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Diagnoseeffekt

Heute Morgen beim Doktor. Ich will endlich wissen, warum mir immer ein bisschen eng ist im Brustkorb. Nicht schlimm, und während meiner erst wenige Monate zurückliegenden Raucherzeit ignorierte ich es einfach, die Ursache war ja klar. Nur als es ohne Zigaretten nicht aufhörte, wunderte ich mich. Lässt du mal nachschauen, dachte ich also, und wurde beim Lungenfacharzt vorstellig.

Über zwei Stunden lang wurden Untersuchungen mit mir angestellt, um eingehend Anatomie und Funktion meiner Atmungsorgane zu betrachten: Röntgenaufnahmen, Belastungstests, Lungenfunktionstests, Bluttests und Bronchienprovokationstests oder wie das heißt. Man fühlt sich hinterher wie ein umgestülpter Handschuh, und all das wegen eines leichten Drückens im Brustkorb.

Jetzt weiß ich: Es kommt nicht vom Rauchen, wenngleich es dadurch natürlich nicht gerade besser wurde. Aber die Diagnose ist eine andere: Ich habe Asthma, und zwar schon seit Jahren.

Nun merke ich es auch: Ich kann plötzlich nicht tief einatmen, es tut ein bisschen weh beim Ausatmen und mein Brustkorb zieht sich zusammen. Überhaupt fühle ich mich so, wie man sich bei mangelnder Sauerstoffzufuhr eben fühlt: krank. Ich hole Kortisonspray und Notfallspray aus der Apotheke, fahre nach Hause, setze mich hin, lese die Gebrauchsanleitung und höre dem geliebten Briten zu, der nun detailliert meine nächtlichen Hustenattacken schildert einschließlich schaurigen Vorführungen des Keuchens und Röchelns, das ich dabei angeblich von mir gebe. Davon weiß ich nichts, aber es passt zur Symptomatik und vervollständigt das Bild: Ich bin ein armes, asthmatisches Tröpfchen.

Das Gute daran: Es wurde kein Tumor oder sonst etwas Schreckliches gefunden, und das war im Hintergrund immer meine klitzekleine Befürchtung gewesen. Also positiv denken und inhalieren, sage ich mir. Beides hilft.

Etappensieg

Hallo Nachbarn, seht ihr, wie ich nicht draußen steh? Seht ihr, wie ich nicht rauche? Vier Wochen habe ich es heute geschafft. Es ist immer noch ein Suchen nach Trost spendenden Alternativen, die nicht aus Essen oder Alkohol bestehen, viel bleibt da nicht. Nur meine Fantasie. Wenn ihr wüsstet, was für einen unsäglichen Mist ich derzeit in mein kleines Fahrtenbuch schreibe. Da geht es um das Entfliehen von einer Insel mit giftigen Dämpfen, angeketteten Kreaturen und hohen Steuern, aber auch um ein kleines Boot auf dem glitzerblauen, sauberen Meer der unendlichen Freiheit, in dem ich gegen heulende Stürme, üble Wellen und gefährliche Strömungen kämpfe. In dem ich aber auch immer häufiger blühende Inseln finde mit gesunden, lachenden Menschen, die mühelos Fußball spielen oder einen Hügel hinaufrennen können. Wenn ich sowas von jemand anderem lesen müsste, würde ich es anzünden, als Brandbeschleuniger bei der nächsten Grillparty zum Beispiel.

Aber es funktioniert. Es sind Szenen, die sich tief in mir drinnen abspielen, starke Bilder gegen schwache Momente. Ich habe seither keine Zigaretten mehr angerührt und sie fehlen mir (fast) nicht. Ein paar dieser hanebüchenen Geschichten brauche ich aber noch. Zum Glück liest das keiner.

