Die Mutter des geliebten Briten ist tot. Sie starb vor wenigen Tagen mit 92 Jahren. Man denkt, angesichts dieses Alters darf man nicht klagen – als gäbe es bei Hochbetagten keinen Grund, traurig zu sein. Ich kenne sie als reizende, zierliche alte Dame, die das Leben mit Humor nahm und gerne lachte. Bis vor einigen Jahren bereiste sie noch regelmäßig alle möglichen Länder, bis ihre Begleit-Freundinnen nach und nach verstarben oder den Strapazen nicht mehr gewachsen waren. Einmal kam das Gespräch auf frühere Zeiten und sie erzählte, dass sie im Krieg zweimal ausgebombt wurde, dass aber trotzdem gelegentlich kleine Tanzabende stattfanden und sie für ihr Leben gern dort hinging. Sie war neugierig auf die Welt, auf die Menschen und machte bis zum Schluss aus allem das Beste. Good-bye, Lily.
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Achte auf deine Linie
Zoé fragte vor einiger Zeit, wo man sich auf einer gedachten Linie zwischen Geburt und Tod sehe. Ich antwortete, ich sehe mich überhaupt nicht auf einer solchen Linie, sondern darüber; die Vorstellung, direkt auf der Linie zu sitzen, fühlt sich für mich falsch an. Zoé fand das interessant und überlegte, was ein Psychologe dazu wohl meinen würde. Also fragte ich einen.
Die Antwort: In der Psychologie gibt es keine Linie zwischen Geburt und Tod, sondern Wellen. Eine gerade Linie stellt Zeiteinheiten dar, Jahre oder Jahrzehnte. Die Lebenslinie besteht aus besseren und schlechteren Zeiten. Dies hatte ich also gesehen und meine Positionierung deutet darauf hin, dass ich mich derzeit deutlich über dem Durchschnittsniveau befinde.
Das ist so richtig wie sonderbar. Trotz Umzug und Jobverlust fühle ich mich tatsächlich energetisch aufgedrillert und positiv. Die Wohnung ist schön geworden, es gibt Perspektiven für meine Zukunft, und vielleicht hat auch meine Mutter gerade nichts zu tun dort oben und hält mir die Hand.
Wie ist es bei euch? Wenn euer Leben eine Wellenlinie ist – wo befindet ihr euch im Moment?
Heimweg
Ich holpere mit dem Fahrrad über zerplatzte Kastanien, die auf dem Asphalt kleben. Ein paar letzte Sonnenstrahlen tanzen durch die Bäume und es riecht nach feuchtem Laub. Am Straßenrand sammeln sich abgestorbene Blätter, die der Wind aus den Vorgärten holt, sie trudeln eine Weile herum und beruhigen sich, bleiben am Ende kraftlos liegen. Von Tag zu Tag wird die Luft kühler und das Licht weicher.
Ich bin auf dem Nachhauseweg von meiner Mutter. Diese Strecke fahre ich nun jeden Tag und es wird immer später, bis alles erledigt ist bei ihr. Jetzt bricht die Dämmerung herein, in der Innenstadt beginnt das Nachtleben: Aufgeputzte Menschen promenieren zu Kneipen und Restaurants, Liebespaare umschlingen sich öffentlich, Autos steuern in die Tiefgarage.
Ich friere. Morgen muss ich mich wärmer anziehen und daran denken, ein Fahrradlicht einzustecken.