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Fünf Wochen!

Ich vermisse sie noch immer, die kleinen Aufheller. Auch wenn es beim Rauchen um nichts anderes geht als um das Lindern von Entzugserscheinungen, von einer Zigarette zur nächsten. Es ist ein Gift, es ist eine Sucht, es ist aber auch so, dass beliebig oft und auf ganz einfache Weise ein starkes (zugegeben selbstgeschaffenes) Bedürfnis befriedigt wird. Vergleichbar damit, zu enge Schuhe auszuziehen und zu spüren, wie der Schmerz in den Füßen nachlässt. Aber jedes Mal wieder beschert es – wenige Minuten lang – ein paar glückliche Aufschnaufer.

Nein, ich werde nicht rückfällig. Ich habe Endlich Nichtraucher gelesen. (Guter Tipp, Maria!) Raucher tun mir Leid, und ich bin gottfroh, keiner mehr sein zu müssen. Nur womit ich diese behaglichen kleinen Unterbrechungen ersetzen könnte, ist mir noch nicht eingefallen. Schwierig, wenn so Manches um einen herum viel Kraft braucht.

Seit zwei Wochen in Freiheit

Ich bin gut. Ich bin stark. Ich habe zwei Wochen lang nicht geraucht. Momentaner Zustand: Wenn andere qualmen, möchte ich ihnen die Zigaretten aus der Hand reißen und mir selbst eine anzünden. Aber das sind ja Fantasien. Tatsächlich schaue ich nur zu oder besser gesagt schnell weg. Nachdem ich mir die zu erwartenden Schäden durch Nikotin lange genug ausgemalt und mir das Rauchen daher immer wieder verboten habe, scheinen Menschen mit der Fluppe zwischen den Lippen in aller Öffentlichkeit ohnehin sonderbar. Als ob das nix wär. Dürfen die das? Um ehrlich zu sein – fast beneide ich sie ein bisschen, denn sie denken nicht so viel nach. Sie rauchen einfach. Was war es noch, weswegen ich aufgehört hab? Ich weiß nicht mehr genau, habe es aber aufgeschrieben und gleich werd ich den Notizzettel heraus kramen. Immerhin erinnere ich mich, dass eine Menge drauf stand.

Auf jeden Fall schaff ich Jogging und Radtouren deutlich besser als noch vor zwei Wochen, und ich bin nicht mehr so abgekämpft. Es wird mir also nicht gehen wie dem Mann, zu dem der Arzt sagt: Tut mir leid, aber wir müssen ihnen das Bein abnehmen. Antwortet der Mann: Gott sei Dank, ich dachte schon, sie wollten mir das Rauchen verbieten.

Pah! Sag ich da nur. Ein starker Raucher ist ein schwacher Mensch.

Fit wie Lumpi – das Komplettset

Ich will meine Kondition zurück. Früher hatte ich sie, so lange ist das noch gar nicht her. Aber in diesen Tagen strengen mich die einsamen und freudlosen Joggingrunden durch Wohnsiedlungen an. Deshalb – neuer Versuch – fahre ich seit kurzem mit dem Fahrrad zur Arbeit. 10 flache km.

Viele Menschen radeln mit mir denselben Weg oder sie kommen entgegen. In freundliche und verschlafene Gesichter blicke ich, manch eines lächelt mir zu. Ich atme die Frische des Morgens ein. Entlang einiger Sträucher mit unscheinbaren weißen Blütendolden fahre ich durch schweren, fruchtigen Duft. Abends pustet mir die Hitze ins Gesicht, sie fegt über Straßen und Felder, seit Tagen haben wir Sonne und Wind wie an der Küste. Anders als dort schimmern bei uns aber aufgeworfene Erdschollen feucht und dunkelbraun. Mächtige Bäume schunkeln im Takt der Böen, die durch ihr schweres Laub brausen.

Entlang der Spargelfelder mit ihren langen Reihen angehäufter Erde verliere ich meine Rastlosigkeit. Zwischen bunt gekleideten Arbeitern auf  Erdbeerfeldern verpuffen all die Befürchtungen, Griesgrämigkeit versickert auf satten Viehweiden und Radwegen mit Menschen, die mir ein Lächeln schenken. Außer Atem und völlig entspannt komme ich nach 40 Minuten an.