Hirnformationen

Frust vergeht am sichersten durch kleine Belohnungen. Sie können auch groß sein, aber das ist keine Bedingung. Meist genügt eine Zigarette, ein Schokoriegel oder ein Glas Wein, denn sie bewirken alle das Gleiche: ein paar Minuten lang verkriechen wir uns in uns selbst. Wir vergessen das lästige Drumherum und wenden uns nur dem zu, was wir gerade tun, sind ganz bei uns selbst. So ist es jedenfalls bei mir.

Beliebt sind solche Mittel vor allem deshalb, weil der Effekt nach Belieben herbeigeführt werden kann und auch wird, immer häufiger sogar. Zu den ursprünglichen Auslösern in Form von mehr oder minder ausgeprägten Widrigkeiten des Lebens kommt mit der Zeit nämlich Atemnot, Übergewicht oder Kopfschmerzen dazu und damit weiterer Frust.

Gegen Niedergeschlagenheit und schlechte Laune wirkt natürlich auch der Anblick einer aufgeblühten Apfelblüte, das ausgelassene Lachen junger Leute auf der Straße oder der zwiebelige Duft eines Bärlauchsouffles. All das lässt sich aber nicht nach Bedarf herholen und setzt überdies eine gewisse Empfänglichkeit voraus. Man kann sich also nicht ordentlich konditionieren.

Sind die Gehirne von Genussmittel-Abhängigen denn anders? Brauchen wir mehr Endorphine? Ist ein Leben ohne diese Kicks nicht unfassbar flach und lustlos? Was machen Nichtraucher, Ernährungsbewusste, Anti-Alkoholiker nach einem aufreibenden Arbeitstag, einem Streit oder einem traurigen Ereignis?
Was macht ihr?

Fragt sich und euch Anhora,
seit neun Tagen Nichtraucherin.

 

Apfelblüte
(c) Sylvia W.

(Gute-)Nacht-Geschichte

Während der Fahrt konnte ich nicht sprechen. Ich saß auf dem Beifahrersitz eines Porsche, draußen schossen Lichter vorbei und ich fragte mich, wieso keine Tränen kamen. Es war fast, als wäre nichts geschehen. Dann stiegen wir aus, betraten das Gotteshaus, inmitten von Blumen und Kränzen, schmal, kostbar, weiß eingebettet wie in einem Karton lag er da. Ich berührte die Wange, Haut wie Papier, nun wurde es ernst. Der Abschied kam und ich begann mit dem Weinen, schluchzte, als befände ich mich in einem Theaterstück und müsse auch in den hinteren Plätzen noch vernehmbar sein. Die Kirche war gut gefüllt, sollten die Gottesdienstbesucher mich ruhig hören.

In der zweiten Reihe entdeckte ich einen freien Platz und warf meine Tasche in die Lücke, damit niemand anders kam. Vorne zu sitzen stand mir wohl zu bei dem Schmerz. Ich zwängte mich umständlich an ein paar Leuten vorbei, sank auf die Bank und plärrte weiter. Die Trauerfeier sollte jeden Moment beginnen. Ich zog ein Taschentuch aus dem Ärmel und putzte meine Nase so laut, dass die Frau neben mir erschrak. Ich schaute angelegentlich nach vorne, am Altar tat sich nichts, wir warteten auf den Priester und ich dachte: „Nachher geh ich aber eine rauchen.“

Nein nein. Niemand ist gestorben. Nur heute Nacht in meinen Träumen schuf sich mein Unterbewusstsein einen absurden Grund, um wieder an eine Zigarette zu kommen. Heute bin ich seit vier Wochen Nichtraucherin. Tolle Leistung, finde ich. 😉

Schwere Zeiten

Ist es nicht genug, das Rauchen aufzugeben? Aber nein, eine finstere Macht hat es darauf abgesehen, uns armen Würmchen auch sonst jede Freude fortzunehmen und daher mit Absicht die Anzeige der Personenwaage nach oben springen lassen. Der Geschwächte muss nun nach dem Nikotinentzug auch noch mit dem Schlecken aufhören. Oder mit Kartoffelchips, dem Nachschlag der Kässpätzle oder was sich sonst als Ersatz für psychische Stabilisierung in den Mund schieben lässt. Dabei stimmt es gar nicht, dass ich mehr esse. Vielleicht glegentlich ein Kitkat Chunky oder ein Bounty, von mir aus, na gut jeden Tag ein Riegel. Und? Ist es ein Verbrechen? Soll es nichts mehr geben zum Aufheitern den lieben langen Tag? Eben. Und bis vor kurzem hätte das mein Gewicht auch unbeeindruckt gelassen.

