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Lernfragen

Ein neuer Deutschkurs beginnt, erste Stunde: Der Dozent prüft Formulare, fragt fehlende Anmeldedaten ab, es ist laut im Unterrichtsraum. Nach einiger Zeit gehen manche ans Fenster zum Rauchen, andere fangen an zu telefonieren. Der Dozent scheucht die Raucher vor die Haustür und verkündet eine zehnminütige Pause.

Nach dieser Unterbrechung mault er, dass der Fruchtjoghurt fehle, den er im Kühlschrank deponiert hatte. Jemand übersetzt, woraufhin ein Mann sich meldet und verwirrt den halb aufgegessenen Becher hochhebt. Andere senken das Kinn auf die Brust, als schämen sie sich für ihre Landsleute.

Die Leiterin der Abteilung Integration trifft ein. Sie spricht mit dem Dozenten und baut sich dann vor der Klasse auf: „Merken Sie sich,“ bellt sie, „dass Sie im Unterricht nicht herumlaufen, rauchen oder telefonieren. Die Toiletten sind sauber zu halten, fremdes Eigentum ist zu respektieren. Wer das nicht lernt, muss gehn. Wir haben lange Wartelisten.“

Es ist jetzt still geworden. Ein Teilnehmer aus dem Fortgeschrittenenkurs übersetzt. Ich überlege, ob mir der Auftgritt der Abteilungsleiterin gefällt oder nicht. Und ob es woanders üblich sein kann, sich an fremden Kühlschränken zu bedienen. Und dass Menschen aus unterschiedlichen Schichten zwei Jahre lang zusammen zur Schule gehen werden.

Studiengang „Moderne Alltagstechnik“

Bei meiner Arbeit habe ich viel gelernt in den letzten Jahren, was in einer Bildungseinrichtung nicht überrascht. Ich weiß jetzt zum Beispiel, wie man die Toilette benutzt. Sie befindet sich in unserem Gebäude in einer fensterlosen Kabine, in der sich nach dem Betreten automatisch das Licht einschaltet. Genauso automatisch erlöscht es nach einer Weile wieder und das Dilemma ist, dass ich da manchmal noch sitze.

Wer sich diesen kurzen Intervall ausgedacht und programmiert hat, weiß ich nicht, aber immerhin muss ich heute noch darüber lachen, wie ich einst im Stockfinstern auf der Kloschüssel saß und wild mit den Armen fuchtelte. Das war am Anfang, als ich die Technik noch nicht verstand und versuchte, den Sensor auf mich aufmerksam zu machen. Der stellte sich aber stur und gab kein Signal weiter. Es blieb dunkel.

schwarz

Ich musste also den Grund meines Aufenthalts an diesem nunmehr nicht nur stillen, sondern auch dunklen Örtchen unter den gegebenen Umständen zum Abschluss bringen und als ich die Kabine verließ, ging das Licht wieder an. Da wusste ich: Man muss die Tür aufmachen.

Künftig hatte ich also bei Sitzungen, die länger als neunzig Sekunden dauerten, die Tür einen Spalt zu öffnen und gleich wieder zuzuwerfen, als spielte ich „Kuckuck“. Das bedeutete: ich musste planen. Im Bedarfsfall prüfte ich nun das Vorlesungsverzeichnis und ermittelte eine günstige Zeit, um die Wahrscheinlichkeit einer unfrequentierten Toilette zu erhöhen und keine gackernden Studentinnen anzutreffen.

Bald fiel mir aber auf, dass ich die Tür gar nicht aufmachen muss – es genügt, den Türgriff herunterzudrücken. Der Sensor ist also gar nicht so blöd, und die Programmierung der Leuchtdauer ist vielleicht der Lausbubenstreich eines Mechatronik-Studenten und übrigens nicht das einzige Beispiel hier, das eine solche Annahme vermuten lässt.

Leider ist meine Arbeitsstelle befristet und wird in drei Monaten enden. Aber ich möchte hier nicht weg. Wo werde ich je wieder solche Studien betreiben können??