
aber ich hatte sie nicht mehr gehört.
Nicht dass sie verstummt waren,
aber die Fenster blieben zu.
Heute lasse ich viel Luft herein
und Sonne, und höre ein raues Krächzen.
Als ich nach draußen seh, flattern
fünf schwarze Vögel über die Dächer
der Reihenhäuser gegenüber.
Sie unterhalten sich aufgeregt,
als wäre etwas passiert.
Stimmt ja auch.
Es ist der erste Frühlingstag.

MySchneeglöckchen

Ich hab die ersten Schneeglöckchen entdeckt. Im Supermarkt. Sie hatten sich sicher was anderes ausgedacht als in einem Stahlregal zur Welt zu kommen, aber es gehört zum Wesen jeder Geburt, nicht zu wissen wohin man kommt. Einer Schneeglöckchenzwiebel geht es nicht anders und sie wird sicher unruhig, wenn sie den jährlichen Trieb nach oben schickt. Sie weiß ja nicht, was über ihr ist, man sieht doch nix. Was in diesem Jahr ein flauschiges Gärtner-Beet ist, kann im nächsten ein Plastiktopf bei Netto sein. Oder die Zwiebel hat schon viele Frühlinge gesehen, aber niemand hat sie aus dem Schatten neben dem Parkplatz geholt.

Zerschrumpelt ist sie auch schon, ob das noch zum Blühen reicht? Sie könnte sich in ihre kleine Erdblase schmiegen und nichts wachsen lassen. Sie könnte beschaulichen Zwiebelträumen nachhängen und kein Kinderfuß fetzte ihr Laub nieder, keine Mauer stünde im Licht. Wenn es dort oben nur Frühlingswärme, Himmelblau und Bienengesumm gäbe, ja, das wäre etwas anderes. Aber man weiß nicht, was kommt.

Wenn ich eine Schneeglöckchenzwiebel wäre, ich glaube – ich würde es trotzdem wagen. Ich würde treiben. Schräg zur Sonne hin. Mut ist, wenn man’s trotzdem macht, ich würde südliche Knollen bilden. Ich wäre eine Wanderzwiebel.

Lichtspiele

Morgens schauen die Stiefmütterchen aus ihren Pflanzkästen zum Fenster herein. Das kommt daher, dass der Balkon nach Westen liegt, und in der Früh drehen sie sich nach Osten um zu sehen, ob die Sonne schon da ist. Da sitzen dann wir, beim Frühstück, und ich freu mich immer an den neugierigen Blicken aus weiß-violetten Blütenhäubchen.

Nachmittags sieht man von der Wohnung aus nurmehr die weißen Rücken im Frühlingswind zittern. Die violetten Stieftöchterchen schauen ins Licht, das jetzt von Westen kommt.

Die machen’s richtig.

 

 

Märzwärts

Ich schaue aus den Fenstern des langen Gangs auf den Innenhof hinunter, vier Mandelbäume haben dort ihre Blüten aufgehen lassen. Wie rosarote Wolken schweben sie über ein paar Narzissen, wir haben Glück in diesem Jahr, der März war warm. Ich habe die Wohnungstür meiner Mutter erreicht, setze die Einkaufstaschen ab und schließe auf, während sie mir in kleinen Schritten folgt. Ihr Fingerring schleift über die hölzernen Haltestange an der Wand, das Freitagsgeräusch.

Als ich später nach Hause fahre, vorbei an Gärten mit Forsytien, die mit den frühjährlichen zitronengelben Explosionen beschäftigt sind, fühle ich mich wacher als sonst, anwesender. Ich glaube die Dauerläufe tun mir gut. Jeden zweiten Tag kämpfe ich mich den Hang hinauf durch den Wald und die Trägheit weicht endlich, Mumm ist in meinen Körper zurück gekehrt. Ein bisschen jedenfalls. Es ist lange her, seit ich Kraft in mir spürte, doch gerade eben war da was.