Ich glaube, mir fehlt Adrenalin. Nikotin sorgt bestimmt für Stress im Körper, jedenfalls wurde ich immer ein bisschen hibbelig nach dem Rauchen und wenn ichs mir recht überlege: vor dem Rauchen auch. So kam es vielleicht, dass Kalorien in meiner aufgewühlten Blutbahn immerzu weiter gestrudelt wurden und wenig Chancen zum Ansetzen hatten. Aber jetzt – schwappen sie träg auf meine Hüften, legen sich schlafen und wollen nie wieder weg.  Bestimmt werden Kalorien, die in feine Ritzen und Falten gespült und vom reißenden Strom vergessen worden waren, nun von den friedlichen Bächlein in meinen Blutgefäßen aufgespürt und eingesammelt und zu all den andern Speckgewordenen auf die Hüften bugsiert. So lege ich an Gewicht zu, auch wenn ich gar nichts esse. Wenn ich an Gulasch nur denke. Oder an Bratkartoffeln. Wahrscheinlich nehme ich jetzt, da ich diesen Artikel verfasse, gerade ein halbes Pfund zu. Drum hör ich jetzt auf.

Die weiteren Aussichten: Wolkenlos

Auf dem Weg zum Supermarkt stehe ich an einer Ampel, die Straße verläuft mehrspurig. Neben mir hält ein roter Golf. Sein Fenster ist ein Stück heruntergelassen trotz starrem Frost, der Häuser und Bäume dick eingezuckert hat. Ein Mann um die Vierzig sitzt am Steuer des Wagens und zieht an einer Zigarette. Ja und? Denkt er sich wohl oder denkt sich gar nichts, Winterluft ist nun einmal kalt. Und wer die Qualmwolke im Fahrzeug nicht einschließen und sich tränenden Augen holen will, muss offene Fenster ertragen.

Die Ampel springt auf Grün, der Mann neben mir fährt an und ich überlege, ob ich ihn beneide. Überall sehe ich diese Menschen und unterstelle ihnen, dass sie sich um nichts Gedanken machen, sondern einfach an ihren Zigaretten nuckeln und dann denke ich: Wieso können die das und ich nicht? Immer begleiteten mich Selbstvorwürfe. Die Gesundheit, das Geld, und überhaupt. Lustvolles Rauchen funktioniert nur dann, wenn es schmeckt, der Gesundheit nicht schadet und das Geld egal ist, also ab dem zweiten oder dritten Glas Wein. Ansonsten bleibt es ein Traum.

Jedenfalls hab ichs warm in meinem Auto und es stinkt nichts außer die Heizung ein bisschen. In dem Alter darf sie das.

Zweieinhalb Wochen – ich bin frei!

Neues aus der Nichtraucherzone

Zwei Wochen geschafft. Es ist, als wäre ein Schalter umgelegt, ich wünsche mir keine Zigaretten mehr. Was ich mir wünsche, ist immer noch ein Ersatz für die Verschnaufpausen.  Auf jede einzelne hatte ich mich gefreut, und das war natürlich die Sucht. Ich litt ja auch, wenn diese Halbzeiten verhindert wurden, oder wenn ich auf dem Balkon draußen fror, oder wenn beißendes Lucky Strike Aroma hinter mir her stank. Trotzdem. Die Gier war groß genug, dass ich auch oder gerade im größten Stress eine Unterbrechung zuließ und für ein paar Minuten rausging: Dampf ablassen, im buchstäblichen Sinn, praktisch auf Knopfdruck. Nichts anderes ist stark genug, dass man sich vom überfüllten Schreibtisch erheben würde, da mögen Jojo, Sudoku und Schaukel noch so verlocken. Man vergisst es einfach im Trubel.

