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Kunst? Oder Spaß?

Holzskulptur Penis

Diese ungewöhnliche Skulptur entdeckte ich neulich beim Spazierengehn, passenderweise am Vatertag. Sie steht in Taldorf bei Ravensburg. Niemand weiß, wer den Holzpenis geschaffen hat, niemand weiß, wer ihn aufgestellt hat, aber alle lachen.

Er ist nicht der einzige seiner Art. In der Bodenseeregion und im Allgäu wurden bereits mehrere der meterhohen Werke gesichtet, einer davon direkt in einem Kreisverkehr. Da alle unfallsicher verankert sind, wurden sie von den Gemeinden mit Humor aufgenommen und bleiben erst einmal stehen (kleines Wortspiel). 😉

Ich find’s lustig! Wem es nicht gefällt, der oder die muss es sich ja nicht anschauen, so ist es in der Kunst immer. Aber was würde ich meinem, sagen wir mal, zehnjährigen Kind sagen bei einem Wanderausflug? Für Jungs dürfte die Sache klar sein, aber Mädchen wissen wohl noch nicht, was ein erigierter Penis ist.
Vielleicht würde ich das Werk als Spargel-Denkmal deklarieren.

Wie findet ihr das?

Ich kenne keine bessere Definition für das Wort Kunst als diese: 
Kunst - das ist der Mensch
(Vincent van Gogh)

Kurioses aus Ravensburg

Heimenkirch – Erneut Holzpenis aufgetaucht

Kirchenkunst

Man muss schon suchen, um in der Kirchenkunst einigermaßen freundlich dreinblickende Heilige zu finden. Was ist das nur mit unserer christlichen Religion? Warum all die Qualen, der Schmerz, das Martyrium in den Darstellungen? Was macht es denn mit den Betrachterinnen und Betrachtern? Ich möchte das nicht sehen. Jesus wurde doch nicht mit dem Kreuz geboren, es gab dreißig Jahre davor. Davon hört man fast nichts. Ich will jedenfalls einen lachenden Jesus und Menschen, die ihm folgen und dabei ein Leuchten in den Augen haben. Ich will eine glückliche Maria mit ihrem Kind, einen lustigen Apostel, einen liebenden Gott.

In den asiatischen Religionen geht es doch auch, warum nicht bei uns?

Nachfolgend eine Auswahl aus dem Augustinermuseum in Freiburg, die ich nur empfehlen kann, schon aufgrund der spektakulären Propheten, die einst am Münster standen.

Natürlich!


Ich frage mich, ob der Anblick eines hochschwangeren Bauchs für kleine Kinder heutzutage normal ist, oder ob sie nicht doch etwas verstört reagieren könnten. Wo doch selbst Erwachsene sich über Frauen aufregen können, die in der Öffentlichkeit stillen.

Das Ding auf dem Bauch der jungen Mutter ist übrigens kein Hühnerbein, sondern der Stiel einer Blume.

Gesehen haben wir die eindrucksvolle Skulpturenausstellung des Künstlers Franco Alessandria bei unserer Wanderung im Piemont in La Morra.

Dem Nutellakönig zu Ehren

Jeder Deutsche und jede Deutsche muss man mindestens einmal im Leben eine Schachtel Mon Chéri geschenkt bekommen haben. Sonst kann einem die Staatsbürgerschaft aberkannt werden. Traditionsgemäß verschwindet die Schachtel in einer Schublade zum Weiterverschenken (sodass es insgesamt vielleicht gar nicht viele gibt), und wer hats erfunden? Ein Italiener. Michele Ferrero, König des Piemont, ihm verdanken wir Nutella, Duplo, Kinderschokolade, TicTac und vieles mehr. Stammsitz des Imperiums ist in Alba/Italien, und weil er so viele Menschen glücklich gemacht hat – egal ob durch Arbeitsplätze oder Überraschungseier – tragen viele Plätze und Straßen in dieser Region seinen Namen.

