Schlagwort-Archive: Musik

Vereinte Nationen

Ich schau mir morgen den European Song Contest an. Ist das schlimm? Ich habe sogar eine Verabredung verschoben deswegen. Und das, obwohl die Musik meist gar nicht mein Geschmack ist. Aber darum gehts ja auch nicht.

Mir geht es um die Idee.

Da treffen sich Menschen aus Deutschland, Großbritannien, Griechenland, der Schweiz,  Dänemark, Russland, Aserbaidschan, Nordmazedonien oder aus welchem Land auch immer. Gestern im Halbfinale traten auch Sängerinnen und Musiker mit Behinderungen auf.

Sie alle haben sich herausgeputzt, treten auf dieselbe Bühne, und allen merkt man ihre Aufregung an, aber auch den Stolz auf ihr Land. Wenn man ihre Sprachen nicht hörte – man würde keine Unterschiede erkennen. Gebt mir diese funktionierende Welt als  Zwischenruf in unseren komplexen Zeiten.

Lasst uns doch schauen, was uns aneinander hält, was uns allen Spaß macht, und was uns zusammenhält. Lasst uns das miteinander feiern, und alle gewinnen.

Schaut ihr euch das Spektakel auch an?

 

Das Labyrinth

Der Weg ist da. Er führt ans Ziel, doch es braucht Geduld. Umwege und Barrieren machen das Vorankommen schwer, jeder Schritt bedeutet Begrenzung oder Öffnung. Was hat dieses Labyrinth mit meinem Leben zu tun? Das frage ich mich nicht im lustigen Irrgarten eines Maisfelds, sondern als sich in der Bayerischen Staatsoper in München der Vorhang hebt.

Zur Overtüre von „Fidelio“ wird aus der Finsternis heraus ein mächtiges Gerüst aus Stahl und Glas sichtbar, an dem die zuckenden Lichtläufe der Neonröhren an Stromstöße erinnern. Im Lauf der Aufführung werden darin allerlei Menschen nach Auswegen suchen oder auch verharren. Es geht um Gefangensein und Befreiung.

Neben einem herausragenden musikalischen Ereignis ist es gerade auch das Bühnenbild, das durch immer neue Arrangements von Menschen, Elementen und Lichteffekten fast drei Stunden lang für Gänsehaut sorgt. Es lässt Interpretationen zu und meine Gedanken stehen nicht mehr still seit diesem Suchen und Lieben dicht neben Verzweiflung und Isolation. So muss Oper sein: Spektakulär für alle Sinne. Ich bin – wie meine Tochter es ausdrücken würde – „geflashed“. Immer noch.

Fidelio – Ludwig van Beethoven – Oper in zwei Akten

Ort: Nationaltheater München
Musikalische Leitung: Zubin Mehta
Inszenierung: Calixto Bieito
Bühnenbild: Rebecca Ringst
Sprache: Deutsch
Tickets: Zu Weihnachten gekriegt von meinen Kindern. 💕
Trailer zur Fidelio-Aufführung im Jahr 2010 mit demselben Bühnenbild (aber anderem Dirigenten und teilweise anderen Sängern):

Wen’s interessiert:
Fidelio ist die einzige Oper Beethovens. Die Handlung basiert auf einer wahren Begebenheit in Frankreich, die in der Oper nach Spanien verlegt wurde.

In der Geschichte sucht Leonore, die Frau eines seit Jahren verschwundenen politisch Opositionellen, ihren Mann Florestan. Sie vermutet ihn in einem bestimmten Gefängnis, verkleidet sich als Mann, nennt sich Fidelio und arbeitet als Helfer des Kerkermeisters Rocco. Sie findet ihren Mann und befreit ihn.

Vorher passiert aber noch so einiges. Zum Beispiel verliebt sich Roccos Tochter Marzelline in Fidelio und diese weist deshalb ihren Verehrer Jaquino zurück. Leonore aber liebt ihren Mann. Rocco liebt seine Tochter und Jaquino liebt Marzelline. Darüber singen die vier in einem hinreißenden Kanon, für mich eine der zentralen Stellen labyrinthischer Verwicklungen, als außer Jaquino jeder glaubt, dass alles klar sei:

„Mir ist so wunderbar“
Marzelline
Mir ist so wunderbar,
Es engt das Herz mir ein.
Er liebt mich, es ist klar,
Ich werde glücklich sein.

