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Reisetipp

Ich denke gerade verträumt an ein Highlight zurück, während ich Bewertungen für die Hotels und Unterbringungen unserer Reise vergebe. Wer vorhat, irgendwann einmal in den Nordosten von England zu reisen, dem empfehle ich diese Perle: das Granary Guest House in Berwick-upon-Tweed.

Ich war hingerissen von der Ausstattung im Boutique-Stil: Da wird gekonnt und mit Liebe zum Detail eine moderne Einrichtung mit traditionellen englischen Elementen kombiniert – luxuriös, aber nicht aufdringlich. Es handelt sich um ein Bed&Breakfast-Angebot, man ist also in einem (geräumigen) Wohnhaus untergebracht. Es gehört Pam und David Waddell aus Schottland, die so herzlich um ihre Gäste bemüht sind, dass man gar nicht mehr gehen will. David fuhr uns zum Beispiel bei unserem Tagesausflug nach Edinburgh unaufgefordert zum Bahnhof (zu Fuß wären es etwa zehn Minuten gewesen), weil es zu regnen begonnen hatte. Und Pams Frühstückskreationen könnten sich jederzeit in einem Edelrestaurant sehen lassen, selbst das Haggis! Massagen werden auch angeboten, dafür hatten wir jedoch keine Zeit. Der Übernachtungspreis hält sich im Rahmen, wir hatten über Tripadvisor ein günstiges Angebot erwischt.

Aber natürlich begeistert mich auch Berwick selbst, schon durch seine Geschichte beim Umgang bei kriegerischen Auseinandersetzungen (ich berichtete). Der Ort hat durch seine Grenzlage einen Sonderstatus und muss Kriegserklärungen wie auch Friedensverträge separat unterzeichnen. Beides wurde beim Krimkrieg mit Russland vor vielen Jahren einfach vergessen, und darauf setze ich: „Berwick für alle!“  und Frieden für die Welt.

Ansonsten handelt es sich um eine gepflegte kleine Stadt mit gut erhaltenen Befestigungsanlagen aus dem Mittelalter. Es gibt ein paar Läden, Restaurants und Galerien sowie wunderschöne kleine Parks und Fußwege am Tweed entlang oder am Meer. (Berwick liegt an der Mündung). Es liegt etwas Nordisch-Schroffes und zugleich Verzauberndes über  diesem Ort, der zumindest Ende August nicht von Touristen überlaufen ist, sondern ein Geheimtipp unter Engländern zu sein scheint. Ich finde: Berwick und das Granary Guesthouse sind die perfekte Umgebung für ein ❤ romantisches Wochenende ❤ zu zweit!

Eins ist allerdings Voraussetzung: Man muss sich auf Englisch einigermaßen verständigen können. Hier spricht niemand deutsch.

Der Engel des Nordens oder: Zeigen, wo der Hammer hängt

Die nordenglische Stadt Gateshead grenzt direkt an Newcastle, und beide Städte liegen in einem andauernden Wettstreit, wer die bessere ist. 1998 hatte nun Gateshead plötzlich ein Monument, das seinesgleichen suchte: Antony Gormleys Skulptur Angel of the North, die vom östlichen Zubringer zur A1 aus zu sehen ist und weltberühmt wurde.

Newcastle schlug zurück und baute im Jahr 2000 das neue Wahrzeichen der Stadt:
die Millennium Bridge.

Millennium-Bridge

Darauf folgte 2004 die Fertigstellung der spektakulären Konzerthalle in Gateshead: The Sage.

The-Sage

Städte sind manchmal wie kleine Kinder.

Zurück zum Engel des Nordens: Die Skulptur erscheint dreidimensional, ist aber ausschließlich aus flachen Metallplatten gefertigt. Und warum ein Engel?

Gormley: „Ich kann dazu nur sagen, dass noch nie jemand einen gesehen hat und wir sollten uns die Vorstellung davon bewahren. Der Engel des Nordens ist

  1. ein historisches Denkmal zur Erinnerung an die Bergleute, die über zweihundert Jahre lang genau an dieser Stelle unter Tage Kohle abgebaut haben,
  2. ein zukunftsweisendes Denkmal, weil es unseren Übergang vom industriellen Zeitalter ins Informationszeitalter darstellt,
  3. ein Denkmal als Zielpunkt für unsere Hoffnungen und Ängste.“

Mein Eindruck ist: Der rostbraune Stahl steht in einem fantastischen Kontrast zum blauen Himmel und egal ob man davor, daneben oder dahinter steht – der Engel strahlt in jeder Perspektive eine enorme Ruhe, Stärke und Schönheit aus. Ein großes Erlebnis.

