Glücklich ist man bestenfalls unterwegs. Nie am Ziel.
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Höhepunkte
6. Tag: Twice Brewed – Gilsland
Wir steigen noch einmal über die Crags und wandern am Römerwall entlang, hinein in ein 360°-Rundum-Panorama, an dem ich mich nicht sattsehen kann. Wohin man auch blickt – man staunt nur. Der Wind fährt durch die Haare, die Luft ist klar und voller Energie. Die Landschaft liegt riesig vor mir, bizarr schön. Mittendurch führt eine dünne Linie, der Wall. Das alles gehört heute mir, und niemand kann es mir nehmen.
Dann lassen wir die zerklüfteten Felsen hinter uns und es geht allmählich bergab. An den Klippen wächst Erika, dem Brachland folgen Weiden, kleine Wälder und vereinzelte Farmen.
Ganz wichtig: Immer wieder prüfen, ob wir auf dem richtigen Weg sind. Mit der App outdooractive.com kein Problem.
Im Roman Army Museum sehen wir u.a. in einem spannenden Film, was die römischen Legionäre am Wall entlang für ein Leben führten. Militärischer Drill, Kälte, wenig Kämpfe und daher oft auch Frust und Langeweile gehörten dazu.
Wanderung am Hadrianswall:
Tagesstrecke: 16 km in ca. 7 Std. (längere Pausen gemacht)
Bisher gelaufene Strecke: 95,9 km
Reststrecke: ca. 39 km. (?)
Irgendwas stimmt hier nicht. Wir haben noch 4 Tage, also werden es wohl mehr als 135 km sein.
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Die Glücklichen
Die Leiterin der Abteilung Integration tritt zu mir an den Schreibtisch. Nein, sie schwebt. Sie lächelt hingegeben, ihre Gesichtszüge sind jetzt ganz weich. Der junge Mann, der soeben zur Tür geht, lächelt auch. Nein, er strahlt. Als hätte ihm ein schönes Mädchen gerade sein Jawort gegeben.
Die Leiterin beugt sich zu mir herunter und flüstert: „Er hat mich umarmt.“ Sie schaut zur Tür, die sich gerade hinter ihm geschlossen hat und durch die er bald wieder treten wird. „Er hat mich fest umarmt, und das …“ sie seufzt hingegeben, …“hat schon lange niemand mehr getan.“
Der Mann hatte Glück: Ein Sprachkurs hat vor kurzem begonnen und ein Teilnehmer erscheint nicht mehr. Deshalb wurde ein Platz frei, unser Besucher wird ab morgen hier Deutsch lernen.
„Er hat sich immer wieder bedankt,“ haucht die Leiterin entrückt.
„Den hast du glücklich gemacht“, grinse ich und tätschle ihre Hand.
Wenn man sie anschaut, sieht man natürlich: Es sind zwei Menschen glücklich. Und weil ich mich für die beiden so freue, sind wir schon zu dritt.
Schöner Tag heute.
Glückspilz
Auf dem Sofa in unserem Empfangsbereich sitzen zwei Kursteilnehmer: ein großer, kräftig gebauter Mann aus Afrika, und eine magere Frau um die Vierzig mit asiatischen Gesichtszügen. Sie unterhalten sich leise. Da es ansonsten still ist, höre ich vom Schreibtisch aus unfreiwillig zu. Der Mann sagt:
„Wie geht es hoidde?“
„Guut,“, zirpt sie mit hoher, gepresster Stimme und verbeugt sich leicht. Dann – mit dem Blick geradeaus, ohne sich umzuwenden:
„Wie | geht | es | Ihnen?“ Sie reiht die Worte aneinander wie Bausteine.
„Ooooh, gudd,“ sagt der Mann mit strahlender Stimme. „Viel Lerne.“
Klein und schmal sitzt die Frau da, sie erwidert nichts.
„Deine family in Doischland?“ fragt der Mann weiter.
