Schlagwort-Archive: Menschen

Kardamena City

Wer seine englischen Sprachkenntnisse auffrischen will, sollte nach Griechenland reisen. Genauer gesagt nach Kardamena auf der Insel Kos. Wer hier am Strand steht und aufs Meer hinausblickt, sieht in der Ferne die türkische Küste schimmern. Wer sich dann umdreht, sieht aneinandergereihte Strandbars mit Schildern, auf denen „10PM Bingo – Midnight Quiz“, Greg’s Place“, The Galleon Inn“ und dergleichen steht.

In den Restaurants erwarten den Touristen neben ein paar traditionellen griechischen Gerichten vor allem Pasta, Pizza und Fleischgerichte wie Roastbeef und Ähnliches. An den Nebentischen wie auch tagsüber am Strand lassen sich die zum Teil vernehmlich geführten Konversationen in bestem Manchester/Lancashire-Akzent mühelos mitverfolgen und man erfährt ein wenig aus dem Leben der Beteiligten (ob man will oder nicht). Mit anderen Worten: Der Ort ist fest in britischer Hand.

Neben den akustischen Eindrücken ist auch eine beeindruckende Optik zu bestaunen. Zum einen haben die Damen und Herren aus dem Vereinigten Königreich mitunter erheblich mehr an Körperfülle aufzubieten als hierzulande, zum andern muss der häufig zu besichtigende Körperschmuck erwähnt werden. Es ist immer interessant, was Menschen in anderen Ländern oder Kulturkreisen schön finden, und bei diesen sind es Tattoos, für die in der Regel auch genug Fläche zur Verfügung steht. Deshalb sind Arme, Beine, Brustkörbe und Rücken üppig mit Bildern und Ornamenten ausgestattet, und zwar auch bei Älteren. Und bei Frauen. Und älteren Frauen.

 

Kardamena-Pub

Kardamena-Tafeln

Kardamena_Bar2

Frühlingsflört

Wir sitzen in einem kleinen Cafe in der Fußgängerzone, einer der ersten warmen Frühlingsnachmittage. Menschen bummeln vorbei, strecken ihr Gesicht in die Sonne, wollen mehr abbekommen.

Nicht weit von uns hockt eine Punkerin auf dem Boden. Immer wieder beugt ein Passant sich zu ihr nieder und will Geld in den Plastikbecher werfen. Sie aber streckt jedes Mal rasch ihre Hand aus, nimmt die Münzen selbst in Empfang, eine kurze Berührung, sie spricht mit den heute spendablen Menschen und schenkt ihnen ein hinreißendes Lächeln.

Von der andern Seite nähert sich ein Mann, groß, kräftig, vielleicht um die Fünfzig. Er schiebt ein Fahrrad durch die Menschen, es ist mit Plakaten und Tafeln so voll dekoriert, dass er nicht mehr darauf sitzen kann. Vernehmlich und mit einem Leuchten im Gesicht singt er von Jesus und unserer himmlischen Rettung. Mit nach oben gerichtetem Blick schlendert an uns vorbei, braun gebrannt wie ein Gärtner, und verteilt Flyer.

Gegenüber an der Häuserecke wartet eine alte Dame. Elegant gekleidet ganz in Weiß wie die Frau aus der Raffaelo-Werbung steht sie da und es kommt niemand. Mit grell geschminkten Lippen zieht sie an einer Zigarette und wundert sich vielleicht einmal mehr, dass kein Mann um ihre Aufmerksamkeit wirbt. Sie ist zu schön für all die Dutzendgesichter, mag sie sich heute denken. Der Besondere, der, für den sie sich seit langem bewahrt und für den sie sich zurecht macht, falls er ihr begegnen sollte, muss heute wohl arbeiten.

Ich rühre meinen Kaffee um und blinzle zum Liebsten, der nicht müde wird, mir all diese Sonderlinge zu schildern, als wäre ich blind.

Wie grau wäre unser Leben ohne Frühlingstage, wie leer ohne diese Menschen?

Körperwelten

Da geht man durchs Leben und denkt, man kennt sich aus. Bis im Schnellrestaurant eines Baumarkts jemand am Nebentisch sagt: „…ich finde der hat Flaschenschultern.“ Einen Moment lang vergesse ich, den Kaffee weiterzurühren, noch nie habe ich eine solche Bezeichnung gehört. Meine Ohren werden lang und wachsen bis zu der jungen Frau, von der dieser Befund stammt. Es geht um  Jogi Löw. Sein Bild liegt in einer aufgeschlagenen Zeitschrift groß auf dem Tisch, und was ich nie gesehen habe, fällt mir nun auch auf: Die Schultern. Sie fallen tatsächlich ein wenig ab, der Hals erscheint dadurch länger. Ein Flaschenhals sozusagen, auslaufend in Flaschenschultern. Könnte das der Grund sein, warum Jogi Löw stets einen Schal trägt? Ist mehr Hals da, der frieren kann? Vielleicht versucht er auch einen optischen Trick: Der Blick wird auf den Schal gelenkt und verweilt nicht auf den Flaschenschultern.

Nachdem ich diesen Aspekt der menschlichen Anatomie staunend zur Kenntnis genommen habe, begegnen mir später beim Streifzug an Glühbirnen und Steckschlüsseln vorbei vereinzelt Menschen mit Flaschenschultern. Als wären die nach einem Knopfdruck soeben nach unten gerutscht. Plopp!

Zu den Schultern