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St. Martin im Wandel der Zeit

An den Absperrungen um einen kleinen Vorplatz herum stehen junge Leute mit ihren Kindern, vor ihnen reitet ein römischer Soldat im Kreis. Eine Frau mit Kopfschleier schaut ebenfalls zu, während ihr kleiner Sohn nur Augen für den blinkenden Stab hat, an dem seine Laterne hängt. Er hält ihn höher und niedriger, schwenkt ihn hin und her und marschiert dann feierlich auf und ab, die Laterne vor sich haltend wie ein Schwert.

Währenddessen setzt der Römer zum Mantelteilen an, da bricht die Stimme des Erzählers ab. Seine Lippen bewegen sich weiter, aber man hört nichts mehr. Sekundenlang passiert nichts, das Publikum wird unruhig. Nun springt der Bettler auf. Er huscht zu dem Mann, entreißt ihm das Mikrofon, fummelt etwas an der Tonanlage, „eins, zwei“ hört man, es geht wieder. Der Bettler eilt an seinen Platz zurück und kauert sich wieder auf den Boden nieder.

„Brenne auf mein Licht, brenne auf mein Licht …“ singt ein kleiner Chor. Der Bettler ist inzwischen eingekleidet, der Soldat reitet weg, die Kinder halten ihre Laternen hoch, die Eltern ihre Handys.

„… und dein heller Schein, und dein heller Schein, der soll für immer bei uns sein.“

Nur darum gehts.

 

Die Allee

Wenn ich einmal durch diesen Tunnel gehe, dann soll er so sein wie diese Allee. Die Kronen der Baumreihen schließen sich über mir, Licht fließt durch das Laub, auf den Feldern liegt dicker Wildkräuterflaum. Es riecht wie nach einem Regenschauer.

Wenn ich durch diese Allee gehe, sind auch andere Menschen unterwegs: zu Fuß oder mit dem Rad machen sie sich auf den Heimweg nach einem langen Tag. Ich bin nicht allein, und das ist gut. Weiter vorne, am Ende der Allee, wird es hell. Vielleicht wartet dort jemand, doch das ist nicht wichtig. Ich setze einen Schritt vor den andern, höre die Vögel singen, es ist ein warmer Tag.

So träume ich manchmal, wenn ich auf dem Weg von der Arbeit nach Hause durch diese lange Allee radle. An ihrem Ende befindet sich ein kleiner Friedhof. Neulich standen wieder Menschen an einem offenen Grab, die Sonne schien ihnen auf die Schultern.

 

 

Herbstabend

herbstgelb

Dieses Motiv entdeckte ich auf dem Heimweg im Vorbeifahren. Es war das intensive Gelb der Obstbaumplantage, der leuchtende Lichtstreifen am Himmel und die gelbe Farbe auf der Rutschbahn, die mir ins Auge gesprungen waren. Es dauerte aber ein paar Minuten, bis ich einsah, dass mir das Bild nicht mehr aus dem Kopf gehen würde. Bevor der Himmel dunkel wurde, fuhr ich also rasch zurück und machte ein paar Aufnahmen. Auf einer ist mir noch ein Radfahrer mit eingeschaltetem Licht ins Bild gefahren. Perfekt! 🙂

Herbstabende voll weicher Helligkeit
Mit ihrem rührend rätselhaften Zauber…            weiterlesen

(Fjodor Iwanowitsch Tjuttschew)

Dezember-Haiku

Schwarzes Baumgeäst
mit feiner Pulverschneeschicht
Wir brauchen Brennholz

Was ist ein Haiku?

Das Haiku ist eine japanische Gedichtform, die als kürzeste der Welt gilt. Sie besteht aus einem Vers aus 3 Zeilen mit einer vorgegebenen Anzahl von Silben. Im Deutschen sind es üblicherweise 17 Silben, die in der Anordnung 5/7/5 auf die Zeilen verteilt sein sollen. Es dürfen aber auch weniger Silben sein.

Meist handelt es sich um konkret beschriebene Momentaufnahmen aus der Natur, Gefühle kommen nicht vor. Das Gedicht bleibt offen, der Leser fügt die Geschichte und damit verbundene Emotionen selbst zusammen.