Wir entdeckten aber etwas anderes, das ihm gewidmet ist. Und das ist gleich in zweifacher Hinsicht einmalig:

1. Das Design – schaut es euch an!
2. Nichts, aber auch gar nichts ist darüber im Internet zu finden.

Wir wissen nur, dass es sich um ein optisch interessantes Haus in einem kleinen Ort namens Serravalle Langhe handelt, aber nicht, was es damit auf sich hat. Wer hat es gebaut? Wem gehört es? Neben dem Gebäude befinden sich Sportplätze – ist es ein Vereinsheim? Oder ein Museum? Ein Privathaus? Wir wissen es nicht, aber nunmehr ist dem Internet wenigstens bekannt, dass es dieses Haus gibt. Sollte also jemand dort aufschlagen und zufällig italienisch sprechen, könnte man ja mal nachfragen und Mrs Google aufklären.

Hirameki

Mein letztes Buch hatte ich in einer halben Stunde durch. Es gab auch nicht viel zu lesen darin: nur ein paar nicht immer ganz gelungene Reime, ansonsten nur Kleckse. Das Buch ist voll mit zufällig hingetropften Wasserfarbflecken, aus denen durch nachträglich hingekritzelte Striche immer neue Welten mit eigentümlichen Geschöpfen und Gebilden entstanden sind. Das hat mich inspiriert. Mit einem Wattestäbchen tupfte ich rote Stempelfarbe aus einem herumstehenden Fläschchen auf den Notizzettelblock, danach ergänzte ich die Flecken mit einem feinen Filzstift.

Das ist ein entspannender Spaß, und zum nächsten Besuch beim Psychoanalytiker kann man die Ergebnisse auch gleich mitnehmen.

 

(draufklick = groß)

Peng+Hu: Hirameki
Der Geniale Klecks+Kritzel-Spaß.
Verlag Antje Kunstmann; 192 Seiten; 14,95 Euro

http://www.spiegel.de/fotostrecke/peng-hu-hirameki-der-geniale-klecks-kritzel-spass-fotos-fotostrecke-132911.html

From the Sidewalk to the Catwalk

Auch wenn man sich aus Luxuskleidern nichts macht, kann man auf der Gaultier-Schau in München in Exstase geraten. Was wir dort gesehen haben, war kein Modefummel, sondern große Kunst: ein sprühendes Feuerwerk an Interpretationen der unterschiedlichsten Einflüsse über das Medium Textil auf Menschenkörper. Das war Ästhetik gepaart mit detailversessener Handwerkskunst, die Avantgarde der Modeindustrie, getragen von Prominenz aus aller Welt.

Gaultier sagt über sich selbst: „Ich arbeite mit Künstlern, aber ich selbst bin keiner.“ Doch dann wären es viele Maler, Bildhauer und Komponisten auch nicht, wenn sie in Künstlerkolonien oder einfach durch ihr Studium Impulse von anderen aufnehmen und auf dem eigenen Boden wachsen lassen. Also nein, das nehme ich Gaultier nicht ab – was er schafft, ist Kunst, und wenn mir eine Zauberfee drei Wünsche erfüllen wollte, dann wäre einer davon ein Ticket für eine Designer-Modeschau. Ich hatte in meinem Leben zwar noch nie das Bedürfnis, im letzten Schrei aus Paris herumzulaufen, aber darum geht es hier auch nicht – sondern um Schöpfergeist und Schönheit.

Die Ausstellung läuft in München noch bis zum 14. Februar 2016.

Draufklick = groß

Hier noch ein Interview mit Jean Paul Gaultier.

Yes!Yes!Yes! WARHOLMANIA

Kunst kommt von Können. Kunst ist aber auch das, was andere Künstler inspiriert oder den Zeitgeist herausschält, das Darstellen dessen, was Menschen bewegt oder später einmal bewegen wird. Andy Warhol war einer der Besten darin, mit der Verfremdung des Menschenbilds durch den Starkult zu spielen, lange bevor MTV erfunden war. Gestern besuchten wir die Ausstellung Yes!Yes!Yes! WARHOLMANIA im Brandhorst-Museum in München.

Ich war hingerissen von den spektakulären Kunstwerken in so großer Zahl, die Experimentierlust Warhols ist geradezu greifbar und auch ansteckend. Als wir rausgingen, hätte ich am liebsten selbst losgelegt, Ideen hatte ich schon und irgendeine Technik beherrsche auch ich, war mein Gedanke. Aber natürlich würde nichts dabei herauskommen. Soviel Talent, Selbstvermarktungsfähigkeit und Glück habe ich nicht. „Na und?“ rief da meine Mutter, die auf dem Dach des Gebäudes saß und auf die stoffliche Welt mit ihren irdischen Bedenken herunterlachte.