Am Wegrand

Die schweren Planen auf den langen Reihen angehäufter Erde werden gerade zurückgeschlagen, als ich am frühen Morgen vorbeiradle. Aus den Hügeln blinzeln vereinzelt weiße Spitzen. Spargelspitzen. Arbeiter schlagen überkreuzt auf ihre Oberarme, um sich zu wärmen, und fangen dann an, die bleichen Triebe aus dem Boden zu stechen.

Als nächstes kommen die Erdbeerfelder. Auch auf ihnen glitzern Plastikfolien in der frühen Sonne, dünn wie Seide. Wenn der Wind drüber bläst, entstehen Wellen wie auf einem See. Ein Erdbeerfeldsee.

Und schließlich, kurz vor der Ankunft in der Firma, die fetten Wiesen. Hierher ist der Storch zum Frühstück gekommen. Seine Frau blieb im Nest, die Eier wärmen. Ihr Mann wird ihr etwas bringen. Country McSchneck oder so.

Wurmlos glücklich

Wenn man weiß, welche Insekten in welchem Entwicklungsstadium zu welcher Tageszeit über welchem Fluss oder See flirren, dann hat man Chancen. Man muss die Viecher natürlich auch nachbasteln können, aus Tierhaaren oder Ähnlichem. Dann gehören sie an einem messerscharfen Haken befestigt und beides zusammen an einer Schnur. Weiters muss man eine Technik beherrschen, mit der diese Fliege oder was es eben ist nun über die Oberfläche eines Gewässers geworfen wird, und man muss stundenlang im Wasser stehen wollen. Solange, bis ein Fisch nach der immer wieder ausgeworfenen Imitation einer Beute schnappt. Wenn man das alles vorweisen kann, hat man Talent zum Fliegenfischen. Ein paar hundert Euro im Jahr für die Angellizenz ist freilich auch eine Voraussetzung, oder ein Freund, von dem man zu einem solchen Angelerlebnis eingeladen wird. Wir haben einen solchen Freund.

So ließ ich mich gestern in einen Campingstuhl sinken in der sonnigen Abgeschiedenheit eines Flussufers, an das sich kaum jemand verirrt um diese Jahreszeit. Man hört nur Vogelgezwitscher und den Fluss. Ich beobachtete den Lichterregen, der durch das junge Laub der Bäume an den Böschungen auf das Wasser fiel, und die Männer, die darin standen in olivefarbenen Neoprenhosen.

Mehrere Forellen zogen sie im Lauf des Nachmittags heraus, und zwei davon grillten wir über einem Feuer gleich am Strand. Gar geworden legten wir sie auf ein Bett aus Tannenzweigen und zupften das Fleisch heraus. Es schmeckte nach sauberem Wasser, nach der Freiheit, in der die Tiere gelebt hatten, nach Sonne, nach Frühling, saftig und zart. Wir aßen sie mit den Fingern. Mit Pfeffer und Salz und einem Stück Brot. Sonst nichts. Der beste Fisch, den ich bis dahin vielleicht gegessen hatte.

 

Frühlingsflört

Wir sitzen in einem kleinen Cafe in der Fußgängerzone, einer der ersten warmen Frühlingsnachmittage. Menschen bummeln vorbei, strecken ihr Gesicht in die Sonne, wollen mehr abbekommen.

Nicht weit von uns hockt eine Punkerin auf dem Boden. Immer wieder beugt ein Passant sich zu ihr nieder und will Geld in den Plastikbecher werfen. Sie aber streckt jedes Mal rasch ihre Hand aus, nimmt die Münzen selbst in Empfang, eine kurze Berührung, sie spricht mit den heute spendablen Menschen und schenkt ihnen ein hinreißendes Lächeln.