Novembermorgen

Hinter ihren Lenkrädern sitzen die Menschen und starren mit trübem Blick auf die Fahrzeuge vor ihnen. Sie rollen in langen Blechkolonnen von den Außenbezirken zur Innenstadt, an Hauswänden und Eisentoren vorbei. Die Nacht hat sich noch nicht aufgelöst. Scheibenwischer streichen in langen Abständen den Nieselregen zur Seite, Scheinwerfer und Ampellichter spiegeln sich auf den nassen Straßen. Es geht nicht voran. An einer Bushaltestelle kauern vermummte Gestalten, der Wettermann spricht im Radio. „Es bleibt weiterhin kalt.“

Da rennen auf dem Gehweg plötzlich drei Kinder los. Sie rennen so angestrengt, dass auf ihren Rücken die Schultaschen wild hin- und herfliegen. Fluoreszierende Seitennähte schreiben kleine Lichtbögen in die Dunkelheit: mal blitzt es über der rechten, mal über der linken Schulter jedes Kindes. Die drei haben den Blick fest auf den einfahrenden Bus geheftet, gleich erreichen sie das Wartehäuschen. Während ich die in Weiß und Orange zappelnden Reflektorstreifen betrachte, fallen mir Schmetterlinge ein, die ich im Zoo einmal sah. Die hatten eine Art Leuchtflecken auf den Flügeln, und wenn sie herumflatterten, sah es auch aus, als ob sie blinken.

Schmetterlingskinder.

Novemberzauber

Distel-im-November (2)

 

„Verflucht sei der Acker um deinetwillen, mit Kummer sollst du dich darauf nähren dein Leben lang. Dornen und Disteln soll er dir tragen … “
(1. Buch Mose 3,17f).

So streng sehe ich das nicht. Gewöhnliche Ackerdisteln können – im richtigen Licht – immerhin recht hübsch sein. Heute fotografiert.

Novembernebel

Nicht viel zu sehen draußen
Eine trübe Suppe ist das
Blattlose Bäume in Dunstschwaden
Elstern husten sich heiser
Lass uns daheimbleiben

Was ist ein Akrostichon?

Der Begriff stammt aus der griechischen Sprache und bedeutet „Spitze, Äußerstes“ (akros) und Vers (stichos). Das Akrostichon war schon in der Antike, aber auch im Mittelalter und in der Barockzeit beliebt und macht bis heute vielen Menschen Spaß. Gemeint ist ein Schreibspiel bzw. ein Gedicht, bei dem die Buchstaben eines Worts senkrecht untereinander geschrieben werden und jeweils als Anfangsbuchstabe einer neuen Textzeile verwendet werden müssen. In jeder Zeile sollte etwas zum Thema des vorgegebenen Wortes gesagt werden.

Man kann damit auch Textfragmente, kleine Ideen oder Beobachtungen „verwursten“, die sonst nirgends hinpassen.

Ein Beispiel aus moderner Zeit stammt von Elfriede Hablé (*1934):
Lust = „Leben unter Strom“.

Novembergeplemper

Ich hatte da mal was vorbereitet. Novemberschwere Stimmungsbilder in Worte gefasst und hustende Elstern in Gedichte, aber was ist? Ich bin heut in den Wald marschiert bei 20 Grad und im T-Shirt, zahlreiche Spaziergänger waren auch unterwegs, Kinder rannten durch knisterndes Laub, die Bäume leuchteten im Sonnenschein und die Vögel jubelten, als wär nichts gewesen seit letztem April, es war ein Singen und Springen – wie soll man sich da ordentlich einmummeln? Wie die jahreszeitlich disponierte Klammheit und heraufziehende Wintereinsamkeit zum Anlass nehmen, Wärme im Herzen zu beschwören?

Wenn es so weitergeht mit der Klimaerwärmung, steht die Welt vor einer Neuordnung der Jahreszeiten und die Dichter haben viel zu tun.

 

Herbstblaetter (3)

Heute aufgenommen.