Auch ihre Kunst fand niemals den Weg in die breite Öffentlichkeit. Wir wissen nicht, wie viele großartige Werke kein Mensch kennt, und wie viele bekannte Künstler vor allem auch begnadete Selbstinszenierer waren oder sind.

Welches Ergebnis muss kreatives Schaffen also haben, um den Schöpfer zum Künstler zu erheben? Ist das Kritzelbild beim Telefonieren schon Kunst? Und das im Aquarellkurs gemalte Bild nicht? Meine Mutter hat gezeichnet, geformt, gedruckt, gemalt – und gestaunt, was dabei herauskam. Es machte sie glücklich. Ob es Kunst war oder nicht, war ihr egal.

 

Spiegel© Ursula Holly

Alles klar im Web

AntwortAbb. (c) Ursula Holly

Es sind die kleinen Erfolge, die so wichtig sind, schon weil sie häufiger eintreten als große. Heute zum Beispiel machte ich letzte Änderungen an der Homepage meiner Mutter. Als ihr Telefonanschluss gekündigt wurde, war die Seite ja im Off verschwunden, aber ich fand die Dateien auf ihrem Computer. Manche Links funktionierten nicht mehr, Bilder und Texte wurden zum Teil nicht bündig angezeigt – ich schaute mir mal die Quellcodes an. Da juckte es mich in den Fingern.

Ich öffnete die Seiten im Texteditor und fing an, herumzubasteln. Vor Jahren war ich ja selbst Besitzerin einer Webseite und im Nu erfasste mich wieder dieselbe Leidenschaft wie damals. Gut fünfzehn Jahre ist das her und es gab noch keine Content Management Systeme, sondern Netscape Composer oder Phase 5. Da war es war hilfreich, wenn man html konnte. Die Befehle fielen mir also wieder ein oder ich hab sie gegoogelt und was soll ich sagen? Jetzt stimmt alles einigermaßen. Und das ohne visuelle Darstellung, nur durch Anpassen des Quellcodes:

html
Wir haben einen neuen Provider gesucht, die Website umgezogen und die Werke meiner Mutter sind jetzt wieder online. Wenigstens hier ist wieder alles so wie immer.

http://www.malenmeinhobby.de

 

Dezember-Haiku

Schwarzes Baumgeäst
mit feiner Pulverschneeschicht
Wir brauchen Brennholz

Was ist ein Haiku?

Das Haiku ist eine japanische Gedichtform, die als kürzeste der Welt gilt. Sie besteht aus einem Vers aus 3 Zeilen mit einer vorgegebenen Anzahl von Silben. Im Deutschen sind es üblicherweise 17 Silben, die in der Anordnung 5/7/5 auf die Zeilen verteilt sein sollen. Es dürfen aber auch weniger Silben sein.

Meist handelt es sich um konkret beschriebene Momentaufnahmen aus der Natur, Gefühle kommen nicht vor. Das Gedicht bleibt offen, der Leser fügt die Geschichte und damit verbundene Emotionen selbst zusammen.

UBICUMQUE FELIX NAPOLEO

Ueberlingen_Sept14 (3)
 
„Napoleon gefällt es überall“. Trotzige Inschrift in einer Villa, die der geschasste Herrscher einst im Exil auf Elba bewohnte. Skandalkünstler Peter Lenk inspirierte der Spruch zu einem seiner drallen Lenkmale, und wir müssen auch nicht auf die Insel Elba reisen, um es zu bestaunen. Es steht in Überlingen am Bodensee, im Biergarten eines Gasthauses. Mir gefällt es am Tisch sitzend besser. Napoleon scheint mir zu abhängig von der Laune des Weibes. Da kann der Busen noch so locken, auf Muttergefühle ist nicht immer Verlass. Und wenn sie sich am Schenkel kratzt, ist es aus mit dem wohligen Plätzchen.

