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Lernfragen

Ein neuer Deutschkurs beginnt, erste Stunde: Der Dozent prüft Formulare, fragt fehlende Anmeldedaten ab, es ist laut im Unterrichtsraum. Nach einiger Zeit gehen manche ans Fenster zum Rauchen, andere fangen an zu telefonieren. Der Dozent scheucht die Raucher vor die Haustür und verkündet eine zehnminütige Pause.

Nach dieser Unterbrechung mault er, dass der Fruchtjoghurt fehle, den er im Kühlschrank deponiert hatte. Jemand übersetzt, woraufhin ein Mann sich meldet und verwirrt den halb aufgegessenen Becher hochhebt. Andere senken das Kinn auf die Brust, als schämen sie sich für ihre Landsleute.

Die Leiterin der Abteilung Integration trifft ein. Sie spricht mit dem Dozenten und baut sich dann vor der Klasse auf: „Merken Sie sich,“ bellt sie, „dass Sie im Unterricht nicht herumlaufen, rauchen oder telefonieren. Die Toiletten sind sauber zu halten, fremdes Eigentum ist zu respektieren. Wer das nicht lernt, muss gehn. Wir haben lange Wartelisten.“

Es ist jetzt still geworden. Ein Teilnehmer aus dem Fortgeschrittenenkurs übersetzt. Ich überlege, ob mir der Auftgritt der Abteilungsleiterin gefällt oder nicht. Und ob es woanders üblich sein kann, sich an fremden Kühlschränken zu bedienen. Und dass Menschen aus unterschiedlichen Schichten zwei Jahre lang zusammen zur Schule gehen werden.

Geschichte und Geschichten

Wo Maria Stuart einst der Kopf abgeschlagen wurde, saßen wir vor ein paar Tagen auf einer Bank und aßen Sandwiches. Lady Grey starb ebenfalls auf diesem Gelände, nach neun Tagen als Königin von England, ein 16jähriges Mädchen. Geschmeckt hat’s trotzdem.

Wir sahen uns also den Tower an, den ich immer für ein Gefängnis gehalten hatte. Falsch. Es handelt sich um einen turmartigen Palast, und nur die unteren Stockwerke dienten als Verlies für zahllose Hochverräter, was bei Bedarf zweifelsfrei nachgewiesen wurde in der Folterkammer.

Das Beste aber war die Schatzkammer. Vor den hochgesicherten Vitrinen mit den Kronjuwelen darf man nämlich nicht stehenbleiben. Der gelernte Tourist hat sich auf einem Laufband einzureihen und wird an Kronen, Zeptern, Reichsäpfeln und Schwertern vorbei transportiert wie Flaschen bei der Abfüllung. Es bleibt genug Zeit, um entweder in Ruhe die Erläuterungen zu lesen oder vor einigen der größten Diamanten der Welt zu erstarren. Beides zusammen geht nicht. Hat man sich informiert, was da vor einem funkelt, entfleuchen die millionenschweren Thronbeigaben auch schon aus dem Blickfeld und die nächste Vitrine taucht auf. Tipp: an Werktagen gibt es vormittags noch keine Schlangen und man kann den ganzen Vorgang wiederholen.

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In der Waffenkammer die Rüstung von Henry III., dem alten Angeber! (siehe Lendenbereich)

Gebaut wurde der Tower und die Festung darum herum von einem Franzosen: Guillaume le Conquérant. Sein Bedürfnis nach dicken Mauern wird verständlich im Hinblick darauf, dass der Franzose König von England wurde: Wilhelm der Eroberer. Der Engländer an meiner Seite meinte dazu: „Wir erlaubten ihm hierzubleiben und ließen ihn den Tower errichten, ein wertvolles Stück Geschichte.“

Bei 17 GBP Eintritt pro Person profitiert das Land davon in der Tat bis heute.

Kulturunterschiede

Für drei Britische Pfund bekommt man eine wuchtige Portion Fish & Chips, die nicht schmeckt wie bei uns, sondern nach nichts. Deshalb schüttet der gelernte Engländer Salz und Essig (!) über alles, auch über die Pommes, die wie der Toast in England  daherkommen: weich und lommelig. Knusprig ist nur die Panade, die so viel Öl aufnimmt, dass einem hinterher ein bisschen schlecht werden kann. Trotz Essig, der angeblich bei der Verdauung hilft.

Wir saßen mit meinem Sohn vor einem Imbiss in der Sonne, aßen Fish & Chips und er plauderte von Freunden aus allerlei Kulturen und Ländern, die er hier fand. Von schrill aufgemachten Menschen berichtete er (Brighton ist gay), von freundlichen Busfahrern, frechen Mädchen in engen Klamotten, von seiner Mühe mit der Konzentration und von neun Fehltagen in der Sprachschule, weil er in Pubs und Clubs hängen geblieben war bis zum Morgen. Auf meine hochgezogenen Augenbrauen hin erinnerte er an die langen Monate, die er im Krankenhaus verbrachte, und dass er den Kurs um zwei Wochen verlängern werde, um das Zertifikat trotzdem zu schaffen. Am liebsten würde er hierbleiben, sagte er.

Mal sehn, was er vom Fußballspiel Deutschland gegen England am Sonntag erzählen wird! Natürlich brachten wir ihm eine deutsche Fahne mit.