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Der Schlussstrich

Es ist nichts geworden aus dem Kaffee, den wir miteinander geplant hatten. Vielleicht plante ihn auch nur ich, wahrscheinlich sogar. Man tut, als ob nichts wäre und verabredet sich eben zum Kaffee. Im Juni, wenn ich nicht mehr arbeite und Zeit habe, auch tagsüber. „Ganz flexibel bin ich dann“, rief ich noch, als würde das Schlimme nicht eintreten, wenn ich es ignoriere.  Nun gut, um den Kaffee geht es nicht. 

Die Frau von Stefano traf ich nur ein einziges Mal. Obwohl wir uns nicht kannten, hatten wir viel miteinander zu reden, ich freute mich auf ein Wiedersehen mit ihr. Den Gedanken, dass es nicht dazu kommen könnte, hatte ich nicht. Wollte ich nicht haben. Erst jetzt. Sie starb heute Nacht.

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Probleme sind relativ. Auch meine sind relativ – klein.

Ich winke von weitem. Vor unserem Stammcafe plaudert der Liebste mit Stefano. An einem der Tische sitzt eine Frau in der Sonne, in ihren Armen schläft Stefano’s Kind. Das ist sie also. Seine Frau. Vom Hörensagen kennen wir sie schon eine Weile, ich weiß, was mit ihr los ist. Begegnet sind wir uns noch nie.

Ich lache ihr zu, trete näher und stelle mich vor als „die Freundin des Engänders“. Ihr Gesicht hellt sich auf, ich setze mich zu ihr. „Wie geht es dir?“ frage ich. Die blödste aller Fragen. Sie kriecht mir in den Magen und kneift. Stefano’s Frau erzählt, dass sie gerade von einer Untersuchung kommt. Alle Behandlungen wirken nicht, man versucht jetzt etwas Neues. Sie berichtet darüber wie von einem Auto, das in der Werkstatt steht. Es ist ihr nicht egal, worüber sie spricht, doch sie macht kein Aufhebens darum. Ich unterhalte mich mit ihr, als ginge es um jemand anders. Unmöglich, dies hier zu Ende zu denken.

„Vor einem Jahr gaben sie mir noch 6 Monate,“ meint sie nach einer Weile und schiebt die Schildmütze zurück. „Inzwischen geben sie keine Prognosen mehr ab. Jedenfalls bin ich noch da.“

 .

Stefanos Hochzeit

Die Trauung unseres Freundes fand letzten Freitag statt, und die anschließende Feier ohne Braut.

Wir warten abends im Irish Pub auf ihn. In schwarzer Hose und weißem Hemd stößt er zu uns, lächelt erschöpft und setzt sich mit seinem Bruder und dem Trauzeugen zu uns. Drei Italiener. Es kommen weitere Gäste, die Gesellschaft wird immer italienischer, auch Deutsche feiern mit: Freunde von uns und ihm und von überall her.

Stefanos Frau blieb zu Hause. Sie wird früh Schlafen gegangen sein, die Mutter schaut nach dem Kind. Vielleicht klettert es gerade mit roten Bäckchen auf den Schoß der Oma, als wir die Gläser heben. Am Vormittag hatte sich Stefanos Frau vom Krankenhaus abholen lassen, um zu heiraten. Morgen wird sie zurückgebracht. Seit einem Jahr stemmt sie sich gegen den Krebs.

Ich kann es gar nicht umsetzen. Wir wünschen ihm Glück, wir schwatzen und lachen und diskutieren. Stefano blickt entrückt und liebevoll vom einen zum andern wie ein Kätzchen, das sich gern kraulen lässt.

Wenn seine Frau die Schlacht verliert, wird er das Kind mit nach Italien nehmen können. Ohne viel Behördenkram.

Der Duft von draußen

In ihrem Bett lag sie wie aufgepumpt. Ein prall gefüllter Sack in der Form eines Menschen, von dem Arme und Beine abstanden. Medikamente hatten ihre Glieder anschwellen lassen, sie ließen sich kaum mehr bewegen, rot glänzte die Haut darüber. Aufgebrochen nässte sie in den Beugen und unter der Brust, es tat weh.

Sie wünschte sich zu schweben. Wie ein Ballon würde sie dieses Zimmer verlassen und hinaus gleiten ins Freie, um am blauen Frühlingshimmel den Vögeln nachzuschauen. Der Wind würde ihr Haar streicheln, die Haut trocknen, Schmerzen und Furcht würden fortgeweht. Über die Menschen, die unten im Park zusammenliefen und verdutzt nach oben blickten, würde sie lachen, sich auf den Rücken drehen und in der Sonne wärmen. Später würde sie einsame Bahnen um die hohen Bäume ziehen, ihr Leib würde mit jeder Runde weicher und leichter.

Eine Schwester war ins Zimmer gekommen und bereitete die nächste Infusion vor. „Wie geht es dir heute?“ fragte sie die Metallhalterung, in die sie gerade einen Beutel einhängte. Sie prüfte den Schlauch und schien zufrieden. „Ich hab noch ein bisschen zu tun, wir machen das nachher, ja?“ rief sie und fing an, etwas auf ein Blatt zu schreiben. Das Bett des Mädchens war vor das Fenster gebracht und das Kopfende höher gestellt worden. Erheben konnte sie sich nicht, doch sah sie die Kronen der Kastanienbäume, riesig ragten sie in den Himmel hinein. Laub schimmerte hellgrün, sein Duft nach Wachsen drang ins Zimmer und wollte das Kranksein dort verscheuchen. So war es recht. Bäume, Blüten, Vogelnester – es war ein Aufgehen und Schwellen nach allen Seiten. Sie atmete das Leben ein, das sich draußen entlud und in ihrer Brust wurde es warm. Etwas schaffte sich Platz, strömte in alle Richtungen und fing an, das Böse in ihrem Körper abzutragen. Sie schloss die Augen, atmete ein und hielt diesen Augenblick fest.

Still lag sie da und lächelte, als die Schwester aufsah. Diese schob nun die Akten zusammen, trat zum Fenster und brachte das Bett behutsam auf seinen Platz zurück. Dort öffnete sie das Hemd über dem unförmigen Körper und schloss den feinen Katheter, der über der Brust aus der Haut ragte, an den Infusionsschlauch an. Eine Zeitlang wartete sie und betrachtete das Gesicht der kleinen Patientin. Noch am Morgen waren Erschöpfung und Mutlosigkeit darin zu sehen gewesen, nun schien es einen Entschluss gefasst zu haben. Nach den letzten Tagen des Zerfallens war das ein großartiger Anblick. Sie zog die Decke etwas hoch, strich ihr eine Haarsträhne aus der Stirn und sagte: „Schlaf ein bisschen“, bevor sie aus dem Zimmer ging. Das Fenster blieb offen.