Das schreiende Denkmal – I

(Berliner Nachlese)

Der Rufer

Der da begegnete mir auf der Straße des 17. Juni, als ich den Weg zur Siegessäule abschritt. Berlin. Gut gebaute Männer bauen gerade die Stände fürs Radrennen am nächsten Tag auf, da erhebt sich mittendrin diese Skulptur und schreit, dass man es fast real zu hören scheint. „Jetzt übertreiben sie’s aber mit der Berliner Schnauze“, denke ich, „braucht es dafür auch noch ein Denkmal?“ Aber es ist gar kein Berliner. Es ist ein Italiener. Die gehören freilich auch nicht zu den großen Schweigern, also was hat dieser Francesco Petrarca denn so Wichtiges, dass es bis zum Brandenburger Tor oder darüber hinaus gehört werden muss?

„Ich gehe durch die Welt und rufe …“, google ich, „… Friede, Friede, Friede“. Und: Bevor er in Bronze haltbar gemacht wurde und hier rumstand und Radau machte, in seiner ursprünglichen Form als lebendiger Mensch im 14. Jahrhundert also, da half er den Humanismus zu entdecken. Vor allem wurde er aber als Poet durch seine romantische Lyrik berühmt. Er liebte die schöne Laura, deren Ehemann aber wenig Gefallen an der Situation gezeigt haben dürfte und so blieben die Seufzer seines Herzens ungehört. Vielleicht schreit er deshalb so.

Die von Gerhard Marcks geschaffene Statue ist übrigens eine Kopie. Es gibt noch mehr davon auf der Welt, aber die rufen etwas anderes, zum Beispiel in Perth/Australien wegen der Opfer von Folterungen. Andere rufen auch gar nichts, beziehungsweise sie rufen einfach so, ohne besondere Botschaft. „Ich bin ein Rufer, und das ist gut so“, um es mal zu verberlinern, die Botschaft des Künstlers ist das Recht auf freie Rede und Meinungsäußerung. Man muss sie nicht herausbrüllen wie Francesco Petrarca, aber so oder so – man wird jedenfalls nicht verhaftet. Und das ist schon ein Denkmal wert.

Amor und ich, wir mussten manchmal klagen

Der Rufer

Gipfeltreffen

Horizon Field nennt sich eine Ansammlung von Eisenmännern. Hundert von ihnen stehen im Bregenzer Wald in den Bergen herum, lebensgroß, verstreut auf 150 km2, alle auf einer Höhe von 2.039 m. Wir sitzen nach einem steilen Aufstieg kaputt in der Krieghorn-Alpe und entdecken weiter oben zwei der Statuen. Feierlich wachen sie über den Berg, das Tal, die Welt, obwohl sie aus der Entfernung ganz klein sind. Die Sonne lässt das Metall glänzen, ein Fremdkörper in den Bergen, deshalb schaut man hin. Einen weiteren suchen wir dann auf. Während wir mit hängender Zunge angekraxelt kommen, erhebt sich die starre und doch grazile Figur vor uns in völliger Ruhe. Sein Körper ist nackt und aus massivem Stahl, tief verankert in einem Fundament. Für ein Foto lege ich sacht meine Hand auf seine Hinterbacken. Bei lebensechten Statuen hab ich immer ein bisschen Angst, dass sie sich plötzlich bewegen und Kurt Felix springt aus den Büschen, während ich vor Schreck tot umfalle. Aber der Mann neben mir bleibt fest. Er hat so viele Touristen über sich ergehen lassen – ihn erschüttert nichts. Der hat Recht.

Horizon Field vom britischen Künstler Antony Gormley.

 

In der Ruhe liegt die Kraft

Von den Oberfenstern fließt Licht in den Saal. Besucher schreiten die Wände ab, flüstern, stehen, schauen herum. Jemand hat bunte Quadrate gemalt, mit schwarzen Linien. Das Bild ist so groß wie eine Plastiktüte von Edeka, nur bunter. Ich sitze auf einer Lederbank und schaue es an, weil ich sonst nichts zu tun habe.

Links unten ein schmales Rechteck in gelb. Wie ein Signal, das sich heimlich verdrückt. In der Mitte, tief eingekastelt in schwarzen Geraden, hockt Blau auf einem Sockel – sich selbst und der Welt genug. Darum herum dehnt sich Luft, und Weiß, durch wenige Linien eingeteilt. Da rennt selbst Rot aus dem Bild, links oben, bereit zum Sprung. Die Kraft in der Ruhe gewinnt.

Gesehen im Tate Britain. Letzte Woche.