Pausenfüller

Als ehemalige Stressraucherin bin ich an viele kleinen Pausen gewöhnt. Die frischgebackene Nichtraucherin, die hier schreibt, will darauf nicht verzichten, doch womit nun die Tageslücken füllen? Nein, nicht Yoga, Fachzeitschriften lesen oder sonstwas Vernünftiges und Gesundes. Lieber was Unnützes. Etwas, das nur dem einen Zweck dient, Spaß zu machen. Was könnte mich also ablenken? Es ist nicht so leicht zu beantworten wie eine Zigarette anzuzünden. Da fühlt es sich – kaum dass der Nikotinnachschub in die Gänge kommt – augenblicklich angenehm an innendrin, wie der Einschaltknopf des Fernsehers: Schnell, simpel,  Vorabendprogramm. Dazu gehört keine Beschäftigung mit mir. Das läuft von selbst.

Während ich mit den Fingern auf der Schreibtischplatte herumreibe – es will mir nichts Gescheites einfallen – stellt sich eine andere Frage:  Wieviel Zeit nehme ich mir, meine Wünsche aufzuspüren? Tiefer: Wieviel Zeit bin ich mir wert? Was bin ich mir wert? Ohgottle. Jetzt werd ich umgegraben von Gedanken, und  wollte doch nur Pausenfüller finden. Ein paar Minuten lang puzzeln zum Beispiel oder an einem Sudoku weiterknobeln. Aber da könnt ich nicht nach fünf Minuten wieder aufhören.

Den Volltreffer suche ich noch und bis dahin geh ich immer wieder ans Fenster und schau raus. Ein kleines Gemälde wär auch interessant, entstanden in zahlreichen 5-Minuten-Etäppchen. Ich bleib dran, soviel Zeit muss sein. Könnte auch Socken stricken, oder eine Mütze. Lacht nur! Irgendeine Schwäche braucht schließlich jeder.

Und überhaupt: 10 Tage rauchfrei! So kampflos gings noch nie, kann es mir selbst nicht erklären.

Mußeminuten

Nach einer Woche fing ich sonst meist schon an, von einer Zigarette zu träumen. Nur eine natürlich, und nur gelegentlich, die kleine Pause, ach, jetzt raus dürfen, schau! Vöglein hüpfen vorm Fenster umher, ein verirrter Sonnenstrahl lockt ins Freie, dürre Blättlein am Balkongesträuch winken … Nix. Diesmal nicht. Ich denk gar nicht dran.

Nichtraucher sind gesund, haben es warm, riechen sauber, sie achten auf sich, sie sind frei. Raucher sind selbstzerstörerisch. Diese Mantras hab ich mir alle auf dem Balkon ausgedacht, und hüpfende Vöglein oder gar Sonne hab ich da nicht entdeckt.

Zigarettenpausen bestehen aber nicht nur aus Zigaretten, sondern auch aus Pausen, und zwar aus ganz besonderen. Zum Druck bei der Arbeit zum Beispiel kam nämlich die Anspannung durch den niedrig gewordenen Nikotinspiegel. Ich zündete eine Zigarette an und tattaaa – beides fiel ab: die Belastung der Psyche und die Entzugserscheinung. Phantastisch. Und diese kostbaren Minuten gibt es jetzt nie mehr?

Doch. Ich unterbreche das, was mich gerade beschäftigt, auch weiterhin immer wieder. Sehe zum Fenster hinaus, (als Balkonraucher kriegt man ja einiges mit in der Nachbarschaft und man fragt sich, wie alles weitergeht), zupfe an Zimmerpflanzen herum, tu dies, tu das, setz mich wieder hin und arbeite weiter. Egal was es ist – es muss nur ablenken und man muss es ausgesprochen gerne tun. Sonst ist es ja keine richtige Pause.