Von der andern Seite nähert sich ein Mann, groß, kräftig, vielleicht um die Fünfzig. Er schiebt ein Fahrrad durch die Menschen, es ist mit Plakaten und Tafeln so voll dekoriert, dass er nicht mehr darauf sitzen kann. Vernehmlich und mit einem Leuchten im Gesicht singt er von Jesus und unserer himmlischen Rettung. Mit nach oben gerichtetem Blick schlendert an uns vorbei, braun gebrannt wie ein Gärtner, und verteilt Flyer.

Gegenüber an der Häuserecke wartet eine alte Dame. Elegant gekleidet ganz in Weiß wie die Frau aus der Raffaelo-Werbung steht sie da und es kommt niemand. Mit grell geschminkten Lippen zieht sie an einer Zigarette und wundert sich vielleicht einmal mehr, dass kein Mann um ihre Aufmerksamkeit wirbt. Sie ist zu schön für all die Dutzendgesichter, mag sie sich heute denken. Der Besondere, der, für den sie sich seit langem bewahrt und für den sie sich zurecht macht, falls er ihr begegnen sollte, muss heute wohl arbeiten.

Ich rühre meinen Kaffee um und blinzle zum Liebsten, der nicht müde wird, mir all diese Sonderlinge zu schildern, als wäre ich blind.

Wie grau wäre unser Leben ohne Frühlingstage, wie leer ohne diese Menschen?

Der Duft von draußen

In ihrem Bett lag sie wie aufgepumpt. Ein prall gefüllter Sack in der Form eines Menschen, von dem Arme und Beine abstanden. Medikamente hatten ihre Glieder anschwellen lassen, sie ließen sich kaum mehr bewegen, rot glänzte die Haut darüber. Aufgebrochen nässte sie in den Beugen und unter der Brust, es tat weh.

Sie wünschte sich zu schweben. Wie ein Ballon würde sie dieses Zimmer verlassen und hinaus gleiten ins Freie, um am blauen Frühlingshimmel den Vögeln nachzuschauen. Der Wind würde ihr Haar streicheln, die Haut trocknen, Schmerzen und Furcht würden fortgeweht. Über die Menschen, die unten im Park zusammenliefen und verdutzt nach oben blickten, würde sie lachen, sich auf den Rücken drehen und in der Sonne wärmen. Später würde sie einsame Bahnen um die hohen Bäume ziehen, ihr Leib würde mit jeder Runde weicher und leichter.

Eine Schwester war ins Zimmer gekommen und bereitete die nächste Infusion vor. „Wie geht es dir heute?“ fragte sie die Metallhalterung, in die sie gerade einen Beutel einhängte. Sie prüfte den Schlauch und schien zufrieden. „Ich hab noch ein bisschen zu tun, wir machen das nachher, ja?“ rief sie und fing an, etwas auf ein Blatt zu schreiben. Das Bett des Mädchens war vor das Fenster gebracht und das Kopfende höher gestellt worden. Erheben konnte sie sich nicht, doch sah sie die Kronen der Kastanienbäume, riesig ragten sie in den Himmel hinein. Laub schimmerte hellgrün, sein Duft nach Wachsen drang ins Zimmer und wollte das Kranksein dort verscheuchen. So war es recht. Bäume, Blüten, Vogelnester – es war ein Aufgehen und Schwellen nach allen Seiten. Sie atmete das Leben ein, das sich draußen entlud und in ihrer Brust wurde es warm. Etwas schaffte sich Platz, strömte in alle Richtungen und fing an, das Böse in ihrem Körper abzutragen. Sie schloss die Augen, atmete ein und hielt diesen Augenblick fest.