 

 


Piet Mondrian

Composition C (No.III) with Red, Yellow and Blue  1935

Die Mausefalle

Seit 58 Jahren wird in London ein und dasselbe Theaterstück aufgeführt. Da kann es ja nicht schlecht sein, dachten wir, und besorgten Tickets für „The Mousetrap“ von Agatha Christie. Ein Krimi also.

Englischer hätte es nicht werden können: Wir fanden das kleine, hinreißende St. Martin’s Theatre mit weinroten Samtsesseln, Wänden und Ballustraden aus dunklem Teak, die Bühne mit schweren Vorhängen, darüber ein goldenes Wappen und die Miniportion Eiscreme kostet 3 Pfund! Vereinzelte Leuchter sorgten für Dämmerlicht, es war die 24.219. Vorstellung. Arme Schauspieler. Für die kann es ja nicht spannend sein, immer dasselbe zu spielen. Wir dagegen versuchten den Mörder zu erraten, und das Ende war dann doch anders als wir dachten.

Zum Abschluss gehört traditionell die Aufforderung, niemandem draußen die Lösung zu verraten. Alle halten sich daran. Nur nicht Wikipedia. Der ganze Spaß wäre dahin, wenn man nicht aufpasst, Informationen ggf. also erst hinterher dort nachlesen. Jedenfalls: Man versteht die Handlung auch ohne perfekte Englischkenntnisse, und ich kanns nur empfehlen!

Mir g‘fallts!

Ich hab ein Bild mitgebracht und weiß nicht, wie herum ich es aufhängen soll. Es fiel mir in die Hände, als ich meiner Mutter beim Packen half für ihren Umzug. Das Bild malte sie vor ein paar Jahren, es leuchtet in Rot und Orange wie fast alles, was von ihr in meiner Wohnung hängt, ich liebe diese Farben.

Das neue Bild steht im Moment noch an der Wand. Hochformatig gesehn dreht sich ein Kind in wildem Tanz und ich würde es so aufhängen, wäre da nicht ein Gesicht rechts unten, das mich irritiert. Andersherum aufhängen geht auch nicht. Da flieht eine Gestalt nach links aus dem Bild und schaut in Terror zurück auf einen Verfolger, den wir nicht sehen. Querformat? Im ersten Versuch sehe ich ein Huhn. Es stürzt kopfüber aus dem Bild, der Kopf ist schon verschwunden und rechts oben feixt eine Fratze. Andersrum: Jetzt hat das Huhn sich aufgerichtet. So stattlich ist es geworden, dass sein Kopf nicht mehr ins Bild passt, es strebt nach oben zum Licht wie alles im Bild. Der Fleck links unten ist ein Schatten geworden oder freundlicher Genosse, der das Huhn stützt.

Dieses Bild nehm ich.

Gemalt ist es mit Acryl in der Zeit, als meine Mutter für ihr Leben gern Malkurse belegte, einen nach dem andern. Zahlreiche Gemälde voll Farbe und Leben entstanden und das ist gut, denn solche großen Formate kann sie heute nicht mehr bearbeiten. Seit dem Schlaganfall ist ihre Hand nicht mehr kräftig genug, aber sie hat köstliche kleine Aquarell-Engel gemalt, ulkige Figuren, eins davon habe ich aufgestellt, obwohl es blau ist. In den meisten Fällen präsentiert sie diese Werke dem Betrachter übrigens ähnlich wie einst ihre Kuchen: „Sieht ein bissel missraten (vrgrôda) aus, macht aber nix. Mir g‘fallts!“

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zu ihren Bildern

zu ihren Kuchen

Newcastle

Wir übernachten in einem Hotel in der Nähe von Newcastle und man glaubt, in einem Agatha-Christie-Film gelandet zu sein: Hohe Zimmer, Stuckverzierungen, hohe schmale Fenster in erkerartigen Ausbuchtungen,  schwere Vorhänge davor. Drei Leute mindestens hätten dahinter Platz, ohne bemerkt zu werden. Es knarrt, es zieht, ich höre Stimmen aus angrenzenden Zimmern. B. ist nicht da, er hat einen Termin und ich betrachte die schweren Möbel, die Strukturtapeten und die rot-goldene Streifen an der Wand an der Stirnseite des Riesenbetts.