„Ja,“ sagt sie nach kurzem Zögern, „mein | Mann.“
„Kinder? Hassdu Kinder?“ Ihre Schultern ziehen sich zusammen.
„Swei“, wispert sie.
„Ooooh,“ sagt er, „welke … aahmmm, year?“ Sie schaut ihn an und sagt nichts. Er streckt die Finger hoch, zählt ab. Da versteht sie.
„Swölf, und noin“, haucht sie.
„Kinder in Doischland?“ fragt der Mann. Sie nimmt sich Zeit, sucht nach Bausteinen. Dann:
„Meine | Kinder | sind | tot.“
„ooooh …“
Ich weiß nicht, woran die Kinder dieser Frau gestorben sind und warum sie ihre Heimat verlassen hat. Ich weiß nur, dass meine Kinder leben, und zwar in einem sicheren Land. Ich Glückspilz.
Die Glücksregel
In irgendeinem Wartezimmer las ich kürzlich von einem Buch, mit dessen Hilfe man sich von Ballast befreien kann. Es ist ganz einfach: Man behält nur das, was glücklich macht. Regelmäßig genutzte Dinge wie Geschirr, Kleidung usw. müssen hoffentlich nicht entsorgt werden, aber alles andere, was man vielleicht irgendwann noch einmal brauchen, anziehen, zeigen könnte, was einfach nur da ist und keine Bedeutung (mehr) hat, kann weg. Wie wirkungsvoll diese Regel ist, selbst wenn man das Buch gar nicht gelesen hat, erlebe ich beim spontanen Nachschauen in meinen Schubladen.
Ich beginne mit einem Hammer (wir haben noch zwei weitere), den ich behalte. Er stammt aus einem früheren Leben, jemand anders hielt ihn schon in der Hand, eine Erinnerung. Aber die Beutel mit den Teekerzen ziehe ich seit Jahren herum und seien wir realistisch: Ich bin keine Romantikerin. Sollte sich das einmal ändern, kaufe ich neue. Diese hier werde ich verschenken und all die herrenlosen USB-, Scart-, Netz- und Sonstwaskabel auch. Aber die Steine und Muscheln nicht! Die zaubern manche Reise auf den Schreibtisch.
Im Lauf des Vormittags bekommt der ganze Schrank mehr Luft und ich auch. Jetzt kann ich gar nicht mehr aufhören damit. Kaum gibt es eine Regel, schon verwirft man alle Bedenken und es geht ganz leicht. Zu solchen Gedankengängen sind wahrscheinlich nur Deutsche fähig.
Zum Weiterlesen:
Die Lehre von der Leere
Zeitzonen
Sonntagmorgen, ich stehe unter der Dusche, heißes Wasser läuft an mir herunter und ich mache mir Gedanken über die Zukunft. Das liegt nicht an der Dusche, sondern an meinen Zehennägeln.
Ich angle nach dem Handtuch und beginne mich trocken zu frottieren, die Füße sind als Letztes dran. Ich rubble über die großen Zehen, die seit der letzten Bergwanderung bräunlich-violett schimmern. Bei strengem Abwärtsmarschieren bilden sich bei mir immer Blutergüsse unter den Zehennägeln und es dauert jedes Mal Monate, bis sie herausgewachsen sind.
Ich versuche mir dann auszumalen, wie mein Leben sein mag, wenn ich das letzte verfärbte Stückchen abknipse. Im April oder Mai werden meine Zehen wieder rosig aussehen. Mein Leben auch? Oder wünsche ich mir etwas anders? Unglück an sich ist ja nichts Schlimmes. Ohne Unglück keine Veränderung, ohne Veränderung kein Wachsen.
Aber die Zeit vergeht ja so schnell. Plötzlich ist es nicht mehr Januar, sondern Juni, dann auf einmal September und aus dem Blauen heraus Weihnachten. Ohne dass etwas passiert ist? Wenn man etwas haben will, was man bisher nicht hat, muss man etwas tun, was man bisher nicht getan hat. Und zwar bevor der Zehennagel herausgewachsen ist.