Mehr darüber

Newcastle II – Geheimtipp

Was religiöse Einrichtungen betrifft, hat man in England eine entspanntere Sicht als bei uns. Deshalb ist es auch möglich, dass in einer englischen Kirche ein Coffeeshop untergebracht ist. Wer in Newcastle im Stadteil Jesmond unterwegs ist, dem empfehle ich einen Besuch im Cafe 1901. Ich bin erst skeptisch, aber die Neugierde siegt dann doch und wir betreten einen gemütlichen, größeren Raum, dessen Einrichtung komplett auf Flohmärkten erworben zu sein scheint. Kein Teil gleicht dem anderen und alles ist mit vielen Details hübsch eingerichtet. Von der Kirche (ich glaube es ist eine Methodistenkirche) ist an einer Seite die Mauer zu sehen. Das Cafe ist natürlich abgetrennt vom Gebetsraum, befindet sich aber im selben Gebäude. Die Inhaberin des Cafes zahlt Miete an die Glaubensgemeinde, der die regelmäßigen Einnahmen offenbar gelegen kommen. Der geliebte Brite erinnert sich nun an frühere Zeiten, als in einer Kirche ein Postamt untergebracht war. Alle Kritiker der Kirchensteuer mögen einmal darüber nachdenken, was sie von solchen Lösungen halten, um Instandhaltung usw. finanzieren zu können.

Das Sahnehäubchen im Cafe 1901 ist aber, dass die sehr sympathische Inhaberin Sprachen studiert hat, längere Zeit in Stuttgart und Frankfurt lebte und fließend deutsch spricht. Selbst ein „Gell“ hängte sie noch an. Heideblitz!

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Newcastle upon Tyne

Die Hauptstadt Northumberlands gehört zum festen Programmpunkt unserer Reisen nach England. Hier lebte der geliebte Brite viele Jahre, hier leben seine Lieben. Aber auch davon abgesehen wird es hier nicht langweilig, denn es gibt zum Beispiel das Baltic Centre for Contemporary Art.

Newcastle
Ida Ekblad, eine junge norwegische Künstlerin, gehört zu den Ausstellern. Sie ist fasziniert von Fundstücken. Jedes einzelne bringt eine Geschichte mit und der Betrachter wird zu eigenen Assoziationen angeregt.

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Diese kleine Installation (Ausschnitt) hat mich am meisten angesprochen.

Die Biscuit Factory ist eine Galerie mit Kunst zum Anfassen. Hier findet man Bilder, die man an die Wand hängen, Sculpturen, die man aufstellen, Schmuck, den man tragen kann. Alles ist zum Kaufen und einigermaßen erschwinglich. Von Joanne Wishart zum Beispiel hängt ein signierter Druck bei uns zu Hause mit dem Fischerhafen in Craster. Das ist der Ort, wo die guten Kippers herkommen und der vor wenigen Tagen eine Station auf unserer Küstenwanderung war.

Newcastle (1)Eins der Werke von Stefan MAS Persson (Schweden), bei denen man nicht wegschauen kann, weil man die Perspektiven verstehen will. Geht aber nicht.

Krimskramsmärkte gibts natürlich auch, und zwar den Grainger Market mit unzähligen Händlern. Wie in jeder Küstenstadt gehören auch ein paar Fischstände dazu. Seht mal genau hin:

Newcastle (3)
Genau. Links, das Dunkle.

Newcastle (2)

Das sind Seeteufel. Wir wollen die Engländer und ihre zum Teil sonderbaren Essgewohnheiten aber in Schutz nehmen: etwas Derartiges essen selbst sie nicht, zumindest nicht die Köpfe, die hier in abgetrenntem Zustand angeboten werden. Das ist mehr was für Chinesen, erläutert der nette junge Fischverkäufer. Chinesen essen alles. Mehr über Seeteufel: Hässlich, heimtückisch, lecker.

Coast Path

Am Anfang denkt man noch über seine Füße nach, die solche Märsche nicht gewöhnt sind. Am Anfang plaudert man auch ein wenig. Am Anfang sammelt man unablässig angespülte Schätze, für die sich nur Binnenländer begeistern können: Muscheln, Vogelfedern, schöne Steine. Taschenweise schleppe ich das Zeug davon. Wir wandern seit Tagen den Coast Path entlang, einen Fußweg an der Küste Nordenglands. Wir gehen von Warkworth nach Alnmouth nach Craster nach Seahouses nach Bamburgh. Das sind täglich mehrere Stunden an der Nordsee.