Jetzt liegen acht Tage rauchfrei hinter mir und es fehlt nichts. Unglaublich.

Zwischenstand

Fast eine Woche nicht geraucht, und mir fehlt erstaunlich wenig. Hab wohl die richtigen Mantras diesmal, Raucher sind eben nicht cool, sondern selbstzerstörisch. Als wäre ein gesunder Körper belanglos und sie könnten mit ihm tun, was sie wollten. Können sie ja auch, jeder hat das Recht sich zu schaden, wenn ihm danach ist. Aber warum? Halten sich Raucher für nicht bedeutsam genug, um sich pfleglich zu behandeln? Oder strafen sie sich gar für etwas, tief innendrin?

So ein Quatsch! Selbstverständlich nehme ich mich wichtig, hätte ich vor kurzem noch protestiert. Man liest doch in Ratgebern aller Art: Auf die eigenen Bedürfnisse hören, in sich hinein horchen, nachgeben. Nichts leichter als das. Mit seufzendem Lächeln wird nach draußen geschlappt neben den Aschenbecher und einem Bedürfnis nachgegeben – das es ohne Rauchen gar nicht gäbe. Geben wirs zu, die wenigsten Zigaretten schmecken. Nikotin hebt uns nicht  in genussreichere Sphären, wir rauchen ja nicht zum Spaß. Wir winden uns damit nur aus einem engen Loch heraus zurück in den Normalzustand, den ein Nichtraucher nie verlässt.

Der Zeitpunkt zum Aufhören war gut gewählt. Ich blicke aus dem Fenster, wo ein enormer Sturm alles wegfegt und man muss Angst haben, von herumschießenden Gegenständen erschlagen zu werden. Ich wollte nicht draußen stehn heute!

Schlafsofa

Ich lehne in der Ecke der Ledercouch im Eingangsbereich, Leute gehen aus und ein. Ich schlage mein Buch auf, die Physiotherapie und Lympfhdrainage dauert etwa eine Stunde. Zu Hause liegt eine weitere Tüte mit Stahl- und Titanzeug drin, das befand sich vor kurzem noch im Bein meines Sohnes. Nach der letzten Operation ist sein Körper wieder metallfrei, und seither komme ich viel zum Lesen: Physiotherapie, Ergotherapie, Hausarzt, Orthopäde, ich kenne alle Wartezimmer. Der Junge kann noch nicht Auto fahren mit den frischen Wunden und starken Schmerzmitteln.

Während also sein Kniegelenk mobilisiert wird, komme ich nicht recht voran mit meinem Buch. Das freundliche Geplauder der Empfangsdame am Telefon oder die Geräusche aus dem Fitnessraum stören mich nicht. Aber das Radiogedudel im Hintergrund. Flaches Geschwätz, einfallslose Musik, ich versuche mich zu konzentrieren, aber – wie häufiger – die Sätze fangen an zu tanzen. Sie kippen nach hinten weg, ich ruckle auf dem Polster herum, kratze meinen Arm, richte mich auf, trotzdem fallen mir die Augen immer wieder zu. Ich habe Angst, dass es jemand bemerkt und vor allem, dass ich in der Tat einschlafe, zusammensacke womöglich oder schnarche, wie Mr. Bean in der Kirche. Meine Güte, sind das Herausforderungen …


 

Feierabend

Ich reihe Kerzen auf und gebe Dufttropfen in ein Gefäß. Licht aus. Als ob das Getöse des Tages vertrieben würde, wenn man nichts mehr sieht. Ich fummle am MP3-Player herum, der Kopfhörer knattert. Gerade will ich ihn in die Ecke werfen, da tut er. Ruhe jetzt. Hände. Meine Aufmerksamkeit richtet sich auf meine Hände. Ich balle sie zur Faust, halte die Spannung, halte und – lasse los. Ob das was bringt?