Still lag sie da und lächelte, als die Schwester aufsah. Diese schob nun die Akten zusammen, trat zum Fenster und brachte das Bett behutsam auf seinen Platz zurück. Dort öffnete sie das Hemd über dem unförmigen Körper und schloss den feinen Katheter, der über der Brust aus der Haut ragte, an den Infusionsschlauch an. Eine Zeitlang wartete sie und betrachtete das Gesicht der kleinen Patientin. Noch am Morgen waren Erschöpfung und Mutlosigkeit darin zu sehen gewesen, nun schien es einen Entschluss gefasst zu haben. Nach den letzten Tagen des Zerfallens war das ein großartiger Anblick. Sie zog die Decke etwas hoch, strich ihr eine Haarsträhne aus der Stirn und sagte: „Schlaf ein bisschen“, bevor sie aus dem Zimmer ging. Das Fenster blieb offen.

Lange Stunden

Im Storchennest tut sich nicht viel. Manchmal steht einer der Vögel darin, meistens schaut nur etwas Weißes hinter dem Rand aus Zweigen hervor. Es gehört zu dem Storch, der auf dem Gelege kauert. Der andere watet durch nasses Gras und jagt Mäuse oder Frösche, beim Mittagsspaziergang sehe ich ihn manchmal.

Vom Brütenden erkennt man nur das Gefieder. Kein Kopf reckt sich hoch und erforscht die Straße, kein neugieriges Storchenaugenpaar späht über Häuser hinweg, kein Schnabel klappert. Träge dehnt sich der Vogel über den Eiern und ich frage mich: wie lange schon. Eine Stunde? Zwei? Sechs? Wir mit unseren überdrehten Gehirnen können uns nicht vorstellen, untätig zu verharren. Menschen in Pflegeheimen vielleicht. Demenzkranke. Oder der Herr in Loriot’s Cartoon. „Möchtest du nicht spazieren gehn?“ „Nein. Ich möchte nur hier sitzen.“

Stunden. Tage. Wochen. Etwa einen Monat lang wechseln die Eltern sich ab mit dem Warmhalten der Eier. Was nehmen sie wahr während langer Nachmittagsstunden? Es tun doch mal die Glieder weh. Die Knochen. Der Hintern. Macht ein Storch sich Gedanken, ob er bald ausfliegen darf? Träumt er von Würmern und fetten Wiesen? Wie lang ist eine Storchenstunde?

Ich könnte das nicht. Ich meine, nichts zu tun. Nie hört mein Hirn auf zu suchen, zu fragen, Beschlüsse zu fassen und Dinge voranzutreiben. Ohne Nahrung schlägt es Purzelbäume. Wie machen die Störche das?

Vielleicht schlafen sie einfach.

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Loriot – Hier sitzen

 

Ausblicke

Vor ein paar Tagen stand ich am Kopierer und beobachtete wie immer  durchs Fenster den Strommasten draußen. Ich wollte wissen, was unser Storchenpärchen tut. Mal stehen beide Vögel oben auf ihrem Lager aus Zweigen, mal nur einer von ihnen, mal keiner. Was ich diesmal sah, war jedoch so ungeheuerlich, dass ich es kaum glauben mochte: Ein Riesenvogel besetzte das Nest! Mit ausgebreiteten Flügeln zappelte dort ein weißes Ungetüm prähistorischen Ausmaßes.

Ich vergaß die Kopien und trat zum Fenster, um besser zu sehn, was da vor sich ging. Es war natürlich keine Überraschung, was ich entdeckte, und ich lachte. Ist es nicht Frühling? Unser Storch versuchte gerade, sich auf die Störchin zu setzen, und die Beine von Adebar sind lang, aber nicht so lang. Also musste er ohne festes Nest unter den Füßen mit Flügelhilfe seine Position auf der Dame halten. Wie ein Schwimmer, der im Wasser auf der Stelle hampelt. Die Spannweite von Storchenflügeln kommt auf bis zu zwei Metern, und von weitem erschienen die beiden Körper wie ein einziger.  Als ich zum Fenster hinausgeblickt hatte, sah es deshalb aus, als steige ein gewaltiger Phönix aus der Asche. Besser gesagt aus dem Strommast.

Nun, wir können uns denken, wie es mit unseren ganz normal gebauten Störchen dort oben weiter geht!