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Energierückgewinnung

Einem Menschen über lange Zeit beim Loslassen des Lebens zusehen zu müssen, ist keine einfache Sache. Erst recht nicht, wenn es die Mutter ist mit all den Geschichten, die verbinden oder auch nicht. Wie viel Energie dabei auf der Strecke blieb, merke ich erst jetzt, wo ich sie wieder für mich selbst behalten darf.

Sichtbares Ergebnis dieser Entwicklung ist, dass ich trotz Jobverlust, Wohnungswechsel und Zukunftsangst rauchfrei geblieben bin. Drei Monate sind es heute. Davor hatte es schon genügt, dass meine Mutter wieder einmal ins Krankenhaus musste und ich mit dem ganzen Brimborium dastand und gleich wusste, was auf mich zukam. In solchen Fällen (zum Beispiel) habe ich halt immer ein Schächtelchen Trost aus dem Automaten gezogen, auch wenn ich das Rauchen eigentlich aufgegeben hatte.

Aber jetzt – fließt es wieder. Ich fühle mich leicht und zuversichtlich, Nikotin brauche ich nicht. Heute habe ich Herbstastern zu ihrem Grab gebracht. Uns geht es gut.

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Hirnformationen

Frust vergeht am sichersten durch kleine Belohnungen. Sie können auch groß sein, aber das ist keine Bedingung. Meist genügt eine Zigarette, ein Schokoriegel oder ein Glas Wein, denn sie bewirken alle das Gleiche: ein paar Minuten lang verkriechen wir uns in uns selbst. Wir vergessen das lästige Drumherum und wenden uns nur dem zu, was wir gerade tun, sind ganz bei uns selbst. So ist es jedenfalls bei mir.

Beliebt sind solche Mittel vor allem deshalb, weil der Effekt nach Belieben herbeigeführt werden kann und auch wird, immer häufiger sogar. Zu den ursprünglichen Auslösern in Form von mehr oder minder ausgeprägten Widrigkeiten des Lebens kommt mit der Zeit nämlich Atemnot, Übergewicht oder Kopfschmerzen dazu und damit weiterer Frust.

Gegen Niedergeschlagenheit und schlechte Laune wirkt natürlich auch der Anblick einer aufgeblühten Apfelblüte, das ausgelassene Lachen junger Leute auf der Straße oder der zwiebelige Duft eines Bärlauchsouffles. All das lässt sich aber nicht nach Bedarf herholen und setzt überdies eine gewisse Empfänglichkeit voraus. Man kann sich also nicht ordentlich konditionieren.

Sind die Gehirne von Genussmittel-Abhängigen denn anders? Brauchen wir mehr Endorphine? Ist ein Leben ohne diese Kicks nicht unfassbar flach und lustlos? Was machen Nichtraucher, Ernährungsbewusste, Anti-Alkoholiker nach einem aufreibenden Arbeitstag, einem Streit oder einem traurigen Ereignis?
Was macht ihr?

Fragt sich und euch Anhora,
seit neun Tagen Nichtraucherin.

 

Apfelblüte
(c) Sylvia W.

(Gute-)Nacht-Geschichte

Während der Fahrt konnte ich nicht sprechen. Ich saß auf dem Beifahrersitz eines Porsche, draußen schossen Lichter vorbei und ich fragte mich, wieso keine Tränen kamen. Es war fast, als wäre nichts geschehen. Dann stiegen wir aus, betraten das Gotteshaus, inmitten von Blumen und Kränzen, schmal, kostbar, weiß eingebettet wie in einem Karton lag er da. Ich berührte die Wange, Haut wie Papier, nun wurde es ernst. Der Abschied kam und ich begann mit dem Weinen, schluchzte, als befände ich mich in einem Theaterstück und müsse auch in den hinteren Plätzen noch vernehmbar sein. Die Kirche war gut gefüllt, sollten die Gottesdienstbesucher mich ruhig hören.