Das ist es, was ich im Moment brauche.

Auszeitlos

Da es sonst niemand tut, lobe ich mich selbst: Eine ganze Woche ohne Tabakqualm liegt hinter mir! Der Entzug manifestierte sich nur in anhaltend schlechter Laune, und das konnte in den ersten Tagen vom dauerverregneten Juni-Beginn herrühren. Seit dem Sommereinbruch vor drei Tagen wurde es allerdings kaum besser, dabei quält mich kein Druck, eine Zigarette haben zu müssen. Was mir fehlt, sind die Inseln. Aus meinen überfrachteten Alltagen hatte ich wenigstens minutenlang dorthin flüchten können, eine Rauchpause ist eben eine Pause, ein zeitlich begrenztes Innehalten, ein Bremsmanöver mit Haltegriff, eine Art (absurder geht’s nicht) Luftholen.

Nun renne ich unterbrechungslos von Hektik und Druck bei der Arbeit zur alten Wohnung meiner Mutter, zu Restmöbel-Entsorgung, Renovierungsbedarf und Mieteransprüche sowie zu Schriftkram und Erledigungen in ihrer neuen Wohnung. Selbst wenn ich ein paar Minuten lang in der Sonne stehe zur Mittagszeit oder am Abend – ich weiß nicht, was ich dort anfangen soll. Ich komme nicht runter. Es gibt keinen Ersatz.

Beim Verlassen des Raucherabteils

Es war nicht mein Entschluss. Es geschah fast ohne mein Zutun, und zwar am 1. Juni 2009, als ich nach etlichen rauchfreien Jahren wieder damit anfing. Wir waren gerade aus dem Auto gestiegen und standen auf dem Parkplatz einer Klinik, meine Tochter, ihr Vater und ich. Er zündete eine Zigarette an und erstaunt hörte ich meine eigene Stimme, die darum bat, auch eine zu bekommen. Rauchend traten wir dann langsam auf das Gebäude zu, um unseren Jungen zu sehen.

Ein Jahr lang habe ich mich festgehalten an Zigaretten. Sie haben mich beruhigt, getröstet, für kleine Unterbrechungen gesorgt. Doch bleibt es bei mir nicht bei denen, die ich rauchen will. Es kommen noch jene dazu, die ich rauchen muss, obwohl sie nicht schmecken. Die am frühen Morgen zum Beispiel. Oder wenn eh schon zu viele im Aschenbecher liegen. Oder während der Arbeit die verstohlenen Züge hinterm Haus. Könnte ich nur gelegentlich rauchen – ich würde nie aufhören damit. Doch mit der Marlboro-Schachtel in der Tasche gibt es für mich keine Ruhe, und allmählich langte ich wieder richtig zu.

Schluss damit.

Meine Gründe fürs Rauchen sind fadenscheinig  geworden. Seit dem 1. Juni, seit zwei Tagen also, fasse ich keine Zigarette mehr an. Und dabei bleibts.

Ins Ungewisse

Mit all dem Metall im Körper hätte der Flughafendetektor Funken sprühen müssen. Aber mein Sohn ging durchs Tor und es kam kein Piep. In Ruhe steckte er seine Geldbörse wieder ein, die in einer Wanne zusammen mit anderem Zeug durchleuchtet worden war. Er nahm seine Sachen wieder an sich, schnallte den Gürtel um und schaute zu uns. Ich streckte den Daumen nach oben und er winkte scheu, lud seinen Rucksack über die Schulter und verschwand. Na Bravo, dachte ich. Wenn ein Terrorist erfährt, dass die Detektoren an diesem Flughafen heute falsch oder gar nicht eingestellt sind, kann er mit einem Gewehr an Bord gelangen.

Die Maschine wurde dann doch nicht entführt, Gott sei Dank. Knapp eineinhalb Stunden später landete sie in London und der Junge schaffte es mit Taxi und Zug nach Brighton, wo er die nächsten drei Monate leben wird. Dieses Abenteuer war lange sein Traum. Er war ausgelöscht worden vor einem Jahr, als dieser Audi in den Alpha fuhr, in dem mein Sohn als Beifahrer saß. Danach konnte er sich monatelang nicht einmal erinnern, einen Traum je gehabt zu haben. Wichtig war da nur, dass er lebte. Dass die Hirnblutungen abheilten und zahllose Nägel und Platten ihn so zusammenhielten, dass er eines Tages aus dem Rollstuhl wieder aufstehen konnte. Aber irgendwann, als Operationen und Rehabilitation hinter ihm lagen, kam er zurück: Der Wunsch, Neues kennen zu lernen, ein anderes Land, England. Da fing er an zu planen.