Fröstelnd krieche ich unter die Decken und schalte den Fernseher an. Es läuft ein Krimi, ich liebe englische Krimis, sie sind voller Atmosphäre und herrlich verstrickt, niemals könnte es solche Fälle tatsächlich geben. Die Morde werden auf die feine englische Art alle gelöst und ich schaue nacheinander Taggart, A touch of Frost und Lewis an. Danach Michael Palins Reiseberichte und am Ende Mr. Bean. B. Wunderschöner Abend!

Frühstück „Full English“ sieht so aus:

Das Schwarze ist Black Pudding, bei uns nennt man das Schwarzwurst. Gebratene Schwarzwurst *shudder* . Dazu noch mehr Schwarzes: gebratene Scheiben eines Riesenpilzes. Sieht grauslig aus, schmeckt aber ordentlich. Der Rest ist bekannt: Gebratene Tomaten, Ei, Schinken, und eine komische Wurst. Ähnlich wie Thüringer, aber auch wieder nicht.

In Newcastle gibt es ungefähr so viele Brücken wie in Ravensburg Türme. Sie führen über den Tyne und die berühmteste ist die Millennium Bridge, die mich zum Baltic bringt, einem Museum für zeitgenössische Kunst.

Millennium Bridge, dahinter das Baltic Museum

Fesselnd die Foto-Ausstellung von Martin Parr über Luxus in der High Society in all ihren Nuancen, eine herrliche Offenbarung. Er zeigt, dass in dieser Welt auch nur Menschen leben. Sie sind nicht glücklicher und erst recht nicht schöner als die restlichen 99% der Erdbevölkerung!

Neben dem Baltic liegt eine berühmte Konzerthalle, The Sage. Der Architekt Norman Foster hat sie erdacht, er entwarf auch die gläserne Reichtstagskuppel in Berlin.

The Sage

Und das wars, morgen geht’s zurück in die Heimat. Ich schließe mit den Worten von Paul von Heyse:

Erdachtes mag zu denken geben,
doch nur Erlebtes wird beleben.

National Art Gallery (Trafalgar Square, London)

Als Schwabe besucht man England’s Museen besonders gern. Sie kosten nämlich nix, und selbst die National Art Gallery in London ist keine Ausnahme, eins der bedeutendsten Kunstmuseen, die es gibt. Man spendet in der Regel drei GBP, ist aber kein Muss. Wir gaben es trotzdem, denn was man zu sehen bekommt, ist Weltklasse.

Die Wände in den Räumen hüllen uns ein mit warmen Gold- und Rottönen, Holz-Verzierungen und Stuck schmücken Decken und Kanten, ganz anders als manche sterilen Museen in  Deutschland. Wir finden Bilder, die noch vor zwei Jahren in den Räumen von Ives Saint Lauren hingen und nach seinem Tod versteigert wurden. Noch nie wanderte eine private Kunstsammlung für so viel Geld (370 Mio EUR) in den Einkaufstaschen von Museen und Sammlern. Ein halbes Leben lang haben Ives Saint Laurent und sein Lebensgefährte Bilder, Skulpturen und Gegenstände zusammengetragen, etwa zwanzig Gemälde sind nun in der National Art Gallery gelandet.


Was wir sehen, sind Bilder aus dem 17. Jahrhundert, religiöse Szenen, aber auch andere Motive, ein Kardinal in rotem Gewand auf einem gut drei Meter hohen Bild schaut grimmig auf die Besucher des  kleinen Saals nieder, der ausschließlich aus der Sammlung von Ives Saint Laurent zeigt.

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Die Hinrichtung von Lady Jane Grey (Paul Delaroche)

Vor diesem Bild bleibe ich lange stehen. Lady Grey lebte im 16. Jahrhundert und war wenige Tage lang die Königin von England. Sie starb wegen angeblichen Hochverrats und auch weil die Protestantin sich weigerte, zum katholischen Glauben zu konvertieren.   Die „Neun-Tage-Königin“ wurde nur 16 Jahre alt. Das Gemälde zeigt ein entrücktes Mädchen kurz vor seiner Enthauptung.

Zur Vergrößerung anklicken!

Mehr über das Bild

Kienholz – Die Hoerengracht

Wir haben die Hoerengracht letztes Jahr besucht, das heißt vorbeigehuscht sind wir an schäbigen Häusern, dralle Frauen in schmalen Schaufenstern links liegen lassend,  als sähen wir ihr Herabgesunkensein nicht. Normale Leute sollten nicht ihre Erinnerung ans Leben da draußen beschwören, zu dem sie doch nicht gehören. Wir hasteten vorbei.