In der zweiten Reihe entdeckte ich einen freien Platz und warf meine Tasche in die Lücke, damit niemand anders kam. Vorne zu sitzen stand mir wohl zu bei dem Schmerz. Ich zwängte mich umständlich an ein paar Leuten vorbei, sank auf die Bank und plärrte weiter. Die Trauerfeier sollte jeden Moment beginnen. Ich zog ein Taschentuch aus dem Ärmel und putzte meine Nase so laut, dass die Frau neben mir erschrak. Ich schaute angelegentlich nach vorne, am Altar tat sich nichts, wir warteten auf den Priester und ich dachte: „Nachher geh ich aber eine rauchen.“

Nein nein. Niemand ist gestorben. Nur heute Nacht in meinen Träumen schuf sich mein Unterbewusstsein einen absurden Grund, um wieder an eine Zigarette zu kommen. Heute bin ich seit vier Wochen Nichtraucherin. Tolle Leistung, finde ich. 😉

Schwere Zeiten

Ist es nicht genug, das Rauchen aufzugeben? Aber nein, eine finstere Macht hat es darauf abgesehen, uns armen Würmchen auch sonst jede Freude fortzunehmen und daher mit Absicht die Anzeige der Personenwaage nach oben springen lassen. Der Geschwächte muss nun nach dem Nikotinentzug auch noch mit dem Schlecken aufhören. Oder mit Kartoffelchips, dem Nachschlag der Kässpätzle oder was sich sonst als Ersatz für psychische Stabilisierung in den Mund schieben lässt. Dabei stimmt es gar nicht, dass ich mehr esse. Vielleicht glegentlich ein Kitkat Chunky oder ein Bounty, von mir aus, na gut jeden Tag ein Riegel. Und? Ist es ein Verbrechen? Soll es nichts mehr geben zum Aufheitern den lieben langen Tag? Eben. Und bis vor kurzem hätte das mein Gewicht auch unbeeindruckt gelassen.

Ich glaube, mir fehlt Adrenalin. Nikotin sorgt bestimmt für Stress im Körper, jedenfalls wurde ich immer ein bisschen hibbelig nach dem Rauchen und wenn ichs mir recht überlege: vor dem Rauchen auch. So kam es vielleicht, dass Kalorien in meiner aufgewühlten Blutbahn immerzu weiter gestrudelt wurden und wenig Chancen zum Ansetzen hatten. Aber jetzt – schwappen sie träg auf meine Hüften, legen sich schlafen und wollen nie wieder weg.  Bestimmt werden Kalorien, die in feine Ritzen und Falten gespült und vom reißenden Strom vergessen worden waren, nun von den friedlichen Bächlein in meinen Blutgefäßen aufgespürt und eingesammelt und zu all den andern Speckgewordenen auf die Hüften bugsiert. So lege ich an Gewicht zu, auch wenn ich gar nichts esse. Wenn ich an Gulasch nur denke. Oder an Bratkartoffeln. Wahrscheinlich nehme ich jetzt, da ich diesen Artikel verfasse, gerade ein halbes Pfund zu. Drum hör ich jetzt auf.

Die weiteren Aussichten: Wolkenlos

Auf dem Weg zum Supermarkt stehe ich an einer Ampel, die Straße verläuft mehrspurig. Neben mir hält ein roter Golf. Sein Fenster ist ein Stück heruntergelassen trotz starrem Frost, der Häuser und Bäume dick eingezuckert hat. Ein Mann um die Vierzig sitzt am Steuer des Wagens und zieht an einer Zigarette. Ja und? Denkt er sich wohl oder denkt sich gar nichts, Winterluft ist nun einmal kalt. Und wer die Qualmwolke im Fahrzeug nicht einschließen und sich tränenden Augen holen will, muss offene Fenster ertragen.

Die Ampel springt auf Grün, der Mann neben mir fährt an und ich überlege, ob ich ihn beneide. Überall sehe ich diese Menschen und unterstelle ihnen, dass sie sich um nichts Gedanken machen, sondern einfach an ihren Zigaretten nuckeln und dann denke ich: Wieso können die das und ich nicht? Immer begleiteten mich Selbstvorwürfe. Die Gesundheit, das Geld, und überhaupt. Lustvolles Rauchen funktioniert nur dann, wenn es schmeckt, der Gesundheit nicht schadet und das Geld egal ist, also ab dem zweiten oder dritten Glas Wein. Ansonsten bleibt es ein Traum.

Jedenfalls hab ichs warm in meinem Auto und es stinkt nichts außer die Heizung ein bisschen. In dem Alter darf sie das.

Zweieinhalb Wochen – ich bin frei!