Ich baue mir einen Tempel zurecht im Gästezimmer. Statt tibetanischer Klangschalen und tiefer Selbstversenkung gibts Muskelentspannung nach Dr. Jacobsen, weil ich auf meiner Festplatte nichts anderes fand. Stück für Stück krampfe ich also den Körper zusammen und gebe nach, versuche weich zu werden, fließend. Es lenkt immerhin ab. Die Gedanken sind bei den Muskeln und nicht auf unbeaufsichtigten Ausflügen. Entspannung für Anfänger.

Samuel Koch wird langsam aufgeweckt

Auch ich falle der kollektiven Anteilnahme anheim, aus besonderem Grund. „Aus dem Koma zurückholen … etwa drei Tage“. Das sagten sie auch zu uns, vor eineinhalb Jahren. Etwa drei Tage dauere es, bis der Junge erwacht. Es wurden fünf. Dieser Albtraum, dieses Gelähmtsein, das Entsetzen – es lässt sich nicht beschreiben. Man taumelt von einer Stunde zur nächsten. Man denkt, das Kind wacht nicht mehr auf.

Unser ganzes Leben lang planen und organisieren wir. Wir entwerfen Zeitpläne, legen Abläufe fest und was nicht geht, planen wir neu. Aber damals, am Bett unseres Sohnes, da gab es nichts zu planen, ich wurde zu Stein. Wir warteten, dass er aufwacht. Wir warteten, dass er aufwacht, damit es uns besser geht, doch der Junge hatte seinen eigenen Zeitplan. Und er machte ihn ohne uns.

Ich weiß, was die Eltern von Samuel Koch jetzt aushalten müssen und was da noch kommt. Nichts wird mehr sein wie vorher.

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Egal, was das Leben bringt

Landet man nicht immer wieder in einem Zustand, der jedem eigen ist und eigen bleibt, selbst wenn das Leben Ping Pong spielt? Ein Lottogewinner etwa lebt ein Jahr nach der Geldflut so glücklich oder unglücklich wie zuvor, sagen Studien. Auch Rollstuhlfahrer sind ein Jahr nach dem Unglück, das sie lähmte, so bedrängt oder sorglos wie früher. Weil der Mensch und seine Veranlagungen sich kaum verändern.

Ich weiß nicht, ob das stimmt. Ein Cocktail aus Charaktereigenschaften bleibt wahrscheinlich immer gleich, aber wir haben doch schon gesehen, wie  zum Beispiel jemand in einer Ehe auftrat und später nach der Trennung. Wie manches Mäuschen wuchs und Katzen verjagte. Wer in ein anderes Leben stolpert, macht ungewohnte Erfahrungen, und es wachsen frische (oder alte, vergessene) Facetten in ihm. Ob ein Lottogewinn für solche Erneuerungen ausreicht? Ich persönlich glaube: ein Rollstuhlfahrer könnte da mehr Glück haben.

Tagesausklang

Rigips-Platten. Ich starre auf Rigips-Platten an der Zimmerdecke, darin zwei kreisrunde Bohrlöcher im Abstand von etwa einem Meter. Aus ihnen ragt jeweils eine kurze Metallstange:  eine davon zentrisch, wie es sich gehört, die andere drückt sich hart an den Rand ihres Lochs, das offenbar nicht korrekt ausgemessen worden war. Außer mir stört das wahrscheinlich keinen.

Die beiden Stangen gehören zu einer Konstruktion, die ein größeres Rechteck aus Metall an der Zimmerdecke bildet. An ihrem Ende – also zu meinen Füßen – hängen rote Seile herunter, auf dem Aufkleber an einer Kunststoffverkleidung darüber steht „STOP. Nicht auf dieser Seite trainieren.“ Das war auch nicht mein Plan. Eine Therapeutin drückt auf schmerzende Schultermuskeln, sie zieht und dehnt meinen Arm und ich muss nur daliegen und zur Decke starren, wo eine Stange nicht zentrisch aus dem für sie gefertigten Loch im Rigips ragt.