Den Amsterdamer Strich hat das amerikanische Ehepaar Kienholz nachgebaut, die Installation wird zurzeit in der National Art Gallery gezeigt. Ich sehe mich um, andere Besucher gaffen auch in die Fenster hinein, es ist ja Kunst. Wir betrachten neugierig, was zuvor nur unsere Augenwinkel eingefangen hatten: Die Frauen, die Enge, viel Rot, viel Dunkel, Sex im Angebot. Ich blicke in die Gesichter, auf die Blöße, die schäbigen Einrichtungen. Was ich sehe, ist Freudlosigkeit. Ich wüsste gern, ob Prostituierte sich freiwillig für ihren Beruf entscheiden, dann wäre es in Ordnung. Aber so sehen diese Frauen nicht aus. Frivoler sind die Figuren auf den Ölgemelden niederländischer alter Meister im Vorraum, obwohl jede davon vollständig bekleidet erscheint!

Video Hoerengracht

Artikel mit Fotogallerie

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Das sahen wir auf dem Trafalgar Square, als wir vor dem Museum standen:

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Und das, als wir es ein paar Stunden später  wieder verließen: Schneetreiben!

Mehr zum Museum (deutsch)

London: Das Victoria & Albert Museum

Das weltgrößte Museum für dekorative Kunst ist eine der Ausstellungen, die man niemals an einem Tag besichtigen kann. Sie besteht aus etwa 150 Galerien und zeigt Skulpturen, Möbel, Textilien, Metallarbeiten, Photografie, Schmuck und vieles mehr.

Wir entschieden wir uns zunächst für die Skulpturen. Wer sich dafür interessiert, dem brauche ich Rodin oder Bernini nicht zu erklären; den andern sei gesagt, dass Kunst der ganz großen Meister hier zu sehen ist. Darstellungen mythischer Geschichten fesseln mich am meisten, und Bernini (17. Jhd.) hat dazu Großartiges geschaffen. Im V&A Museum sahen wir von ihm die überlebensgroße Skulptur Neptun und Triton. Neptun, der Herrscher des Meeres, und Triton, der Herrscher des Winds.

Ovid berichtet, dass Jupiter einst den sündigen Menschen grollte. Er wollte sie daher  in einer Sintflut ertränken und ließ durch seinen Bruder Neptun Regengüsse vom Himmel niedergehen. Bald war die ganze Welt ein Meer ohne Küsten. Als nur noch ein einziges, gottesfürchtiges Menschenpaar übrig war, zerstreute Jupiter die Wolken. Neptun legte den Dreizack beiseite und befahl seinem Sohn Triton, die tönende Muschel zu blasen. Daraufhin gaben die Winde das Land wieder frei.

Klingt das ein bisschen bekannt? Man fragt sich, wo die die eine oder andere Bibelgeschichte wirklich entstand.

Bernini schuf im Alter von etwas über zwanzig Jahren dieses Werk, aus dem Stärke, Energie und Gewalt der Elemente auf uns niederfaucht. Klein geworden blicken wir nach oben in die Marmorgesichter, aus denen Bart und Haare gewirbelt werden, man meint das Tosen des Windes zu hören.

Diese Skulptur ist übrigens das einzige der großen Werke von Bernini außerhalb Italiens.

Homepage Viktoria & Albert Museum – Neptun und Tripton (englisch)

Die William and Judith Bollinger Schmuckgalerie

Zu jedem Schmuckstück gehört eine Geschichte. Eine Frau geht nicht einfach ins Geschäft und kauft sich einen Goldring wie einen Schrank für den Hausflur oder ein paar Würstchen fürs Abendessen. Schmuck ist das Geschenk eines nahestehenden Menschen, ein Statussymbol, die Erinnerung an ein Ereignis oder einfach ein kleines Objekt, in das man sich verliebt hat. Es geht um den Zauber in den Augen der Frau, die diesen Schmuck trägt.