Zwischenstand

Fast eine Woche nicht geraucht, und mir fehlt erstaunlich wenig. Hab wohl die richtigen Mantras diesmal, Raucher sind eben nicht cool, sondern selbstzerstörisch. Als wäre ein gesunder Körper belanglos und sie könnten mit ihm tun, was sie wollten. Können sie ja auch, jeder hat das Recht sich zu schaden, wenn ihm danach ist. Aber warum? Halten sich Raucher für nicht bedeutsam genug, um sich pfleglich zu behandeln? Oder strafen sie sich gar für etwas, tief innendrin?

So ein Quatsch! Selbstverständlich nehme ich mich wichtig, hätte ich vor kurzem noch protestiert. Man liest doch in Ratgebern aller Art: Auf die eigenen Bedürfnisse hören, in sich hinein horchen, nachgeben. Nichts leichter als das. Mit seufzendem Lächeln wird nach draußen geschlappt neben den Aschenbecher und einem Bedürfnis nachgegeben – das es ohne Rauchen gar nicht gäbe. Geben wirs zu, die wenigsten Zigaretten schmecken. Nikotin hebt uns nicht  in genussreichere Sphären, wir rauchen ja nicht zum Spaß. Wir winden uns damit nur aus einem engen Loch heraus zurück in den Normalzustand, den ein Nichtraucher nie verlässt.

Der Zeitpunkt zum Aufhören war gut gewählt. Ich blicke aus dem Fenster, wo ein enormer Sturm alles wegfegt und man muss Angst haben, von herumschießenden Gegenständen erschlagen zu werden. Ich wollte nicht draußen stehn heute!

Genug!

Schnell nochmal raus, eine rauchen. Ich schnippe die Asche lässig auf den Balkonboden, was tuts. Ein paar Kracher können es nicht erwarten und es knallt, pfeift, flackert glühend am Nachthimmel auf. Aus einer Wohnung dringt Lachen. Vielleicht haben sie mich entdeckt, denke ich, ein schnatterndes Häufchen im zugigen Eck, brrrr, ist das kalt. Nass. Eklig. Gut, dass ich morgen drin bleiben kann, warm an die Heizung gekuschelt oder jedenfalls ganztags auf dem Sofa. Neun Zigaretten habe ich noch. Das vergangene Jahr eignete sich nicht, um aufzuhören damit. Jetzt ist es zu Ende und die Dinge haben sich verändert. Ich halte nichts von Vorsätzen zum neuen Jahr, aber für diesen einen ist nun die richtige Zeit. Das hab ich am letzten Silvester zwar auch gesagt, aber dieses Mal meine ich es. Ich hab genug. Ab morgen bin ich Nichtraucher.

Einen guten Rutsch euch allen!
Möge euch das gelingen, was ihr euch vorgenommen habt.

Die Viertelbelohnung

Heute habe ich eine viertel Zigarre geraucht. Schmeckte toll. Mild und auf den Lippen zuckrig. Meine Tochter schenkte sie mir zum letzten (oder vorletzten?) Geburtstag, aber niemand hat sie geraucht mit mir. Inzwischen habe ich das Rauchen sowieso aufgegeben.

Und heute zündete ich sie an. Nach der Arbeit setzte ich mich in die Dunkelheit auf dem Balkon und zog daran. Die ersten Rauchkringel trugen etwas vom Tag in die Nacht. Komplizierte Kunden, Zeitdruck, Übersetzersuche in exotische Sprachen für riesige Textmengen in wenigen Tagen. Nochmal ziehn – und wieder löst sich etwas auf. PAFF.

Ein paar Sterne schauen mir zu und den weißen Schwaden, die übers Geländer kriechen. Es gefällt mir immer besser. Ich betrachte die geschlossenen gelben Köpfchen der Strohblumen auf dem Tisch. Beim Nachbarn geht Licht an. Ausatmen, noch ein Wölkchen. Alles löst sich und vergeht. Irgendwo quietscht ein Garagentor, ein Motor wird angelassen, das Geräusch eines sich entfernenden Fahrzeugs. Stöckelschuhe kommen näher, Rufen, Lachen, Menschen, die keine Sorgen haben. Nicht in diesem Augenblick. Ein Viertel der Zigarre ist geraucht, ein Zug noch.

Dann drücke ich sie vorsichtig aus. Man muss sich mal etwas Gutes tun. Eine Viertelstunde lang nicht nachdenken, nur Rauchkringeln hinterher schauen. Deshalb fang ich ja nicht das Rauchen wieder an. Eine Zigarre ist wie ein Joint. Das gilt nicht.