Leonore
Wie groß ist die Gefahr,
Wie schwach der Hoffnung Schein.
Sie liebt mich, es ist klar,
O namenlose Pein!

Rocco
Sie liebt ihn, es ist klar;
Ja, Mädchen, er wird dein.
Ein gutes, junges Paar,
Sie werden glücklich sein.

Jaquino
Mir sträubt sich schon das Haar,
Der Vater willigt ein.
Mir wird so wunderbar,
Mir fällt kein Mittel ein.

„Mir ist so wunderbar“ aus einer traditionellen, labyrinthfreien Inszenierung.

Ablenkung

Wer auf andere Gedanken kommen will, dem empfehle ich Simone Kermes. Mir hats geholfen. Ich erlebte am Wochenende ein Konzert mit ihr im Festspielhaus Baden-Baden, wo sie zusammen mit Vivica Genaux auftrat. Rival Queens nennt sich das Programm, bei dem die beiden Stars zwei Sängerinnen nachspielen, die sich vor fast dreihundert Jahren auf den Opernbühnen in London gegenseitig an die Wand gesungen haben.

Ich klebte mit Augen und Ohren nur an Simone Kermes, der Lady Gaga unter den klassischen Sängerinnen. Sie feuert eine Energie in den Saal, dass einem die Lebensgeister Saltos schlagen. Dabei bleibt sie bei all ihrer Stimmgewalt und oft bizarren Aufmachung ganz sich selbst. Sie singt ja nicht einfach vor. Sie ist das, was sie singt. Mir fehlen jetzt grad die Worte.

Man kann nur auf die Knie fallen und Gott danken, dass es solche Künstler gibt. Da lohnen sich ein paar Euro mehr für die Eintrittskarte. Ich habe einen Abend erlebt, den ich nie vergessen werde.

Kostprobe?

Das gehörte nicht zu „Rival Queens“, zeigt aber ihre großartige, makellose Stimme.

 

Auch das gehörte nicht zur „Rival Queen“, zeigt aber, wie Simone Kermes „tickt“. Und: Sie trägt bei dieser Aufführung in Zürich dasselbe Kleid wie letzten Freitag.

Jetzt muss ich weiter durch Youtube klicken, ich krieg nicht genug!

Karfreitag in Griechenland

Heute möchte ich mal von Ammoniakgebäck und einem gemütlichen Abend in Griechenland erzählen. Am Karfreitag werden dort also  traditionell kleine Kringel gebacken, die tatsächlich mit Ammoniak zubereitet werden, damit sie schön aufgehen. Man kann auch Haarfärbemittel damit herstellen (aus Ammoniak, nicht aus den Kringeln) und da Griechenland nicht entvölkert ist, wissen wir jetzt, dass man Ammoniak essen kann.

Wenn diese „Kulurakia“ verspeist oder an die Nachbarn verteilt worden sind und man weiß nicht, was anfangen am Abend, dann schaut man spontan bei einem Freund vorbei. Wie es dort zugeht, seht ihr hier, vor zwei Tagen aufgenommen:

 

 

Woher ich das alles weiß? Die Tochter lebt gerade in Samos, einer griechischen Insel nahe der türkischen Grenze. Wer mehr über das Leben dort wissen will, erfährts hier: http://marissasamos.wordpress.com/

Aber egal ob griechisch, deutsch, schweizerisch oder schwäbisch:

Ich wünsche euch allen ein scheenes Ooschderfeschd!

 

Einklang

Wir saßen in der Schalterhalle und ich hörte kein Glöckchen. Ich hörte eine Lerche, die aus dem Käfig entkommen war und nun auf dem Fensterbrett jubelte. „La Campanella“. So heißt die Etüde von Franz Liszt, die gestern unter anderem gespielt wurde bei einem Konzert, das in der örtlichen Bank stattfand. Der Flügel stand dort, wo es zu den Büros geht, eine Japanerin beugte sich über die Tasten,  jagte mit schmalen Händen nach links und nach rechts und trug die Besucher, die auf den Stuhlreihen um sie herum Platz genommen hatten, davon. Bei den Klängen dieses Stücks fühlte ich mich auf einmal so frei, dass es meinen Nerven zuviel wurde und ich fing an zu weinen. „La Campanella“. Das Glöckchen. Für mich eine Lerche, wie gesagt.

.

Gespielt von Valentina Lisitsa