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Man sieht schon das Köpfchen!

Genau gesagt drei Köpfchen sind es geworden. Wie kleine U-Boot-Periskope tauchen sie auf und besichtigen die Welt. Die besteht vorerst aus einer Dorfstraße, ein paar Häuserreihen, Wiesen und am heutigen Tag aus einem leuchtend blauen Himmel.

Über den dunkel-flaumigen Zwerglein ragt mächtig und weiß die Storchenmutter. Jetzt biegt sie den Hals weit zurück, bis der Kopf am Rücken ankommt und ihr Schnabel in die Luft zeigt. Unter lautem Geklapper richtet sie sich elegant wieder auf, hält einen Moment inne und stupst dann eins der Federköpfchen, die vor ihr herumwackeln.

Nur wenn der Sommer feucht bleibt, wenn Frösche, Schnecken und Würmer sich nicht ins Erdreich vergraben – nur dann werden die hungrigen Hälschen gestopft. Bei Futternot stoßen die Eltern ihren Nachwuchs aus dem Nest. Die Küken zählt man erst im Herbst.

Vorbeigegangen

Wo habe ich meine Augen gehabt? Jeden Tag hätte ich es sehen müssen, wenn ich vom Parkplatz die paar Schritte zur Arbeit ging. Neben dem Firmengebäude steht nämlich ein Strommast. Das überrascht nicht weiter, auch kleine Orte wie dieser werden mit Elektrizität versorgt, und irgendwo muss sie ja her kommen. Heute aber fiel mir zum ersten Mal auf, dass  oben auf dem Holzpfahl Gestrüpp liegt. Dort, wo die Leitungen vom Mast wegführen, hängen außerdem Stofffetzen wie Überreste vom letzten Fasching. Es fand aber kein Umzug statt hier, und bunte Wimpel an Stromleitungen anzubringen, wäre auch ungewöhnlich.

Ich trat näher und erkannte Plastikstreifen, die um die Leitungen gelegt und festgetuckert waren. Auf dem Mast lagen Zweige, dass es aussah wie der Horst eines prähistorischen Flugsauriers, dessen Bewohner vor elektrischen Leitungen geschützt werden sollte. Ich lief ins Büro und fragte eine Kollegin: „Hast du gesehen, was auf dem Strommast da drüben ist?“ „Ja sicher, ein Storchennest. Das wird wieder ein Klappern, den ganzen Sommer hören wir es!“ Storchennest? Klappern? Seit letztem Frühjahr arbeite ich hier, Tag für Tag gehe ich vom Parkplatz zum Büro, die Fenster sind bei warmem Wetter offen. Aber dass zwanzig Meter weiter ein Strommast steht, der klappernde Störche beherbergt, habe ich nie gesehn, nie gehört.

Freilich, das letzte Jahr war kein Jahr wie andere, vieles nahm ich nicht wahr. Auch stellt sich immer wieder heraus, dass Dinge komplett aus meinem Gedächtnis verschwinden, als haben sie nur einen Besuch machen wollen. Es ist möglich, dass ich das Nest sah, erinnern kann ich mich daran aber nicht. Ich sah es heute zum ersten Mal.