1. August: Seit zwei Monaten frei!

Die Gier zu beherrschen, ist keine Kunst, wenn man ein paar Wochen lang nicht geraucht hat. Die Gier ist weg. Aber die Sucht nach sich-belohnen, sich-trösten, die Fünf gerade sein lassen – die schleicht viel langsamer aus. Fatal ist dann das, was viele Raucher kennen: „Ich habs geschafft Schluss zu machen damit. Eine einzige Zigarette ab und an schadet also nicht. Zum Beispiel jetzt?“

Das lohnt sich nicht, denn wer „Endlich Nichtraucher“ gelesen hat, weiß: der eigentliche Genuss ist nicht die Zigarette. Was richtig gut tut, ist das Lindern der Entzugserscheinungen seit der letzten Nikotinzufuhr. Da liegt der Schluss nahe, dass eine einzelne Zigarette dann gar nicht schmecken kann, was sich im Testfall auch immer bestätigt. Es ist allenfalls die dritte oder vierte, die den Erwartungen entspricht, wenn man also wieder drauf ist. Schnell genug geht das ja.

Man sucht besser nach anderen Quellen, sich etwas ganz Gutes zu tun, und – so doof es klingt – bei mir sind es die Radtouren ins Büro geworden. Täglich 10 km hin und 10 zurück. Es gibt so viel zu sehen und zu riechen und Gedankenanstöße, da hält keine Zigarette mit, und der Effekt hält eine ganze Weile vor.

Blöd nur, dass ich während des Tages nicht aussteigen kann. Da möcht ich schon manchmal davon radeln…

Fünf Wochen!

Ich vermisse sie noch immer, die kleinen Aufheller. Auch wenn es beim Rauchen um nichts anderes geht als um das Lindern von Entzugserscheinungen, von einer Zigarette zur nächsten. Es ist ein Gift, es ist eine Sucht, es ist aber auch so, dass beliebig oft und auf ganz einfache Weise ein starkes (zugegeben selbstgeschaffenes) Bedürfnis befriedigt wird. Vergleichbar damit, zu enge Schuhe auszuziehen und zu spüren, wie der Schmerz in den Füßen nachlässt. Aber jedes Mal wieder beschert es – wenige Minuten lang – ein paar glückliche Aufschnaufer.

Nein, ich werde nicht rückfällig. Ich habe Endlich Nichtraucher gelesen. (Guter Tipp, Maria!) Raucher tun mir Leid, und ich bin gottfroh, keiner mehr sein zu müssen. Nur womit ich diese behaglichen kleinen Unterbrechungen ersetzen könnte, ist mir noch nicht eingefallen. Schwierig, wenn so Manches um einen herum viel Kraft braucht.

Seit zwei Wochen in Freiheit

Ich bin gut. Ich bin stark. Ich habe zwei Wochen lang nicht geraucht. Momentaner Zustand: Wenn andere qualmen, möchte ich ihnen die Zigaretten aus der Hand reißen und mir selbst eine anzünden. Aber das sind ja Fantasien. Tatsächlich schaue ich nur zu oder besser gesagt schnell weg. Nachdem ich mir die zu erwartenden Schäden durch Nikotin lange genug ausgemalt und mir das Rauchen daher immer wieder verboten habe, scheinen Menschen mit der Fluppe zwischen den Lippen in aller Öffentlichkeit ohnehin sonderbar. Als ob das nix wär. Dürfen die das? Um ehrlich zu sein – fast beneide ich sie ein bisschen, denn sie denken nicht so viel nach. Sie rauchen einfach. Was war es noch, weswegen ich aufgehört hab? Ich weiß nicht mehr genau, habe es aber aufgeschrieben und gleich werd ich den Notizzettel heraus kramen. Immerhin erinnere ich mich, dass eine Menge drauf stand.

Auf jeden Fall schaff ich Jogging und Radtouren deutlich besser als noch vor zwei Wochen, und ich bin nicht mehr so abgekämpft. Es wird mir also nicht gehen wie dem Mann, zu dem der Arzt sagt: Tut mir leid, aber wir müssen ihnen das Bein abnehmen. Antwortet der Mann: Gott sei Dank, ich dachte schon, sie wollten mir das Rauchen verbieten.

Pah! Sag ich da nur. Ein starker Raucher ist ein schwacher Mensch.