Heute hatte ich den ganzen Tag technische Übersetzungen auf dem Tisch. Gefährliche Filterköpfe mit zurückschlagenden Ventilen und andere Innereien von Automobilen, galvanische Elemente in Rundzellenform und Stahlrahmengestellen für Multimediaschränke. Dann, am Abend, liegt man bei der Krankengymnastik und macht sich Gedanken darüber, ob unzentrisch auf Englisch übersetzt werden kann. Und dass da jemand falsch abgemessen hat.

„Sie werden sehr glücklich sein.“

Die chilenischen Bergleute kurz vor ihrer Befreiung. Schon jetzt weiß der chilenische Psychologe Iturra, wie sie diesen Albtraum verarbeiten werden. „Sie werden sehr glücklich sein.“ Das finde ich interessant. In unseren Kulturkreisen weiß man viel über Traumasymptomatik und Traumabewältigung. Betroffene reagieren auf ein traumatisches Ereignis fast immer mit Hilflosigkeit, Erschrecken, Verunsicherung, damit einher gehen Veränderungen wie z. B. Übererregung, Schlafstörungen, Albträume, heißt es da.

„Sie sind dem Tod von der Schippe gesprungen. Was sollten sie jetzt noch befürchten, wovor Angst haben?“ heißt es in Chile.

Auch mein Sohn ist dem Tod von der Schippe gesprungen. Einen Frontalzusammenstoß von zwei Fahrzeugen bei hoher Geschwindigkeit überlebte er. Ich halte es mit dem chilenischen Psychologen, der offenbar mehr weiß. Es ist tatsächlich so: Der Junge ging gestärkt daraus hervor, selbstbewusster. Obwohl körperlich noch nicht wieder wie vorher, obwohl das nach wie vor brüchige Gedächtnis ihm die neue Ausbildung erschwert. Trotzdem ist er voller Kraft, er schaut nach vorne und lässt sich die Laune nicht verderben.

„In einem Jahr werden sie ein zufriedeneres Leben führen als vor dem Grubenunglück.“

Alles eine Sache der Einstellung?.

Spiegel online – zum Artikel

Nachts klappt es schon!

„Harmonie für Körper und Seele“. Das gibt’s im Supermarkt. Ich dachte mal, das schadet nicht und entschied mich aus einer Reihe von Teemischungen für „Innere Ruhe“. Die nahm ich mit ins Büro, und seither schlafe ich besser!  Nicht am Schreibtisch natürlich, sondern nachts im Bett. Ich werde nur noch selten wach und morgens schlafe ich bis zum Weckalarm. Kennt vielleicht der Eine oder Andere: Lange vor dem Aufstehen ist die Nacht vorbei, Hirnzellen schießen beim Gedanken an den Tag bereits scharf, der Weg zurück ins Schlummerland ist verstellt. Aber Melisse, Hopfen und süße Brombeerblätter sind stärker. Bald ruhe ich auch am Tag. Zumindest innerlich.
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„Einfach schön“ gibt’s auch als Teemischung. Aber die brauch ich nicht. Dafür hab ich ja meinen Flurspiegel. 🙂


Wiederherstellungsprogramm

Wochenlange  Anspannungen kann man in einer halben Stunde loswerden. Heute getestet. Nein, nicht mit Whisky oder Ramazotti, ich fand etwas Besseres. Jetzt sitze ich hier und mein Körper ist schwer. Der Rücken tut ein bisschen weh, die Muskeln haben sich aus der Verhärtung gelöst und fragen sich wohl, wie das kam. Vom Nacken her zieht es hoch in den Hinterkopf und auch dort wundert man sich. Auf einmal fließt es, nach all dem Stau schon sonderbar.