Es ist nichts zu hören außer der Brandung und dem Wind, der uns um die Ohren pfeift. Vereinzelt dringen die Rufe von Seevögeln ans Ohr, die in den Wellen nach Würmern und Fischen suchen. Wenn der Weg hinter die Dünen führt, gerät man in eine andere Welt: hier steht die Luft still und kein Laut ist vernehmbar außer unseren Schritten durch das hohe Gras links und rechts des Pfads. Gelegentlich piepsen ein paar Vögelchen vor sich hin.

Wir gehen aber überwiegend am Strand entlang, wo Wind und Wellen unterschiedliche Muster in den Sand zeichnen. Manchmal liegen einzelne Algenstämme mit beerenartigen Blüten oder Früchten herum. Dann wieder ist der ganze Strand mit Algen bedeckt und es ist glitschig, wenn man drüber geht. Manchmal kommt lange nur feinster, sauberer Sand, der leicht unterspült wird und es sieht es aus, als gehe man auf Glas. Dann wieder liegen schwarze Gesteinsbrocken da in bizarren Formen, mit Flechten bewachsen oder auch nicht, und wir steigen über sie hinweg. Weite Strecken tragen wir unsere Schuhe in der Hand und gehen barfuß.

Das Meer wälzt sich über den Strand und erzählt Geschichten. Wenn man über die Lippen leckt, schmeckt es salzig. Die Strände sind kilometerlang und während der Ebbe oft mehrere hundert Meter breit. Mir wird mitunter schwindelig, weil das Auge fast nichts mehr zum Festmachen hat und das Gehirn durcheinander kommt. Am Nachmittag beginnt die Flut, und in die Nacht gehört alles wieder dem Meer.

Irgendwann hören die Gespräche auf. Irgendwann werden keine Muscheln mehr in die Taschen geschaufelt. Irgendwann hören die Gedanken auf. Dann geht man nur noch, und gibt sich hin: der Unendlichkeit des Ozeans, dem Wind, dem Geruch des Wassers. Übrig bleiben nur noch Schritte im Sand. Einer nach dem andern.

Gestern habe ich in einer E-Mail erfahren, dass das Förderprojekt, für das ich arbeite und das im September endet, nicht durch ein anderes ersetzt werden kann. Vielleicht später, vielleicht gar nicht. Ich habe also ab Oktober keine Arbeitsstelle mehr. Aber kann ich im Moment durch Grübeln etwas ändern? Ich lasse es einfach zurück, werfe es ins Meer, gehe weiter. Alles zu seiner Zeit.

Im Moment möchte ich auf die Knie sinken und Gott danken für die Schönheit dieser Natur, und dass ich hier sein darf.

Farne Islands

Lindisfarne (3)

Geht doch! Vögel mit unterschiedlicher Federfarbe friedlich nebeneinander. Warum ist es bei Menschen ein Problem?

Wir befinden uns auf einer Bootstour zu den Farne Islands vor der nördlichen Küste Northumberlands. Dabei wird man an ein paar Inseln vorbeigeschippert und sieht Kormorane, Silbermöwen und sogar Seehunde.

Lindisfarne (4)Auf einer der inneren Inseln geht man an Land und sieht Tausende Klippenmöwen, die sich eng an die schroffen Felsen schmiegen. Es ist hier sehr windig. Auch Kormorane und andere Möwenarten kann man aus der Nähe beobachten, aber eine Tour zu diesen berühmten Vogelinseln macht man besser im Juni/Juli. Ende August sind einige Vogelarten schon in den Süden gezogen, der berühmte Papageientaucher zum Beispiel.

Das Abenteuer beginnt auf der Rückfahrt. Auf direktem Weg hätte sie etwa fünfzehn Minuten gedauert, unsere geht gefühlt über Stunden. Wir müssen nämlich den Kurs ändern. Die Nordsee ist nicht das Mittelmeer, und wegen der beginnenden Flut und aufkommendem Wind wird sie ein wenig ungehalten, um nicht zu sagen rau. Die Wellen sind nun doch recht hoch, und unser offenes Bötchen schlingert arg hin und her. Wir sitzen an der Außenseite, und die geht weit nach oben und wieder runter, zurück nach oben und wieder runter, wie in der Achterbahn fühlt sich das im Magen an. Und Wasser schwappt auch rein. Manche Mitreisenden johlen und lachen, ich nicht. Es wird immer schlimmer.