Auszeitlos

Da es sonst niemand tut, lobe ich mich selbst: Eine ganze Woche ohne Tabakqualm liegt hinter mir! Der Entzug manifestierte sich nur in anhaltend schlechter Laune, und das konnte in den ersten Tagen vom dauerverregneten Juni-Beginn herrühren. Seit dem Sommereinbruch vor drei Tagen wurde es allerdings kaum besser, dabei quält mich kein Druck, eine Zigarette haben zu müssen. Was mir fehlt, sind die Inseln. Aus meinen überfrachteten Alltagen hatte ich wenigstens minutenlang dorthin flüchten können, eine Rauchpause ist eben eine Pause, ein zeitlich begrenztes Innehalten, ein Bremsmanöver mit Haltegriff, eine Art (absurder geht’s nicht) Luftholen.

Nun renne ich unterbrechungslos von Hektik und Druck bei der Arbeit zur alten Wohnung meiner Mutter, zu Restmöbel-Entsorgung, Renovierungsbedarf und Mieteransprüche sowie zu Schriftkram und Erledigungen in ihrer neuen Wohnung. Selbst wenn ich ein paar Minuten lang in der Sonne stehe zur Mittagszeit oder am Abend – ich weiß nicht, was ich dort anfangen soll. Ich komme nicht runter. Es gibt keinen Ersatz.

Beim Verlassen des Raucherabteils

Es war nicht mein Entschluss. Es geschah fast ohne mein Zutun, und zwar am 1. Juni 2009, als ich nach etlichen rauchfreien Jahren wieder damit anfing. Wir waren gerade aus dem Auto gestiegen und standen auf dem Parkplatz einer Klinik, meine Tochter, ihr Vater und ich. Er zündete eine Zigarette an und erstaunt hörte ich meine eigene Stimme, die darum bat, auch eine zu bekommen. Rauchend traten wir dann langsam auf das Gebäude zu, um unseren Jungen zu sehen.

Ein Jahr lang habe ich mich festgehalten an Zigaretten. Sie haben mich beruhigt, getröstet, für kleine Unterbrechungen gesorgt. Doch bleibt es bei mir nicht bei denen, die ich rauchen will. Es kommen noch jene dazu, die ich rauchen muss, obwohl sie nicht schmecken. Die am frühen Morgen zum Beispiel. Oder wenn eh schon zu viele im Aschenbecher liegen. Oder während der Arbeit die verstohlenen Züge hinterm Haus. Könnte ich nur gelegentlich rauchen – ich würde nie aufhören damit. Doch mit der Marlboro-Schachtel in der Tasche gibt es für mich keine Ruhe, und allmählich langte ich wieder richtig zu.

Schluss damit.

Meine Gründe fürs Rauchen sind fadenscheinig  geworden. Seit dem 1. Juni, seit zwei Tagen also, fasse ich keine Zigarette mehr an. Und dabei bleibts.

Schockminuten

In einem Nachbarort kam es vor kurzem zu einem Unfall und der Verursacher machte sich davon. Was man feststellen konnte anhand von Lackresten und Glasscherben war, dass es sich um einen roten, älteren Toyota handelte. Nun fahre ich einen roten, älteren Toyota, und heute morgen rief die Polizei an. Sie wollten vorbeikommen und prüfen, ob es sich um das gesuchte Auto handelt, völlig harmlos also. Das Auto ist alt, aber unfallfrei. Doch so ganz harmlos war es dann nicht.

Ich legte auf und alles war wieder da. Der Anruf der Polizei, dass ich kommen solle, es gäbe etwas, das sie am Telefon nicht besprechen wollen. Wie ich nachfragte und bohrte und es dann erfuhr. Mein Sohn hatte einen schweren Autounfall gehabt. Alles war wieder da. Vielleicht nicht die Einzelheiten, aber das Gefühl dabei. Oder besser die Erstarrung. Als wäre es gerade eben geschehn.

„Wir wissen nichts Genaues“, hatte der Mann am andern Ende damals gesagt. „Er lebt aber, nicht wahr?“ Seine Verletzungen seien sehr schwer, war die Antwort gewesen,  und ich könne die Polizeidienststelle in Biberach anrufen. Die wissen mehr. „Aber er lebt doch, nicht wahr?“ In Biberach sagte man mir, der Junge sei mit dem Hubschrauber nach Ulm geflogen worden. Ja, er lebe. Noch? Die Nummer der Klinik gab er mir auch. Seltsam. Dass ich minutenlang nicht gewusst hatte, ob mein Kind am Leben ist und ob er es bleiben wird, die Schockminuten, bis ich einen Arzt erreichen konnte – das hatte ich nicht mehr im Gedächtnis gehabt. Gibt’s sowas? Ich hatte es nicht mehr gewusst, und heute morgen war alles wieder da.