Und was sie getragen haben, die Frauen! Wir stehen vor den Vitrinen der Gallerie Bollinger und möchten die Augen der Frauen sehen, die diesen das getragen haben, was wir hier sehen. Schmuck aus 3000 Jahren von Designerstücken der Moderne bis zu Kronen und Diademen aus der Vergangenheit. Geschmeide aus dem 17./18.19. Jahrhundert, ich würde jedes einzelne Stück davon heute noch jederzeit tragen. Selbst aus dem 15. Jahrhundert fand ich Schmuck, der noch in unsere Zeit passt. Bei noch älterem Schmuck sind es die Halsketten, die mir sicher stehen würden. Es blitzt und strahlt von allen Seiten auf schwarzem Samt, Hunderte Kostbarkeiten haben Geschichten zu erzählen über die Menschen, von denen sie getragen wurden: Kaiserinnen, Königinnen, Edelfrauen, Geliebte – ihre Männer nicht zu vergessen. Den Wert dieser Schätze kann ich mir nicht vorstellen.

Artikel „Die Welt“

Homepage Viktoria & Albert Museum – Schmuckgalerie (englisch)

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Ein Blick in die Modegalerien…

„Juwelled evening shoe, Christian Dior, Paris, 1952-4, worn and given by Mrs Loel Guinness“

„Satin platform sandals with sequins, made in Italy for Biba, London, 1972“

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„London, Evening Dress and Jacket, Catherine Walker, (1945 -), 1989“

Seide mit Perlen und Pailletten, Stickerei durch S. Lock Ltd.

Lady Diana trug dieses Kleid bei einem offiziellen Besuch in Hong Kong. Es wurde später bei Christie’s versteigert, der Erlös ging an die Brustkrebs- und Aids-Hilfe.

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„Paris, evening dress, Thiery Mugler, 1948 – Autumn/Winter 1999-2000, given by Thiery Mugler“.

Schwarzer Samt mit Börderlrand. Das hat bestimmt Morticia aus der Addams Family getragen!

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„Paris, Evening Dress, Charles Frederick Worth (1826-95), 1881“

Satin, bestickt mit Seide, Chenille und Kordeln

Mrs Granville Alexander, Tochter des U.S. Nähmaschinenpioniers Isaac Singer, trug dieses Kleid.

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Papierkleider gibts auch. In der Designer-Abteilung!

An die kann ich mich sogar noch erinnern… 70er Jahre!

Das Fotomodell, das auf diesem Stuhl saß (siehe Bild an der Wand), kostete einen britischen Politiker einst seine Karriere! In England nimmt man es mit der Moral genau. 😉

Und als Abschluss, weil’s so schön ist:

„Pink Horse and Fried Egg“, 1979-80, Marta Rogoyska (1950-)
Handgewebt, Wolle und Baumwolle

Gegründet wurde das Museum übrigens Mitte des 19. Jahrhunderts von Prinz Albert, dem Ehemann von Königin Viktoria, und dem Kunstmäzen Henry Cole.

Mehr zum Viktoria & Albert Museum

Galerienacht

In der Stadt waren gestern Abend alle Galerien geöffnet. Viele Menschen waren unterwegs und auch wir haben uns umgesehen. Neben interessanten und rätselhaften Bildern, Skulpturen aus Holz und Metall sowie Collagen in Gold ist mir vor allem ein Video im Kopf geblieben. Man sah eine Schafherde, die durch eine Stadt geführt wurde (es ging um Tradition und Moderne). Die Tiere folgten ihrem Schäfer auf stark befahrenen Straßen und durch schmucklose Wohnsiedlungen, könnte in Ostdeutschland gewesen sein. Dann sah man drei der Schafe plötzlich in einer Kunstausstellung. Sie standen vor Bildern und Skulpturen und schienen derart verblüfft, dass es mich berührte. Ich meine, diese Art von Staunen schon häufig gesehen zu haben, kann mich aber nicht erinnern wo genau. Die drei blieben immer beieinander. Zwischendurch suchten sie auf dem Boden nach Gras, schauten jedoch gleich wieder hoch auf die Wände, liefen ein paar Schritte weiter, sahen wieder auf die Wände oder in die Kamera und man sah deutlich, was in ihnen vorging: „Was ist das hier?“ Ich konnte mich nicht lösen davon und blieb stehen, bis der Film von vorne begann. Die Gesichter der Schafe sehe ich noch immer vor mir. Vielleicht, weil ich in meinem eigenen Leben an einer Stelle angekommen bin, an der ich genauso wenig weiß, was ich damit anfangen soll.