Interessant ist, was einem in solchen Momenten durch den Kopf geht. Es ist nicht die Vorstellung, dass das Boot kentern und wir darunter geraten und die Wasseroberfläche nicht rechtzeitig finden könnten. Es sind auch keine letzten Gedanken an die Kinder oder dergleichen. Das einzige, woran ich denken kann, ist meine Kamera. Sie ist neu und ich mache mir große Sorgen, dass sie unter Wasser kaputt gehen würde. Meine Gedanken kreisen darum, ob Schiffuntergänge von der Versicherung abgedeckt sind und dass ich womöglich den restlichen Urlaub keine Bilder mehr machen kann.

Solcherart gedankenverloren nähern wir uns dem Land, und zwar an einer ganz anderen Stelle als der, von der wir abgelegt hatten, aber es wird allmählich ruhiger. Schließlich wendet das Boot und fährt an der Küste entlang zurück zum Hafen von Seahouses.

Lindisfarne (1)Darin trotzten wir den Wellen!

Ich brauche sowas ja nicht. Aber wenn man alles unter Kontrolle haben will, darf man nicht reisen. Und das wäre noch schlimmer.

Berwick-upon-Tweed

Berwick ist die nördlichste Stadt Englands, und es wurde schon viel gestritten um sie. Über die Jahrhunderte hinweg hat sie dreizehn Mal die Zugehörigkeit gewechselt: Mal war sie englisch und mal schottisch, momentan ist sie englisch. Sie liegt an der Küste der Nordsee und an der Mündung des Flusses Tweed, der die Grenze zwischen England und Schottland bildet. Berwick liegt auf der nördlichen, also schottischen Seite des Flusses, gehört aber trotzdem zu England. Man hat in diesem Fall eine Ausnahme gemacht (wir sind ja schließlich nicht in Deutschland) und einfach die Grenze um Berwick herum gezogen. Damit ist sie die einzige Stadt Englands nördlich des Tweed.

Durch die Grenzlage gibt es massive Befestigungsanlagen aus dem Mittelalter, die sehr gut erhalten sind. Man kann auf Galerien am Fluss entlang oder auf den breiten, grasbewachsenen ehemaligen Stadtmauern schöne Spaziergänge machen. Betrunkenen würde ich von Letzterem abraten, denn die eine Seite des Wegs fällt so steil ab, dass sich der Strauchelnde niemals festhalten könnte. Nach etwa einem Meter geht es etwa zehn Meter nach unten, die Stadtmauer eben. Die Engländer sind sonst gut im Zäune bauen, aber hier ist ihnen offenbar das Material ausgegangen. Der Weg ist völlig ungesichert und wenn man wirklich ins Fallen käme, wäre es tödlich.

Berwick (3)

Wenige Zentimeter links von der Möwe geht es senkrecht nach unten. Die Höhe der Mauer sieht man gegenüber.

Berwick (2)

Das Bild wurde vom Fußweg auf der Stadtmauer aus aufgenommen.

Die Geschichte vom Kriegszustand mit Russland
Wegen einer staatsrechtlichen Sonderstellung musste Berwick in jeder offiziellen Bekanntmachung gesondert erwähnt werden. Dazu soll 1854 auch die Kriegserklärung gegen Russland im Krimkrieg gehört haben. Bei der Unterzeichnung des Friedensvertrages von Paris 1856 sei Berwick-upon-Tweed jedoch vergessen worden, sodass der kleine Ort eines Tages erschrocken realisierte, dass es sich seit 113 Jahren im Krieg mit Russland befand. Erst 1966 besuchte ein sowjetischer Gesandter den Bürgermeister Robert Knox und unterzeichnete mit ihm einen offiziellen Friedensvertrag. Angeblich soll Knox danach gesagt haben: „Bitte teilen Sie dem russischen Volk mit, dass es von jetzt an wieder ruhig in seinen Betten schlafen kann.“

Später wurde darauf hingewiesen, dass Knox den Friedensvertrag gar nicht hätte unterzeichnen dürfen, da er nicht der Rechtsnachfolger von Königin Viktoria gewesen sei und das Problem somit weiterhin bestehe. Laut Recherchen britischer Medien handelt es sich dabei allerdings um einen Mythos – Berwick war schon bei der Kriegserklärung vergessen worden.

Berwick (4)