Ich saß an meinem Schreibtisch, mein Herz schlug wild, Tränen stiegen hoch. Ich wusste nicht was tun. Meine Kollegen schauten, niemand sagte etwas, ich wollte mit ihnen nicht darüber sprechen. Nur heulen. Das drückte ich weg, den ganzen Vormittag lang kämpfte ich dagegen an und verlor immer wieder.

Mittags rauchte ich eine Zigarette. Drei Wochen lang habe ich es geschafft, nicht zu rauchen, heute wieder schwach geworden. Blöderweise ging es mir danach besser.

Wer’s lassen kann, ist im Vorteil

Rauchen ist gefährlich und Raucher sind blöd, wir wissen es alle. Wie viele andere suche deshalb auch ich nach einer Erklärung, warum es trotzdem sein muss. Vielleicht, weil Rauchen schnell abhängig macht und ein Bedürfnis geschaffen wird, das nach Befriedigung schreit. Was daran gut sein sollte? Dass es erholsam einfach ist, diesem Wollen nachzugeben! Eine tolle Sache in Zeiten, in denen das hochgehaltene Banner mit all den andern Wünschen drauf ungesehen bleibt. Wie sexy ist es dagegen, wenn der Drang nach Nikotin durch Adern und Nevenstränge kriecht, den Verstand durchdringt, mächtig wird und sich dann eine Zigarette anzuzünden. Wenigstens das funktioniert. Die kleinen Freuden des Alltags passen in eine Schachtel, dauern jeweils nur wenige Minuten lang und sind besser als nichts.

Später einmal mache ich mir Gedanken über Rauchen zur Stimulierung, gegen Stress, zur Geselligkeit, gegen Einsamkeit, zum Trost, bei Langeweile, oder auch über Rauchen vor der Tür, bei kaltem Wind, dem Blick der Leute ausgesetzt, üblen Geschmack im Mund, Geruch an den Händen, fahle Haut, schlecht durchblutete Beine, ach, es gibt viel zu erörtern. Das folgt vielleicht, wenn es in meinem Leben überschaubarer geworden ist und ich das Zeug nicht mehr brauche.

Erstaunlich

Es gibt auch das Gute am Schlechten, dachte ich gestern. Es ist nämlich so: Ich rauche nicht. Ich rauche seit Jahren nicht mehr, außer manchmal seit dem Unfall meines Sohnes vor einem halben Jahr. Bevor wir ihn besuchten, rauchten wir eine Zigarette, und danach noch eine auf dem Parkplatz der Klinik, jeden Tag, es war die einzige Freude viele Wochen lang. Dann ließ ich es wieder, fing wieder an, ließ es wieder usw. Ich rauche nie viel, und ich werde aufhören damit, sobald ich aus all den Sackgassen, in die ich mich derzeit verirrt habe, wieder herausfinde.

Natürlich weiß ich, wie schädlich Zigaretten sind, sowieso in meinem Alter. Doch gerade diese Erkenntnis wurde gestern in Frage gestellt. Den ganzen Tag über hatte ich Beklemmungen in der Brust gehabt, mein Herz pochte und ich fühlte mich nicht gut, als ich nach der Arbeit mit meiner Mutter Einkaufen ging. Trotzdem endete es damit, dass ich später bei ihr in der Stube saß und zwei Zigaretten rauchte aus einer Schachtel, die herum lag.

Was soll ich sagen? Als ich ihr einen Abschiedskuss auf die Wange drückte, atmete ich freier und es ging mir insgesamt besser. Die Beklemmungen waren weg. Vielleicht war es Zufall, am Freitagabend schwindet natürlich der Druck der Arbeit und das Wochenende darf kommen. Mir ging’s allerdings so abrupt besser, dass es auffiel und es ist zumindest nicht auszuschließen, dass es an den Zigaretten lag.

Wer es testen will: Es waren die Billigen von Netto. Sind ziemlich leicht und schmecken ein bisschen wie Stroh. Ich halt euch auf dem Laufenden.