Wir telefonierten heute kurz mit der Familie, in der er untergebracht sein wird während des Sprachkurses. Es beruhigt mich zu wissen, dass diese Leute wirklich existieren und er in Sicherheit ist. Ich weiß, es klingt blöd, der Junge ist 21 und er findet sich zurecht. Auch seine Geschwister haben Auslandsaufenthalte hinter sich und in Gefahr ist man zu Hause sowieso nicht weniger. Trotzdem. Ihn gehen zu lassen ins Ungewisse, war schwer. Ich habe das Vertrauen nicht mehr, dass immer alles gut geht. Manchmal geht es auch schief, wie wir jetzt wissen,  und ich  kann ich nur beten, ganz fest, dass keinem der Kinder je wieder etwas zustoßen wird.

Der Duft von draußen

In ihrem Bett lag sie wie aufgepumpt. Ein prall gefüllter Sack in der Form eines Menschen, von dem Arme und Beine abstanden. Medikamente hatten ihre Glieder anschwellen lassen, sie ließen sich kaum mehr bewegen, rot glänzte die Haut darüber. Aufgebrochen nässte sie in den Beugen und unter der Brust, es tat weh.

Sie wünschte sich zu schweben. Wie ein Ballon würde sie dieses Zimmer verlassen und hinaus gleiten ins Freie, um am blauen Frühlingshimmel den Vögeln nachzuschauen. Der Wind würde ihr Haar streicheln, die Haut trocknen, Schmerzen und Furcht würden fortgeweht. Über die Menschen, die unten im Park zusammenliefen und verdutzt nach oben blickten, würde sie lachen, sich auf den Rücken drehen und in der Sonne wärmen. Später würde sie einsame Bahnen um die hohen Bäume ziehen, ihr Leib würde mit jeder Runde weicher und leichter.

Eine Schwester war ins Zimmer gekommen und bereitete die nächste Infusion vor. „Wie geht es dir heute?“ fragte sie die Metallhalterung, in die sie gerade einen Beutel einhängte. Sie prüfte den Schlauch und schien zufrieden. „Ich hab noch ein bisschen zu tun, wir machen das nachher, ja?“ rief sie und fing an, etwas auf ein Blatt zu schreiben. Das Bett des Mädchens war vor das Fenster gebracht und das Kopfende höher gestellt worden. Erheben konnte sie sich nicht, doch sah sie die Kronen der Kastanienbäume, riesig ragten sie in den Himmel hinein. Laub schimmerte hellgrün, sein Duft nach Wachsen drang ins Zimmer und wollte das Kranksein dort verscheuchen. So war es recht. Bäume, Blüten, Vogelnester – es war ein Aufgehen und Schwellen nach allen Seiten. Sie atmete das Leben ein, das sich draußen entlud und in ihrer Brust wurde es warm. Etwas schaffte sich Platz, strömte in alle Richtungen und fing an, das Böse in ihrem Körper abzutragen. Sie schloss die Augen, atmete ein und hielt diesen Augenblick fest.

Still lag sie da und lächelte, als die Schwester aufsah. Diese schob nun die Akten zusammen, trat zum Fenster und brachte das Bett behutsam auf seinen Platz zurück. Dort öffnete sie das Hemd über dem unförmigen Körper und schloss den feinen Katheter, der über der Brust aus der Haut ragte, an den Infusionsschlauch an. Eine Zeitlang wartete sie und betrachtete das Gesicht der kleinen Patientin. Noch am Morgen waren Erschöpfung und Mutlosigkeit darin zu sehen gewesen, nun schien es einen Entschluss gefasst zu haben. Nach den letzten Tagen des Zerfallens war das ein großartiger Anblick. Sie zog die Decke etwas hoch, strich ihr eine Haarsträhne aus der Stirn und sagte: „Schlaf ein bisschen“, bevor sie aus dem Zimmer ging. Das Fenster blieb offen.