Nahlebenerfahrung
So soll es also bleiben. Was jetzt noch folgt, wird nicht besser sein. Kein pralles Bankkonto zu entdecken in der Ferne, kein Aston Martin, kein Märchenprinz. Was es hier gibt, ist ein bisschen Luxus, eine gute Partnerschaft, gesunde Kinder, toi toi toi. Ich vermisse nichts außer einem sicheren Einkommen, doch der Staat sorgt für mich. Im Moment jedenfalls.
Die Tage rauschen also dahin mit Arbeiten, Erledigungen, Gelesenem und Geschriebenem, der Sonntag hat keine Angst mehr vor dem Montag, Ruhe zieht ein, ich versäume nichts. Manchmal möchte ich die Stunden anhalten, kostbarer als jetzt werden sie nicht.
„Wenn ich erst einmal Zeit habe, werde ich viel lesen“, dachte ich noch vor kurzem. Oder „Wenn ich diese Arbeitsstelle los bin, werde ich glücklich sein“. Jetzt stapeln sich neben der Couch gelesene Bücher, und mein kleines persönliches Glück steht vor der Tür wie ein fremder Gast, mit dem ich noch nichts anzufangen weiß. Ich bitte es herein und hoffe, Vertrauen stößt auch noch zu uns.
Sowas!
Es kribbelt wieder. Man hat das ja manchmal, dass für einen Moment lang etwas ins Herz reinkriecht, das mit Glücklichsein zu tun hat. Ein pulsierendes, fast den Atem nehmendes Ziehen tief drinnen, und ich dachte ja schon, das sei vorbei. Durch die Depression – oder das Medikament dagegen – war mein Herz in eine dicke Schicht eingesunken, wie ein Rollmops in Sülze. Darin ist das Augenblicksglück bei seinen Versuchen vorzudringen wohl immer steckengeblieben. Und jetzt? Kribbelts! Weil die Herbstsonne ins Zimmer fällt, weil das neue Waschbecken und das Bettgestell gekommen sind, weil die Wohnung allmählich heimelig wird, weil ich die ganze Woche Aufträge hatte. Das ist doch was.
Sanft hinverschmelzendes Largo
Mein… Glück? …Mein
Glück?
Mein Glück
ist ein spielendes Blatt im Sommerwind,
der
leichte,
flüchtige, zierliche
Schatten,
mit
dem mich, zwitschernd, die Schwalbe streift,
das
letzte, fernhochschwebend stille,
reglos
schimmernde,
flimmernde, glimmernde
Purpurwölkchen,
das
nach einem leuchtend langen, schönen, golden klaren Sonnentag,
in
einem zarten,
lichten,
himmlisch überirdischen Blaßgrün,
schwindend, scheidend,
selig
versinkt!
Egal, was das Leben bringt
Landet man nicht immer wieder in einem Zustand, der jedem eigen ist und eigen bleibt, selbst wenn das Leben Ping Pong spielt? Ein Lottogewinner etwa lebt ein Jahr nach der Geldflut so glücklich oder unglücklich wie zuvor, sagen Studien. Auch Rollstuhlfahrer sind ein Jahr nach dem Unglück, das sie lähmte, so bedrängt oder sorglos wie früher. Weil der Mensch und seine Veranlagungen sich kaum verändern.
Ich weiß nicht, ob das stimmt. Ein Cocktail aus Charaktereigenschaften bleibt wahrscheinlich immer gleich, aber wir haben doch schon gesehen, wie zum Beispiel jemand in einer Ehe auftrat und später nach der Trennung. Wie manches Mäuschen wuchs und Katzen verjagte. Wer in ein anderes Leben stolpert, macht ungewohnte Erfahrungen, und es wachsen frische (oder alte, vergessene) Facetten in ihm. Ob ein Lottogewinn für solche Erneuerungen ausreicht? Ich persönlich glaube: ein Rollstuhlfahrer könnte da mehr Glück haben.