Ihr habt wohl erraten, was vor sich ging, es ist ja ganz einfach: Ich war heute bei einer Masseurin und sie hat aus Schultern und Rücken alles herausgewalkt, was  da nicht reingehört: den ganzen Kladderadatsch der letzten Zeit, eigentlich der von längerer Zeit. Keine Faser hat sie vergessen. Es war die vierte Massage in meinem Leben, und wenn ich drüber nachdenke, dann ist es gar nicht so schlecht. Die Muskeln entspannen sich, ob sie wollen oder nicht, und in einem entspannten Körper wohnt ein entspannter Geist. Ob er will oder nicht.

Jedenfalls geht’s mir gut. Und jetzt guck ich „Nachtcafe“.

Allen Lesern wünsche ich einen unverkrampften Abend!

1. August: Seit zwei Monaten frei!

Die Gier zu beherrschen, ist keine Kunst, wenn man ein paar Wochen lang nicht geraucht hat. Die Gier ist weg. Aber die Sucht nach sich-belohnen, sich-trösten, die Fünf gerade sein lassen – die schleicht viel langsamer aus. Fatal ist dann das, was viele Raucher kennen: „Ich habs geschafft Schluss zu machen damit. Eine einzige Zigarette ab und an schadet also nicht. Zum Beispiel jetzt?“

Das lohnt sich nicht, denn wer „Endlich Nichtraucher“ gelesen hat, weiß: der eigentliche Genuss ist nicht die Zigarette. Was richtig gut tut, ist das Lindern der Entzugserscheinungen seit der letzten Nikotinzufuhr. Da liegt der Schluss nahe, dass eine einzelne Zigarette dann gar nicht schmecken kann, was sich im Testfall auch immer bestätigt. Es ist allenfalls die dritte oder vierte, die den Erwartungen entspricht, wenn man also wieder drauf ist. Schnell genug geht das ja.

Man sucht besser nach anderen Quellen, sich etwas ganz Gutes zu tun, und – so doof es klingt – bei mir sind es die Radtouren ins Büro geworden. Täglich 10 km hin und 10 zurück. Es gibt so viel zu sehen und zu riechen und Gedankenanstöße, da hält keine Zigarette mit, und der Effekt hält eine ganze Weile vor.

Blöd nur, dass ich während des Tages nicht aussteigen kann. Da möcht ich schon manchmal davon radeln…

Fragen, die keine Antworten brauchen

Wie kann es sein, dass ich bei der Fahrt auf abschüssigem Weg manchmal in die Pedale getreten muss, während das Rad bergauf fast von selbst läuft? Richtig. Es kann nicht sein. Geht ja gar nicht. Es ist wohl so, dass unter bestimmten Bedingungen die Optik uns einen Streich spielt. Was aussieht, als gehe es leicht bergab, führt in Wirklichkeit leicht bergan und umgekehrt. Welche Merkmale zur Orientierung müssen fehlen, damit nicht unsere Augen erkennen, ob es rauf oder runter geht, sondern unsere Oberschenkel?

Außerdem bin ich noch nicht dahinter gekommen, woher an einer bestimmten Stelle meines Wegs zur Arbeit ein Duft strömt wie aus einem gewaltigen Blumenbouquet. Es stehen dort nur ein paar Bäume herum, und sie blühen nicht. Heute habe ich kurz angehalten. Es sind Linden, glaube ich, und im Laub verstecken sich kleine, grüne Fruchtstände. Oder sind das Blüten?

Nächste Frage: Warum erinnert mich ein bestimmter Luftzug an Wanderungen, die ich als 15jährige während eines Kuraufenthalts in Bayern unternahm? Ist es die feuchte Wärme wie in jenem verregneten Sommer? Der Geruch nasser Bäume? Oder der Wunsch, in diesem Augenblick hier sein zu wollen und nirgendwo anders, so wie damals?

Nur über solche Dinge denke ich nach, wenn ich morgens zur Arbeit radle und abends wieder heim. Und das ist sehr gut so.